Freitag, 4. September 2015

Raif Badawi, Demokratie & das Recht auf freie Meinungsäußerung



Raif Badawis Kinder warten auf ihn...
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Auch heute wieder gab es in Dschiddah keine öffentliche Auspeitschung Raif Badawis, des Bloggers, der in Saudi - Arabien im Gefängnis sitzt, weil er sich für Demokratie & Menschenrechte wie das auf freie Meinungsäußerung eingesetzt hat. Seit nunmehr 34 Wochen schreibe ich hier an dieser Stelle über den Mangel an Demokratie & Freiheitsrechten in den arabischen Ländern.
Die jüngsten Ereignisse in unserem eigenen Land als Reaktion auf die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, weil es in ihrer Welt sogar um mehr als demokratische Werte, nämlich um Leben und Tod geht, fordern mich heraus, mich in diesem Rahmen zu äußern, denn das Verständnis von Meinungsfreiheit, welches von einigen Mitbürgern hierzulande in Anspruch genommen wird, um den Flüchtlingen ihre Würde zu nehmen, hat mit Meinungsfreiheit nichts gemein: 

Brandstiftung, Körperverletzung und Demütigung sind keine Ausdrucksmittel der freien Meinungsäußerung, sondern Vergehen, die zu Recht strafrechtlich verfolgt werden. Verbale Entgleisungen sind keine demokratische Auseinandersetzungen, sondern Beleidigungen. Man darf ( und muss ) die Politik von Frau Merkel kritisieren, das ist Aufgabe jeglicher Opposition in einer Demokratie. Aber diese Verbalinjurien, die da bei ihrem Besuch in Heidenau gefallen sind, verletzen den Menschen und sind kein Diskussionsbeitrag. Unser Grundgesetz - und ich bin nach wie vor froh & stolz, dass wir es haben - sagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Auch die der Flüchtlinge! Auch die der Kanzlerin!

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Mir geht es wie vielen anderen Menschen in unserem Land, ich bin oft sprachlos, erschüttert und beschämt, was hier gerade passiert. In jedem privaten Gespräch geht es darum, in Brief- und Mailverkehr. Und ich lese in immer mehr Blogs darüber, lese und lese, informiere mich noch und nöcher, finde kein Patentrezept für den Umgang mit den Anforderungen, die da auf uns zukommen, schreibe & verwerfe Texte für Posts, weil ich immer noch nicht alles zu wissen, zu überblicken glaube...

Aber - wie ich hier schon schrieb: Ich will kein Arschloch sein. Ich will meinen menschlichen Anstand behalten. Ich will - wie es u.a. Emma hier schrieb - andere so behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte. 

Dass dies das Wesentliche ist & bleiben muss in dieser enormen Anforderung, die da auf unsere Gesellschaft zugekommen ist, wurde mir auch deutlich durch Gespräche mit meiner Mutter, die als 16jähriger Flüchtling alles, wirklich alles ( einschließlich einer abgeschlossenen Schulausbildung ) verloren hatte und drei Jahre hin und her geschubst wurde, bevor sie ein Zuhause zugewiesen bekam.

Es wurde deutlich durch ein Gespräch mit einem Pfarrer im Bekanntenkreis, der einer über Italien geflohenen Frau mit Kind Kirchenasyl gewährte, als sie wieder nach Italien abgeschoben werden sollte. Dort drohte ihr, sich wieder prostituieren zu müssen, um ihre Schlepper zu bezahlen. 

Es wurde deutlich im Gespräch mit meiner Friseur - Nachbarin, die in einem Dorf im Landkreis Düren lebt und für die es das Normalste der Welt ist, dass in den umliegenden Dörfern tausend Flüchtlinge auch in privaten Wohnungen untergebracht sind und nun mit den Dingen des täglichen Bedarfs ausgestattet werden, um die sie nun auch ihre Kunden bittet. 

Es wurde deutlich, wenn ich bei Friederike/Landlebenblog las, wie die Menschen in meiner alten Heimat, der tiefsten Provinz, aus ihrem christlichen Selbstverständnis heraus helfen und bei Pünktchen/Papatyam, wie sie die Ausgrenzung als Kind erlebt hat. Einen ganz spannenden Rückblick auf das Flüchtling - Sein in unserer Vergangenheit gibt uns Nora/Die Anachronistin, und ihre Schlussfolgerung, dass auf Herzenskälte Herzenskälte auch in der jungen Generation folgen wird, deckt sich mit meinen Erfahrungen.

Ich bin ihnen dankbar, dass sie mir gezeigt haben, was Menschsein ausmacht...


Zuletzt möchte ich noch ein paar Wort verlieren zu der braunen Ideologie, die sich wieder in den Köpfen einer größeren Anzahl von Menschen in unserem Land breit gemacht hat:

Ich selbst trage seit meinem 10., 11. Lebensjahr die Last der Scham auf meinen Schultern, als mir schlagartig klar geworden war, was von der Generation unserer Großeltern und Eltern anderen Menschen angetan worden ist. Ich kann das nie mehr vergessen, welche Verbrechen wieder die Menschlichkeit da im Namen meines Volkes stattgefunden haben. Ich zitiere an dieser Stelle Andreas Petzold, denn er sagt, was ich auch meine:

"Auf der braunen Seite findet ihr nur zerstörerische Gedanken. Selbst wenn ihr die Menschenverachtung der Nazi-Diktatur, die Konzentrationslager und die Gleichschaltung eines ganzen Volkes aus den Gedächtnis getilgt oder gar nicht zur Kenntnis genommen habt: Ein zweites Hitler-Deutschland wird es nicht geben." Und weiter:"...selbst wenn ihr vielleicht wirklich nicht wisst, dass nationale Selbstanbetung dieses Land schon einmal in den Abgrund geführt hat, nehmt wenigstens dies zur Kenntnis: Demokratie ohne Menschenrechte ist undenkbar." ( Quelle hier )

Und ich - wie viele Blogger in den vergangenen Tagen -  stehe hier & heute für das demokratische Selbstverständnis in unserem Land, von dessen Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenwürde auch diese braunen Hetzer gut leben. So gut, dass sie auch ohne Not mit anderen teilen könnten.


