Donnerstag, 19. März 2015

Great Women # 16: Tina Modotti


Barbara/barbarabee hatte seinerzeit den Anstoß für diese Reihe gegeben und damit angefangen, donnerstags in ihrem Blog bemerkenswerte Frauen in Wort und Bild vorzustellen.  Da dies eines meiner Lebensthemen ist, habe ich mich gerne angeschlossen.

Auf die Idee, die heutige, großartige Frau vorzustellen, bin ich gekommen, als ich mal wieder in meinen Frida - Kahlo - Büchern herumblätterte, der mexikanischen Malerin, die ich seit meiner Teenagerzeit verehre. Und dabei bin ich auf dieses Foto mit ihrer Freundin Tina Modotti gestoßen: 

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Ich erinnerte mich, mit welcher Faszination ich einst die Lebensgeschichte dieser Frau an Fridas Seite gelesen hatte, und dass ich es bedauerlich, ja fast ärgerlich finde, dass sie aufgrund der politischen Positionen, die sie vertreten, in Misskredit bzw. Vergessenheit geraten ist. Deshalb nutze ich hier im Blog meine Möglichkeiten, um auf sie aufmerksam zu machen.


Tina kommt am 16. August  1896 als Assunta Adelaide Luigia Modotti Mondini in Udine in Italien zur Welt. 1913, im Alter von 16 Jahren, emigriert sie in die Vereinigten Staaten nach San Francisco, wo ihr Vater, ein Zimmermann & bekennender Sozialist, lebt.
Tina hält sich mit der Arbeit in einer Textilfabrik über Wasser, tritt in der Freizeit gemeinsam mit dem Vater im Wohnviertel der italienischen Einwanderer, «little Italy» genannt, als Laientheaterdarstellerin auf und wird ein gefragtes Künstlermodell bzw. Stummfilmdarstellerin. Das Foto zeigt sie in ihrem ersten Film "The Tiger's Coat" von 1920:

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Da ist sie schon seit drei Jahren verheiratet mit dem kanadischen Maler und Dichter Roubaix del' Abrie Richey (Robo) und lebt mit ihm seit zwei Jahren in Los Angeles. Sie dreht noch zwei weitere Filme in den Folgejahren, die ihr zugewiesene Rolle als exotischer Vamp, als «femme fatale» behagt ihr nicht, ebenso dass man sie in der Filmindustrie nur auf ihre äussere Schönheit reduziert.

In Los Angeles lernt sie 1921 auch den Fotografen Edward Weston kennen, wird sein Modell, später seine Geliebte. 

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Der Ehemann geht 1921 nach Mexiko. 1922 folgt ihm Tina dorthin. Doch da ist er bereits an Pocken verstorben. Tina gefällt das Land, sie kehrt aber wegen des Todes ihres Vaters nach San Francisco zurück, um im Sommer 1923 mit Weston endgültig nach Mexiko auszuwandern. Dort führt sie ihm den Haushalt, organisiert sein Fotostudio und erhält im Gegenzug eine Ausbildung als Fotografin. Inzwischen gibt es aber auch Erkenntnisse, dass Tina bereits in Italien von ihrem Onkel Pietro Modotti, einem führenden Fotografen in Friaul, mit dem Fotografieren und dem Modellstehen vertraut gemacht worden ist.

In Mexiko entsteht 1924 auch das bekannte Aktfoto von Edward Weston, das zu den besten des Genres der künstlerischen Aktfotografie des 20. Jahrhunderts gehört, und das auf der «Azotea», dem flachen Dach ihres Hauses in Mexiko aufgenommen worden ist:

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Immer wieder sorgt dieses Foto für einen Skandal: 1929 nutzt es die Presse Mexicos  in einer politischen Hetzkampagne gegen Modotti, um die Fotografin als unanständige Person zu verunglimpfen. Anlass ist die Ermordung ihres Geliebten Julio Antonio Mella, einem kubanischen Revolutionär,  in ihrer Begleitung auf offener Straße, veranlasst vom damaligen kubanischen Diktator Gerardo Machado. Diego Rivera, der Ehemann Frida Kahlos protestiert gegen diesen Rufmord mit den Worten: "Man kann unmöglich hinnehmen, dass ein Akt als unmoralisch bezeichnet wird; wäre dies so, müssten fünfzig Prozent der grössten Kunstwerke der Welt verurteilt werden".

