Donnerstag, 22. April 2021

Great Women #257: Malwida von Meysenbug

Manchmal ist es der Name, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht, zumal wenn er selten ist und immer wieder in anderen Zusammenhängen auftaucht. Wenn dann beim Durchforsten der Gedenktage der Name wieder aufploppt, dann wird es Zeit, der Frau einen Post zu widmen. Mit Malwida von Meysenbug ist es mir so ergangen.

 

"Jedes menschliche Wesen 
hat Anspruch auf eine Erziehung, 
die es fähig macht, auf sich selbst zu ruhen. "

Die Welt ist noch bzw. wieder in Ordnung bei Malwidas Geburt als Amelie Malwida Wilhelmina Tamina Rivalier am 28. Oktober 1816 in der hessischen Residenzstadt Kassel, Schöne Aussicht Nr. 7, ist doch das Kurfürstentum nach der napoleonischen Zeit reinstalliert, und Malwidas Vater Carl Rivalier Sekretär in der geheimen Kriegskanzlei des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen- Kassel. Nur der Sommer fällt in besagtem Jahr aus, weil ein Vulkanausbruch auf der Insel Sumatra im Jahr zuvor einen Temperatursturz heraufbeschworen hat, was sich verheerend auf die Landwirtschaft auswirkt und zur Hungersnot führt.

Malwidas Vater Carl Rivalier kommt aus einer Hugenottenfamilie mit Ursprung im provençalischen Nîmes und ist schon als Jurist zur Zeit des "Königreichs Westphalen" unter Jérôme Bonaparte in Kassel tätig gewesen. Malwidas Mutter Ernestine Hansell entstammt gutbürgerlichen Verhältnissen in Lauterbach ( heute Vogelsbergkreis ) - ihr Vater ist dort Finanzrat gewesen. Die bei Malwidas Geburt 32jährige ist kulturell gebildet, betreibt einen Salon und bringt innerhalb von zwanzig Jahren zwölf Kinder zur Welt, Malwida ist davon das neunte. Die beiden letzten sterben in ganz jungen Jahren, was für die Fünfjährige ein großes Kümmernis ist, denn sie soll das verstorbene Schwesterchen, aufgebahrt in einem anderen Raum, nicht sehen, desgleichen den nachgeborenen Bruder, macht es aber heimlich und behält ein einmaliges Bild für immer im Gedächtnis.

Mutter Ernestine hat erzieherische Ambitionen, will Toleranz & Weitblick vermitteln und lässt die Kinder deshalb an Abendveranstaltungen in ihrem Hause teilnehmen und bei Hauskonzerten mitmusizieren. Sie sollen schon früh mit bedeutenden Menschen in Kontakt kommen, nicht nur solchen aus der Aristokratie. 

Die Stellung des Vaters an der Spitze einer feudalistischen Bürokratie prägt allerdings auch das geistige Klima der Familie und führt schon mal zu Kontroversen zwischen den Ehepartnern. Carl befürwortet nicht nur das Bestehende und fügt sich in die herrschende Ordnung, er fühlt sich mit dieser, bestimmt durch Kleinstaaterei und  Absolutismus, auf Gedeih und Verderb verbunden. Der Sohn & Nachfolger "seines" Kurfürsten, Wilhelm II., belohnt ihn 1825 dafür mit dem Adelstitel "von Meysenbug", und die neunjährige Malwida wird damit eine Freiin...

Die Kinder werden von einem eigenen Hauslehrer unterrichtet. Malwida ist eine wache, gute Beobachterin und eine begierige Schülerin. Lesen und Schreiben beherrscht sie schnell, Französisch gehört zu ihrem Lehrplan, ohne dass es dabei mit Grammatik und Orthographie allzu genau genommen wird, Geschichte & Geographie in beschränktem Rahmen ebenfalls. Das Fach Religion übernimmt ein Geistlicher, der fehlerfreies Hersagen von Sprüchen und Liedtexten verlangt, mehr nicht. Und dann hat sie noch Unterricht in Tanzen und Handarbeit, wie es sich für ein adeliges Fräulein halt so schickt.

Ansonsten bleibt sie in ihrem Elternhaus nahe dem kurfürstlichen Schloss unbelastet von  Haushaltspflichten. Die wesentliche Aufgabe einer adligen Heranwachsenden besteht damals darin, auf einen mindestens gleichrangigen Gatten in guter beruflicher Position zu warten. Bis dahin darf Malwida sich ihren Leidenschaften widmen: lesen, zeichnen, musizieren, im Garten spielen, Puppentheater inszenieren, Besuche machen, spazieren gehen. 

Das angesehene und angenehme Leben in Kassel nimmt jedoch ein Ende, als die Auswirkungen der Pariser Julirevolution auch Kurhessen erreichen. Malwida macht mit, wie auch an die Tür ihres Hauses gehämmert und Steine in die Fenster geworfen werden. Ab da sieht sie nicht mehr Volk und Herrscher als harmonische Einheit und registriert von nun an politische Ereignisse mit wachsamen Augen.