11 Kommentare:

  1. Oh, liebe Astrid, wie ich dich verstehe... Deine Beispiele sind so gut und aus dem Leben. In vielem geht es mir und denke ich ganz genauso. Ich freue mich wahnsinnig, wieviel Hilfe und Engagement es schon gibt und versuche das mir Gemäße und Mögliche zu tun und nicht nur zu recherchieren..., zu teilen, zu verbinden... Andererseits schaue ich fassungslos auf die Kommentare insbesondere auf FB und ich bin immer wieder aufs Neue entsetzt, nicht nur über die am rechten Rand sondern gerade über die vielen mit dem "Wieso ich? Ich bin ja nicht gegen die Flüchtlinge, aber schließlich haben wir uns jetzt hier was aufgebaut...". Haben wir ernsthaft geglaubt, das ginge immer so weiter, diese globale Ungerechtigkeit, dieser Raubbau zugunsten eines kleinen Teils der Menschheit...? Ich bin so voller Unruhe... Und freue mich jetzt auf den Gefährten, den Fels in der Brandung. "Man sieht nur mit dem Herzen gut." Und der Kopf ist verdammt noch mal dazu da das Ernst zu nehmen. Lass dich drücken und herzen... Ghislana

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  2. Die Würde des Menschen ist unantastbar...auch die von den Opfern...wie ich finde. Ja, von braunem Gedankengut darf man sich nicht anstecken lassen, sondern bei allen Emotionen auch den Verstand benutzen. Ich mag deine klare Sicht auf die Dinge, die die Welt bewegen...LG Lotta.

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  3. Bravo! Das kann ich alles so nur unterschreiben. Aber ich fühle mich auch ziemlich ratlos, was zu tun ist ...

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    1. Du hast doch vielleicht auch heute den (guten) Kommentar im Stadt - Anzeiger gelesen? Fazit:
      "So wichtig das klare Nein zu Fremdenhass ist, so dringend müssen wir die Realität nüchtern betrachten: Dieses Land steht vor enormen Herausforderungen."
      Es bleibt nur der demokratische Diskurs mit demokratischen Mitteln, um als Gesellschaft das zu bewältigen. Es gibt nicht nur schwarz und weiß...
      GLG

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  4. Gerade den Post von Nora gelesen, so gut..., danke! Liebe Grüße Ghislana

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  5. Mir geht es da ganz ähnlich wie Dir. Sowohl mein Mann als auch ich sind noch mit den erlebten elterlichen Berichten von Flucht und Vertreibung aufgewachsen. Wie glücklich schätze ich mich, dass ich weiß, dass die eigenen Großeltern keine braunen Flecken auf ihren Westen hatten.
    Das Rad der Geschichte dreht sich rasend schnell (man braucht nur einen Blick auf das letzte Jahrhundert werfen). Wer glaubt sich sicher zu sein, dass er selbst oder seine Kinder nicht die nächsten sein könnten, die ihr Bündel greifen und ein sicheres fremdes Ufer suchen müssen?
    Sollten wir nicht das tun, auf das wir in dieser Situation hoffen würden?

    Liebe Grüße
    Andrea



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  6. Danke Dir für diesen Post.
    Gruß Judika

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  7. Liebe Astrid,
    wir haben in diesem Jahr lange gesommert und waren selten im Netz - also, dafür, dass wir eigentlich ein Bilder-Tagebuch führen - nun - du hast nicht viel verpasst (soviel zu deinen lieben Zeilen).
    Verpassen kann man bei uns auch nur ländliche Idylle, denn sogar die Flüchtlingskatastrophe ist - im Ort - keine Katastrophe - aber weltweit, da schon - und da muss man schauen, solange man es erträgt, obwohl, wir haben ja nichts zu ertragen, wir versagen schon beim hinsehen und meinen, es nicht ertragen zu können ...
    Zu dem Foto muss ich sagen - es ist ergreifend, natürlich, deshalb geht es um die Welt - und ein Kind erreicht jedes Herz (obwohl natürlich ein Erstaunen darüber bleibt, dass bisher auch nur ein einziges Herz durch die gewaltigen Flüchtlingsströme unerreicht geblieben sein soll).
    Das Bild zeigt das Kind von hinten - es gab schon unzählige grauselige Bilder, die ein Gesicht zeigten.
    Ich will nun nicht in einer Zeile für oder gegen das Bild schreiben - die Fotos - auch die World-Press-Fotos - sind ein Thema für sich, aber ich kann auch verstehen, wenn die Familie sagt "...druckt es, dann war der Tod vielleicht nicht ganz umsonst ..."

    ... aber sicher gehört auch dieses Bild zu dem großen Thema der Mitleidsindustrie.

    Danke für deine Erinnerung an Raif Badawi - herzlichst - Monika

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  8. Liebe Astrid,
    ich danke dir aus tiefstem Herzen!

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  9. DANKE, liebe astrid! ich bin immer wieder beeindruckt von deiner klugheit, deiner wortgewandtheit und deiner menschlichkeit!
    ❤️ monika

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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