2014 sorgt eben dieses Bild im schweizerischen St. Gallen wieder für Aufregung, als es auf einem Ausstellungsplakat zu einer Modotti - Ausstellung zu sehen ist. Der Departementssekretär Soziales und Sicherheit der Stadt St. Gallen, Heinz Indermaur, verbietet es mit der Begründung, man wolle nicht "zur Sexualisierung des öffentlichen Raums beitragen." ( Quelle hier ).

Es soll heute übrigens eines der teuersten Aktfotos der Fotografiegeschichte sein...


In Mexiko, damals ein Land der grossen Revolutionen und Umbrüche und eine Paradies für Kreative - und damit Anziehungspunkt für viele amerikanische Intellektuelle - lernt Tina auch die Muralisten David Alfaro Siqueiros, Diego Rivera und José Clemente Orozco sowie die Fotografen Manuel und Lola Álvarez Bravo kennen. Doch bei ihren eigenen fotografischen Arbeiten bleibt sie anfangs ganz ihrem Lehrmeister Weston verpflichtet, so bei ihrem berühmten Calla - Bild von 1925:
Besonders beeindruckend ist meiner Meinung nach die formale Strenge ihrer Aufnahmen:




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1926 kehrt Edward Weston zu seiner Familie in den Vereinigten Staaten zurück, Tina Modotti aber bleibt, da sie als Fotografin von ihrer Arbeit leben kann und sich immer stärker politisch einbringt. 1927 tritt sie in die Kommunistische Partei Mexikos ein. Dieses Engagement kommt auch fotografisch zum Ausdruck. So bei diesem Foto der Schreibmaschine ihres Geliebten Mella mit einem Trotzki - Zitat auf dem Papier von 1928:

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Um sich dem Rufmord nach der Ermordung Mellas zu entziehen, geht Tina Modotti in die Provinz Tehuantepec. Ihre Fotografien der Menschen dort sind bis heute bekannt:

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1930 - die kommunistische Partei Mexikos war schon verboten - wird Tina Modotti nach einem Anschlag auf den mexikanischen Präsidenten verhaftet. Nach 13-tägiger Haft wird sie des Landes verwiesen. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem italienischen Revolutionär Vittorio Vidali, reist sie per Schiff nach Rotterdam und von dort weiter nach Berlin. Dort lernt sie u.a. die Fotografin Lotte Jacobi kennen, bei der sie auch ihre mexikanischen Bilder ausstellen kann, und arbeitet für die die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, die auch ein Titelbild mit Tinas Porträt von Mella veröffentlicht:

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Doch der aufziehende Faschismus in Deutschland treibt Tina weiter nach Moskau, wo sie wieder auf Vidali trifft. In Moskau gibt sie die Fotografie auf & arbeitet als Übersetzerin für die Rote Hilfe. Ab 1936 betätigt sie sich als aktive Helferin im spanischen Bürgerkrieg & kümmert sich unter dem Decknamen "Maria" um die Unterbringung der vielen verletzten Widerstandskämpfer. 

Nachdem der Bürgerkrieg verloren ist, geht Tina mit Vidali erst nach Paris, und - nachdem der Ausweisungsbefehl durch einen neuen mexikanischen Präsidenten aufgehoben worden ist - wieder zurück nach Mexiko - Stadt. Dort lebt sie mehr schlecht als recht von Übersetzungen.

Am 6. Januar 1942 erliegt sie 46 jährig in einem Taxi an einem Herzanfall. Sogar nach ihrem Tod 1942 wird sie weiter diffamiert. Auch kommt das Gerücht auf, Vidali habe sie in Stalins Auftrag beseitigt bzw. sie habe Suicid begangen. 

