Sonntag, 9. November 2014

Was geschieht, wenn wir vergessen, uns zu erinnern?



Das steht auf dem Trottoir vor dem Pensionistenheim in der Wiener Seegasse 9-11 in Roßau/ 9. Bezirk:





























Warum diese Frage an dieser Stelle?

Das Pensionistenheim steht an der Stelle des alten jüdischen Siechenhauses, welches vom Bankier Salomon Oppenheimer im 17. Jahrhundert begründet worden war, dahinter, in einem großen Innenhof, befindet sich der älteste Friedhof Wiens. 

Dort wurden seit 1540 Juden, die in der Stadt lebten, bestattet, die Grabsteine mit hebräischen Inschriften versehen. Nach jüdischen Vorstellungen gehört der Boden, auf dem die Toten ruhen, für immer den Toten. Doch die wiederholten Verfolgungen machten den Menschen deutlich, wie gefährdet diese ewige Ruhestätte war. Deshalb schloss bald nach Einrichtung des Friedhofes ein Kaufmann mit der Stadt Wien gegen Bezahlung  einen Vertrag ( den die Stadt Wien nach wie vor anerkennt ), um dies zu sichern.





























Nachdem im späten 18. Jahrhundert unter Kaiser Joseph II. das Bestatten innerhalb der Stadt untersagt worden war, um das Grundwasser rein zu halten, wurde ein neuer jüdischer Friedhof außerhalb des Linienwalls im Vorort Währing angelegt. Per Dekret erneuerte der Kaiser aber den Schutz für den alten Friedhof. Dies sollte so bleiben für Jahrhunderte.





























Als jedoch die Nationalsozialisten deutlich machten, dass sie auch vor alten Gesetzen & Absprachen der Menschen keinen Respekt haben, ja solche Infamien dazu gehörten, um die Menschen zu demütigen, nachdem also Anfang der 40er Jahre der Friedhof geschleift und neu bebaut werden sollte, fingen einige Juden an ( manchmal ist auch von jüdischen Zwangsarbeitern die Rede ) unter schwierigsten, kriegsbedingten Umständen, die Grabsteine abzubauen und zum Zentralfriedhof zu transportieren. Dort wurden sie unter einem Erdhügel versteckt und erst in den 80er Jahren zufällig wiederentdeckt.

Inzwischen hat sich die Stadt Wien bereit gefunden, den Friedhof zu sanieren: Grabsteine werden gereinigt, restauriert und wieder aufgerichtet. Nachdem auch ein alter Plan der Grabstätte gefunden wurde, beginnt man ihn nun auch nach diesem Vorbild zu restaurieren. Doch alles geht sehr langsam voran: Bei unserem Besuch vor einem Monat waren Steine unter grünen Planen verschwunden, und die Zugangstreppen mit rotem Flatterband abgesperrt. Was zu sehen ist, ist allerdings schon ein vielversprechender Anfang, wenn man es mit dem fortschreitenden Verfall des Währinger Friedhofs vergleicht, den ohnehin ein viel grausameres Geschick widerfuhr in jenen Zeiten, die einige gerne für immer vergessen würden.





























Ich aber möchte an diese Ereignisse mit diesem Post erinnern, heute, an dem Tag, an dem die Nationalsozialisten vor 76 Jahren damit begannen, ganz offen die jüdischen Mitbürger zu terrorisieren, ihnen die Existenzgrundlage zu entziehen, ihre Wertvorstellungen mit Füßen zu treten, sie systematisch zu verfolgen, zu verschleppen, umzubringen.

Ich finde dies zwingend notwendig angesichts von Ereignissen und Vorgehensweisen in vielen Teilen dieser Erde, die denen in unserem Land von damals sehr ähneln.
Ich finde das Erinnern wichtig, um die Gründe der Feindschaften zwischen Völkern, Volksgruppen, Religionen zu kennen, um die Ursachen der Konflikte zu verstehen. Denn nur durch eine echte Erinnerungskultur kann diese ewige Gewalt unter den Menschen eingeschränkt werden, so meine Hoffnung.

Ein Glück, dass wir uns inzwischen in diesem Land an diesem denkwürdigen Tag - manchmal auch "Schicksalstag der Deutschen" genannt - auch über Ereignisse freuen dürfen wie die Wiedervereinigung. Dieser Glanz bleibt für mich persönlich allerdings eher stumpf, weil das Datum auch für ein tragisches Ereignis in meiner Familie steht...



Diesen Post widme ich Barbara, die momentan über ihre Bildungsreise postet, auf der sie sich dem ( auch manchmal sehr schmerzhaften ) Erinnern aussetzt. Verfolgt einmal ihre täglichen Berichte auf ihrem Blog!











20 Kommentare:

  1. Ich kenne in Wien nur den Zentralfriedhof mit den Gräbern von Beethoven und Mozart...Danke für diesen interessanten Bericht. Den 9. November und seine Bedeutung werde ich nie vergessen, hat er doch mein Leben so nachhaltig verändert...LG Lotta.

