Dienstag, 1. März 2022

Was tun?



Das habe ich mich natürlich wie alle gefragt, die am Donnerstag, am rheinischen Wieverfastelovend, die Nachricht vom Einmarsch russischen Militärs auf Befehl ihres obersten Kriegsherrn ins Nachbarland erfahren haben. Intuitiv hab ich auf Autopilot geschaltet, der auf meine Erfahrungen seinerzeit als Grundschullehrerin im Umgang mit Kindern in solchen traumatisierenden Situationen zurückgreifen kann. Sich verängstigen oder verunsichern lassen darf frau da nicht. Ich kann also auf einen reichen Schatz an Verhaltensweisen & Aktivitäten zurückgreifen, den die Lieblings-Ex-Kollegin und ich im Laufe der Jahrzehnte mit Kindern erprobt haben, angefangen beim zweiten Golfkrieg 1990/91, später bei Nine Eleven und dem dritten Golfkrieg, aber auch anderen traumatisierenden Situationen.

Die Kinder hatten jedes Mal angstauslösende, brutale Bilder in den Nachrichten gesehen und waren entsprechend verstört und der Gesprächsbedarf immens. Also gab es im Hause K. am Donnerstag auch keine Bilder, keine Radionachrichten, stattdessen kreative Basteleien, Miteinander-Zeit-Verbringen, Musik. Es ist nämlich so, dass in diesem Haushalt jemand lebt, der als Kind mit seiner Mutter und seinen Brüdern die Geschehnisse in der Danziger Bucht Ende Januar 1945 und anschließend die tagelange weitere Flucht von Ost nach West mitgemacht hat. 

Ich fühlte mich bestätigt, als mich alsbald Nachrichten erreichten, die von den Verstörungen der heute um die achtzigjährigen Kriegskinder angesichts der Bilder berichteten. Neuropsychiatrisch beeinträchtigte alte Menschen leiden noch schlimmer darunter, und die Betreuenden sind doppelt gefordert.

Glücklicherweise war am Freitag und Samstag keine Zeit zum Zeitunglesen, und ich hatte eine Frist, in der ich erst einmal für mich Klarheit schaffen konnte. Wer sich also gewundert hat, dass ich mich zum Thema nicht allzu sehr geäußert habe: Ich bin auf diesem Gebiet nicht so informiert gewesen wie auf anderen und wusste nicht gleich wie in manch anderen Blogs Bescheid, wem nun die Schuld an den Hals gehängt werden muss. Nichts sagen oder schreiben ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Unparteilichkeit & Gleichgültigkeit: Derjenige, der zuerst den Verhandlungstisch verlässt und stattdessen anfängt Leute umzubringen, hat keine Sympathien mehr bei mir. Ich stehe erst einmal auf Seiten derer, die angegriffen werden und denen ein Krieg aufgezwungen wird.



Dieser wurde bei uns so richtig am Sonntag Gesprächsthema bzw. noch mehr am Rosenmontag, indirekt, als wir uns gemeinsam den Livestream zum zur Friedensdemo umgewidmeten Rosenmontagszug in Köln angeschaut und Fotos & Videos vom ältesten Enkel, vom Wahlverwandten und der Kölner Nichte plus Mann aufs Smartphone geschickt bekommen haben. Dass beides zusammengeht, hat ein Schwabe bei Twitter noch einmal gut erklärt, finde ich. 

Deshalb blieb auch mein Kopfputz, um ein paar Täubchen ergänzt. Karneval gehört zu meiner Identität wie der Pazifismus seit meinem zehnten Lebensjahr. Karneval bedeutet Miteinander. Was das bei einem bewirkt an Verbundenheit, habe ich in den über sechzig Jahren im Rheinland erfahren. Und das, so meine Lehre, kann in solchen desaströsen Zeiten stärken und die Resilienz fördern. Die wird es brauchen, denn es werden noch viele Probleme auf uns zukommen, denke ich.




16 Kommentare:

  1. Die Friedenstauben sind wichtig... auf jeden Fall. Erschüttert und bis ins Mark getroffen bin ich, Trost brauchen wir und Kampfesmut. Bieten wir, jeder einzelne, unsere Hilfe so gut wir können.
    In meiner Familie konnte die Pein des Zweiten Weltkrieges nie ganz ausgelöscht werden... Vertreibung, Flucht, Not und Elend... schon wieder durch den Machtwahn eines Einzelnen. Mögen die positiven Kräfte, die klugen Köpfe, dem ein Ende setzen.

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  2. Tja, ich bin gespannt, wie es morgen in der Schule wird. Wir hatten Ferien bis jetzt... Und die Mutter, die als Kind flüchten musste, war gestern mit dem Enkel zur Friedensdemo. Ich habe bis zuletzt gehofft, dass es sich nicht so entwickelt.
    Verrückt, was so ein einzelner Mann anrichten kann...

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  3. Liebe Astrid,

    das Miteinander ist wichtig, und das ist es, was einen auch immer hoffen lässt.