"Auf der Bühne ihres Lebens wollte Modotti die Rollen selber wählen, die sie zu spielen bereit war und musste im Verlauf ihrer dramatischen Vita mehrfach erleben, wie ihr übelste Charakterrollen wie die einer Terroristin, einer Bombenlegerin, einer rastlosen kommunistischen Agitatorin unterstellt wurden, die sie nie war.", schreibt Monica Boirar in einem Beitrag zur St. Gallener Ausstellung.

"Roses" (1925)
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Tina Modotti ist für mich wieder ein faszinierendes Beispiel für eine Frau, der es nicht reichte, eine umworbene Schönheit vor der Kamera zu sein, sondern eine, die in der Lage ist, selbst mit der Kamera ein künstlerisch essentielles Werk - in nur sieben Jahren! - zu schaffen und dabei in ihren Fotografien auf ganz unitäre Weise soziales Engagement in der Auswahl der Motive mit strengen geometrischen Aufbauprinzipien zu verbinden. Darüberhinaus war sie Zeit ihres kurzen Lebens sozial und politisch aktiv und reduzierte sich so nicht in ihrem Menschsein auf ihr Äußeres - als Vorbild durchaus geeignet, oder?

18 Kommentare:

  1. wie toll, dass du tina modotti hier vorstellst - für mich eine der faszinierendsten fotografinnen in der geschichte.
    weißt du, dass im moment bis mitte april im "marta" in herford fotografien von (nicht über!!) frida kahlo ausgestellt werden? ich hoffe, ich kann sie mir ansehen.
    aber jetzt lese ich deinen bericht noch mal ganz genau!
    liebe grüße, mano

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  2. Vielen Dank auch für dieses Portrait! Besonders faszinierend finde ich das Foto mit den mexikanischen Hüten...eine großartige Aufnahme von einer sehr interessanten Frau! LG Lotta.

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  3. ein schönes frauenportrait...merci!

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  4. Ich finde deine Serie "Great Woman" großartig!!! Durch dich habe ich schon so viele interessante Frauen Kennengelernt, die mir zum Teil nur dem Namen nach, bzw. gar nicht bekannt waren.
    Ich bewundere, wie du mit kurzen , knappen Worten das Leben dieser Frauen nachzeichnest, und bin immer fasziniert, wie wunderbar du es schaffst , einem in den Bann zu ziehen.
    Danke, danke dafür!!!!
    Und ganz LG (von der bekennenden Milchreisfreundin ;-))!!)
    Monika

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    1. Was für ein Lob! Es freut mich, wenn ich in Bann ziehen kann, denn das würde ich gerne erreichen, weil es all diese Frauen wert sind.
      GLG

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  5. Munition, Mais und Gitarre! Großartig! Diese Frau hatte wahrhaft ihren eigenen Kopf! Es hört sich an, als hätte sie immer die sich bietende Gelegenheit ergriffen.
    Sehr interessant, von ihr habe ich nocht nie gehört und deshalb vielen Dank für das Portrait dieser großen Frau!
    Gros bisou
    Sandr

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  6. Was für eine Frau! Und so jung gestorben. Dennoch hat sie ein großes Werk hinterlassen und ein Leben geführt wie andere nicht in 80 Jahren.
    Herzliche Grüße, Ingrid

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  7. Danke, faszinierend. Ausnahmsweise kenne ich diese Frau endlich mal. Aber es ist wieder toll, was du zusammenträgst. Vor allem den Aspekt mit dem Verbot des Aktfotos auf den Plakaten vom Departementssekretär Soziales und Sicherheit der Stadt St. Gallen (das Amt klingt ja schon wie Realsartire). Nicht dass die Fotografin, Widerstandskämpferin und Künstlerin auf ihren Körper reduziert werden könnte, war offenbar sein Problem, nein, er wollte den Raum nicht sexualisieren. Ob er auch jedes H&M Plakat in St. Gallen zensieren lässt? Da erregt diese wahnsinnig interessante Frau auch jede noch jedes Kleinhirn... LG mila

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    1. Im letzten Satz muss es natürllich heißen: "auch heute noch jedes Kleinhirn..."