    AntwortenLöschen
  2. manchmal denke ich, du kennst wien viel besser als ich! dieser friedhof ist mir gänzlich unbekannt, der währinger friedhof war ja in den letzten jahren immer wieder thema bezüglich restaurationsmaßnahmen.
    du hast vollkommen recht, diese zeit darf nie in vergessenheit geraten, die erinnerung soll aber auch keine neuen feindschaften und aggressionen wecken.
    aber leider stimmt wohl der ausspruch: „Die Geschichte lehrt die Menschen, daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“
    lieben gruß und einen schönen sonntag,
    susi

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Astrid, danke für diesen Beitrag und die Widmung! liebe Grüße. Barbara

    AntwortenLöschen
  4. Ein sehr wichtiger Beitrag, danke! Und vor allem für den Link zu diesem wunderbaren Blog von Barbara.

    AntwortenLöschen
  5. ja, auch das ist ein 9.11. in deutschland gewesen... und wieder ein stückchen wien für meine liste, wenn ich dann doch mal hinkomme ;-). ich mag orte des erinnerns, bringen sie einen den ereignissen doch ein wenig näher und lassen wissen auch fühlbar(er) werden. lieben gruß ghislana

    AntwortenLöschen
  6. Liebe Astrid,
    ein sehr wichtiger, guter Post, dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist.
    LG
    Gea

    AntwortenLöschen
  7. Dieser Tag vor 76 Jahren ist die erste frühe Kindheitserinnerung meines Vaters. Das hat mich schon immer sehr beeindruckt. Eine Generation für die dieses Datum in doppelter Hinsicht voller Erinnerungen ist.


    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen
  8. Wir vergessen gerne! Dabei wäre erinnern so wichtig. Danke für Deinen Post, vieles weiss man gar nicht.
    glg Susanne

    AntwortenLöschen
  9. Ich war noch nie dort, wusste auch gar nicht dass es diesen Friedhof so gibt. Hach, in Wien will noch viel von mir entdeckt werden.
    Barbaras Blog kannte ich nicht - da les ich nun öfter mit. Danke!

    AntwortenLöschen
  10. Du bringst mich mit deinen Posts immer wieder zum Nachdenken, danke. Heute habe ich gar nicht an die Dimension des Datums gedacht, bis ich in Deutz an der Stelle der ehemaligen Synagoge vorbeilief und dort Blumen abgelegt waren und Kerzen brannten. Da habe ich mich über meine Gedankenlosigkeit erschrocken - und mich darüber gefreut, dass es Menschen gibt, die erinnern. LG mila

    AntwortenLöschen
  11. Liebe Astrid,
    ja, dieses datum - man darf nicht vergessen und muss immer wieder erinnern. hab dank - für deinen nachdenklich stimmenden beitrag über diesen friedhof, dessen ehemalige und mittlerweile neuexistenz beinahe in meine vergessenheit geraten ist...
    herzlichste grüße
    dania

    AntwortenLöschen
  12. sehr schön dein post wider des vergessens...
    herzlichste grüße & wünsche an dich ;-)
    amy

    AntwortenLöschen
  13. wie gut, dass du hier an die sog reichspogromnacht erinnerst. ein schreckliches datum, das aber leider während der jubelfeiern zur deutschen einheit ein wenig in vergessenheit gerät.
    danke!!!

    AntwortenLöschen
  14. Vielen Dank für Dein Geschriebenes, danke für die Fotos, danke fürs Erinnern.

    Elena

    AntwortenLöschen
  15. Liebe Astrid,
    ja, diese Erinnerungen werden immer mehr verdrängt, überlagert. Auch das gehört zu unserer Geschichte, dieser Testlauf der Unmenschlichkeit, ich bin Dir für diesen Post ehrlich dankbar...
    Herzliche Grüße Deine Sarah

    AntwortenLöschen
  16. Liebe Astrid, ja Freud und Leid liegen manchmal so nah beieinander! Danke fürs Einnern! ♥
    Ganz liebe Grüße
    Christel

    AntwortenLöschen
  17. Liebe Astrid,

    für diesen Post wollte ich mich nun schon seit Wochen bei Dir bedanken, habe es aber bisher nicht geschafft. Ich will Dir dafür danken, dass Du hier gegen den Mainstream geschriebe hast, an etwas erinnert hast, das in Vergessenheit zu geraten droht, da der 9. November nun anders belegt ist.
    Und weil ich einmal beim Danken bin, will ich Dir auch für Deinen Kommentar danken, den ich allerdings erst heute entdeckt habe.
    Ich wünsche Dir und all Deinen Lieben einen friedvollen und heiteren Heiligabend.
    Bis bald
    Katala

    AntwortenLöschen
  18. auch wenn es ein alter Beitrag ist
    er ist aktueller als je..

    ich werde nie begreifen warum Menschen andern so etwas antun..
    sind wir nicht alle Brüder und Schwstern?
    Auch wenn wir einen anderen Glauben oder eine ander Hautfarbe haben??
    Leider steigt der Ungeist der damaligen Zeit gerade wieder hervor
    liebe Grüße
    Rosi

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.