    Wie gern würde ich schreiben, was die Kassiererin beim Einkauf mir gesagt hat: "Das wird er wohl nicht machen, so weit wird er wohl nicht gehen."

    Leider glaube ich gerade bei ihm, dass er so weit geht, wie er es möchte. Wie soll man einen Menschen seines Charakters an irgend etwas hindern oder um Vernunft bitten?

    Jetzt sind es bald 2 Jahre seit den Covid-Anfängen hier, ich habe geglaubt, allmählich kehrt etwas Normalität ein. Jetzt das. Diesen Ausgang finde ich noch viel ungewisser als den Covid-Ausgang. Bei Covid haben alle an einem Strang gezogen ( bis auf die Querdenker ). Und hier, Menschen gegeneinander aus Machtgelüsten.

    Trotz allem gut, dass du deinen Herrn K. beschützen und ihn vor der Flut der Nachrichten schützen kannst. Alles muss man nicht sagen.

    Viele Grüße
    Claudia

    Ja, so sind die Kölner, der RoMo-Zug wird zur Friedensdemo. :-)

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  4. Karneval war und ist immer wieder auch ein Ausdruck von "hier leg ich mal den Finger in die Wunde" auf Missstände, Politikum wird hingewiesen und ganz besonders wichtig: Miteinander
    Wie es Dir gerade ergeht, kann ich nur ein wenig nachvollziehen, mein Papa war auch Kriegskind und auch der Schwiegervater ist mehrfach ausgebombt gewesen. Da ist eine neue Welt gerade entstanden, die gerade die "Kriegskinder" nicht verstehen.
    Nichts desto trotz gefällt mir Dein Hut ganz besonders gut
    Viel Kraft und liebe Grüße
    Nina

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  5. Leider hat Blogger meinen Kommentar vorhin einfach verschwinden lassen...
    Also nochmals:
    Ich finde es ganz großartig, dass Du mit Karneval im besten Sinn dieser Situation persönlich begegnet bist. Toll, Dein Foto und Dein "Hut" und überhaupt, was in Köln da vor sich ging gestern. Kölle Alaaf und Danke dafür!
    Gut, dass Du soviel Erfahrung mit solcherart Situationen noch von Berufs wegen hast und sie auch dann so wunder-bar anwendest.
    Die Enkelinnen sind heute auch so niedlich kostümiert zum Kinderfasching in den Kindergarten gegangen, sogar die Schulkinder durften mit. Wir haben uns so gefreut.
    Unsere recht neue, junge, so liebe Putzfrau, Mutter von drei kleinen Kindern, kommt aus der Ukraine. Sie lebt seit 6 Jahren hier. Ihre Herkunftsfamilie lebt in Kiew, dh, sie lebte da bis letzte Woche. Nun ist sie auf der Flucht: Oma, Mutter, Schwester mit Mann und 2 kleine Kinder... eigentlich unvorstellbar.
    Am Montag war sie da und wir haben mit ihr gelitten und ihre Tränen erlebt. Aber, sie hilft sich und anderen indem sie Kleidung, Medikamente und Geld sammelt zusammen mit anderen. 2 LKW sind schon Richtung Ukraine unterwegs inzwischen. Natürlich haben wir auch finanziell und materiell geholfen. Und auch gespendet an die offiziellen Hilfsorganisationen. Das dämpft ein wenig das Gefühl der Hilflosigkeit und zeigt Wege auf für Empathie und Solidarität.
    Beides muss dieser grauenvollen Unmenschlichkeit in hohem Maße entgegengesetzt werden und bei den Menschen dort die Hoffnung hoch halten. Möge es uns gelingen!
    Herzlichste Grüße,
    Sieglinde








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    1. oh nein..
      da erlebt ihr es ja noch näher mit
      man kann nur versuchen durch Spenden zu helfen
      und wer kann .. Flüchtlinge aufnehmen
      alles Gute für eure Putzfrau
      Rosi

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  6. die weißen Tauben fliegen nicht mehr....
    du hast es genau richtig gemacht
    erst einmal Abstand
    mein Vater rief heute Abend noch einmal an..
    obwohl wir heute vormittag schon telefoniert hatten ..
    er meinte man dürfe ja gar keine Nachrichten mehr schauen
    das wäre alles so schrecklich ..
    man könne ja nichts tun .. nur beten ..
    ja.. meinte ich.. er solle wegschalten oder ausmachen ..
    nur gut dass wir schon so alt sind ..
    ja sagte er.. ob er die 103 noch schafft wäre auch egal :(
    da er aber auf seinem Zimmer fest sitzt hat er ja nur das Fernsehen zur Unterhaltung
    da kommen wirklich sehr schlimme Erinnerungen hoch

    versucht beide weiterhin euch am Schönen zu erfreuen..
    und die Hoffnung nicht zu verlieren