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  8. Hallo Astrid, was für eine Lebensgeschichte. Einmal um die halbe Welt und zurück.
    Einige ihrer Fotos kenne ich, genau wie dieses berühmte Aktfoto.
    Und ich muss sagen, es hat einfach das gewisse Etwas. In der Haltung des Körpers und in der Einfachheit liegt hier der Reiz. Die Deutung liegt dabei ehr im Auge und der Fantasie des Betrachters ;-).
    Frida Kahlo mag ich übrigens auch. Ich liebe die Farbintensität ihrer Bilder. (Könnte ja auch mal eine Great Women werden?)
    Es war wie immer schön, deinen Post über eine "Great Women" zu lesen.
    Ich bin Great Women Fan :-), weißt du bestimmt schon.
    Alles Liebe und bis zum nächsten Mal.
    Christin

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    1. Na klar gehört Frida Kahlo hierhin. Aber ich habe es mir erst einmal zur Aufgabe gemacht, die Frauen vorzustellen, die weniger beachtet werden, nicht solche Ikonen sind wie sie. Es gibt auch sicherlich genug im Netz über sie zu lesen, fundierteres, als ich es bieten kann. Ich hatte schon so meine Probleme mit meiner übernächsten "Great Woman", die auch sehr bekannt ist.
      Es freut mich sehr, dass du "Fan" bist. Dafür lohnt sich die ganze Arbeit, die das Schreiben dieser Posts ja schon macht. Ich betrachte es aber auch als Gehirn - Jogging für mich in der Ruhestandsphase.
      GLG

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  9. Ein interessanter Bericht, liebe Astrid über diese starken Frauen und Tina scheint eine ganz außergewöhnliche gewesen zu sein. :-)

    Liebe Grüße
    Christa

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  10. Sehr interessant. Danke dafür.
    Liebe Grüße
    Jutta

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  11. Was für ein dichtes intensives Frauenschicksal, konzentriert auf viel zu wenige Jahre!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  12. Was für ein spannendes, intensives, politisches und künstlerisches Leben einer bewundernswerten Frau, die trotz so vieler Hindernisse und Repressalien immer weitergegangen ist. Danke mal wieder für diese gelungene Kurzbiografie. Liebe Grüße, Ulli

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  13. Liebe Astrid, wieder ein beeindruckendes Portrait einer überaus beeindruckenden Persönlichkeit, daß du da wieder geschaffen hast. Woher kommt es manchmal, daß manche Menschen derartig viel Diffamierung oder Neudeutsch shitstorm provozieren? War sie zu schön, zu talentiert, zu unabhängig, so daß sie das alles ertragen musste? Auf jeden Fall eine dramatische Lebensgeschichte und ihre Arbeiten sind superb - ach naja und diese Idioten in St. Gallen, die vermutlich ein Playboy-Abo unter ihrem Bett beherbergen sollte man doch echt mal gegens Schienenbein treten, ist ja wohl total lächerlich - ein so wunderbares Aktfoto!
    Danke für die Arbeit, die du dir wieder damit gemacht hast (da braucht mich ja auch keiner mehr...)
    Liebe Grüße
    barbara bee

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  14. Liebe Astrid, geradezu atemlos habe ich mich jetzt durch dieses Frauenschicksal gelesen. Bevor ich Donnerstag zum Seminar losfuhr, hatte ich es schon gesehen. Der Name kam mir sofort bekannt vor, Fotografie wusste ich auch, auch Mexiko, aber ich grabe noch in mir, aus welchem Zusammenhang ich sie eigentlich schon kannte. Natürlich bin auch ich Fan dieser Reihe und warte immer schon ganz gespannt... Und hoffe, du machst weiter, solange es dir Freude macht. So, jetzt bin ich wieder auf dem Laufenden ;-) Herzlich Ghislana

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  15. Es gibt so tolle Frauen, die viel zu wenig Beachtung gefunden haben in der Kunstgeschichte, aber ein klein wenig ändert sich das gerade. Eine extreme Lebensgschichte und wieviel Lebensfreude muß in ihr gewesen sein, sich davon nicht unterkriegen zu lassen.Freue mich sehr über eure Reihe, auch wenn ich nicht immer etwas hinterlasse. viele Grüße karen

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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