    traurige Grüße
    Rosi

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  7. Nachrichtenabstinenz als Selbstschutz ist so ziemlich das einzige, was noch bleibt angesichts dieses Krieges mitten in Europa (geografisch gesehn). Diese Nachricht hat auch mich schwer getroffen, obwohl ich sie erwartet hatte und bereits am 26.1. hatte ich meine Angst davor angedeutet.
    https://maschas-buch.blogspot.com/2022/01/das-mittwochslied_26.html
    Natürlich fallen mir da gleich Namen ein von eher unrühmlichen brutalen Streitern der Vergangenheit - Machno, Petljura etc...und diese haben heute noch geistige Enkel - es war doch irgendwie vorauszusehn! Es ist wohl alles nicht gar so eindeutig, wie es von unserer Ferne aus erscheint. Und eine Einmischung der westlichen Welt bringt leider auch hier keinen Segen - - -
    Können jetzt nur auf Vernunft hoffen, wenn es auch unendlich schwer fällt.
    Morgenlichtgrüsze
    Mascha

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    1. soll man denn wegsehen??Den Diktator machen lassen??
      Das hat man viel zu lange getan
      Was in der Vergtangenheit war ist keine Entschuldigung für Verbrechen an einer friedliebenden Bevölkerung :(
      es liegt an einem einzelnen Menschen diesen Wahnsinn zu beenden
      meine Meinung
      LG
      Rosi

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    2. Leider hat man zu lange weggesehen - und nicht protestiert - wie die NATO sich immer weiter östlich ausgedehnt hat...und natürlich sind es nun wieder die einfachen Menschen, die sterben und unendliches Leid hinnehmen müssen. Das ist unsagbar traurig, aber Waffenlieferungen machen es auch nicht besser - im Gegenteil!

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    3. Warum sollte man da protestieren? Die KSZE-Schlussakte, die die Sowjetunion ja selbst unterschrieben hat, gibt jedem Land das Recht, sein Bündnis frei zu wählen. Es gibt KEINE Einschränkungen der Souveränität eines Staates diesbezüglich. Das hat auch Gorbatschow vor ein paar Jahren noch einmal ausdrücklich betont, dass das bei Abschluss der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen der Konsens gewesen ist.Über die anderen osteuropäischen Staaten ist in diesem Rahmen gar nicht gesprochen worden.
      LG

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  8. Waffen schaffen keinen Frieden, nirgendwo. Und abgesehen davon, dass Krieg nie eine Lösung ist und unendliches Leid bringt - auf beiden Seiten, das darf man nie vergessen - gibt es noch einige Mitschuldige an dieser Szenerie. Aber wie immer tragen es die Menschen, die daran nicht beteiligt waren und sind. Das ist das wirklich Schlimme.

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  9. P.S. Ich habe ganz vergessen zu grüßen. Bei uns herrscht auch Ausnahmezustand, denn mein Mann erlebte als kleines Schulkind den Krieg. Erst gestern sagte er: Ich höre die Tiefflieger noch immer und fühle mich, wie ich mich in den Straßengraben warf...Inzwischen vermeiden wir etwas den Medienkonsum, denn das hilft gar niemandem und keiner von uns kann einschätzen, wo Bilder herkommen und welche Quellen echt sind. Außerdem muss man, um helfen zu können, eigene Kraft bewahren. So war es im Kleinen und ist es, und genauso ist es im Großne. Herzlich, Sunni

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  10. Bei meinem Vater kommen auch die Kindheitsbilder wieder hoch. Ihm tut das ständige Fernsehen überhaupt nicht gut.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  11. Oh man, das ist wirklich so schlimm.
    So wie alles was gerade passiert. Wie können die Menschen
    heutzutage immer noch glauben mit Krieg schafft man Frieden
    oder befriedet Gegenden.
    Alles Liebe für deinen Mann und für dich

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  12. Ich kann das natürlich sehr mitfühlen, was Du über Deine Grundschullehrzeit sagst! Denn das ist immer auch in meiner Arbeit Nummer 1: ich nenn es mal: Zuversicht verströmen...! Den Satz: "Mach Dir keine Sorgen", hab ich in letzter Zeit ziemlich oft gesagt... und wenn man ein Apfelbäumchen pflanzen soll kann man auch Karneval feiern. Wir haben es mit den Kids an Fasching krachen lassen... und ich war zweimal mit ihnen Eislaufen. Gerade jetzt brauchen die Freude und Spaß... äh, und ich ehrlich gesagt auch.
    Einige Menschen schelten mich ja oft als etwas "naiv", und sie haben bestimmt auch recht - aber mich rührt diese Menschlichkeit und Solidarität gerade sehr. Mir ist schon klar, dass es hier nicht um einen Menschen geht, der den Krieg angezettelt hat und dass dazu nie nur einer gehört - und leider gibt es auch immer "gute" und "schlechte" Flüchtende... trotzdem gibt es mir Hoffnung. Auch was in der russischen Bevölkerung gerade geschieht...
    Kölle Alaaf! Dein Hut ist klasse! Liebe Grüße Maren

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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