Als Wilhelm II. dann tatsächlich 1831 Kassel wegen seiner aufständischen Untertanen verlassen muss, weicht Carl von Meysenbug nicht von seiner Seite. Ernestine folgt ihm mit Malwida und Laura eines Tages heimlich. In den nächsten Wochen und Monaten ziehen sie von Ort zu Ort und bleiben selten länger  - für die inzwischen 16jährige eine Katastrophe, denn "ernste, fortgesetzte Studien" sind ihr nicht mehr möglich. Schließlich landet man in Frankfurt/Main, wo auch wieder eine Erzieherin eingestellt wird. Doch letztendlich entscheidet sich die Mutter 1834 für die kleine Residenz Detmold als bleibenden Wohnsitz, dort, wo schon die älteste Tochter verheiratet ist. Der Vater, in den Diensten seines Fürsten, entscheidet sich hingegen bei ihm zu bleiben, bis alle seine Söhne in einer unabhängigen Stellung untergebracht sind.

Detmold im 19. Jahrhundert
Dort in Detmold ist Malwidas Schwager, der Hofmarschall am lippischen Fürstenhof Heinrich  Funk von Stenftenau, mit dem regierenden Fürsten Leopold II. aufgewachsen, sein ständiger Berater und Teil der kleinen Aristokratie des Lipperlandes. Man wohnt in einem ansehnlichen Palais.

Um von den vor Ort durchaus vorhandenen kulturellen Einrichtungen profitieren zu können, muss Malwida und ihre Schwester in die Gesellschaft eingeführt sein. Das geht wiederum nur, wenn man konfirmiert ist. Also wird dem Superintendenten Georg Friedrich Althaus ihre Unterrichtung angetragen. 

Das Detmolder Pfarrhaus wird so ein wichtiger Ort für die Heranwachsende, und sie geht "diesem Unterricht mit wahrer Inbrunst entgegen". Sie beschließt, ganz nach den Regeln der Kirche zu leben und unterwirft sich einer strengen Askese. Ihren Religionslehrer verehrt sie, wichtiger soll ihr in Zukunft aber die Freundschaft zu seiner Ehefrau, der Tochter eines Magdeburger Bischofs, sowie zu deren Töchtern werden. 

In diesen Tagen der Vorbereitung auf die Konfirmation wird Malwida von Zweifeln und Krisen gebeutelt, denn viele Fragen bezüglich der Religion bleiben ihr unbeantwortet. Einige Tage vor der Zeremonie spürt sie, "dass in der Tiefe meines Geistes eine Stimme gegen das meiste, was er uns mit so viel Sorgfalt gelehrt hat, protestierte". 

Malwida,
gezeichnet von ihrer Schwester Laura
Die Familie bereitet ein schönes Fest, und Malwida erwartet beim Abendmahl eine innere Wandlung - "kein Gott war da, mich in die Herrlichkeit des Himmels, in die Reihen der Erwählten einzuladen!". 

Erschöpfung, ja Krankheit, erfasst darauf das 18jährige Mädchen. Doch dann zieht sie sich selbst aus dem Sumpf, wendet sich früheren Leidenschaften wie dem Musizieren und Spaziergängen zu und gerät wieder ins Gleichgewicht, allerdings ohne ihre Selbstkritik abzulegen. Erst die Lektüre von Goethes "Wahlverwandtschaften" eröffnet ihr rechtzeitig einen erweiterten Gesichtskreis hin "zum Licht, das den Wissenschaften entströmt, zur nützlichen und praktischen Tätigkeit...".
"Ich hatte mich mit Leidenschaft dem Studium der Literatur und der Geschichte hingegeben. Die Schriften zweier Frauen übten großen Einfluß auf mich aus, die Bücher Bettina's von Arnim und Rahel's."
Sie kann jetzt auch an geselligen Veranstaltungen teilnehmen und genießt besonders das Tanzen. Als bei solchen Festivitäten ein durchaus gebildeter Mann sie mit steter Aufmerksamkeit bedenkt, zieht sie sich zurück. Die Ehe ist ihr ein "Mysterium", dem sie sich wohl nicht gewachsen fühlt, so hochgesteckt sind ihre Vorstellungen davon.

Die Jugendzeit findet abrupt ihr Ende, als die 33jährige älteste Schwester Julie drei Monate nach der Geburt ihrer vierten Tochter stirbt. Durch das viele Wachen & Weinen, so Malwida, zieht sie sich ein Augenleiden zu, das sie ihren Lebtag begleiten wird. Trost findet sie anschließend beim Klavierunterricht, den ein vom Schwager eingestellter Musikdirektor ihr erteilt. Erschrocken ist sie, als der über ihre Mutter seine Heiratswünsche an sie herangeträgt. Sie fürchtet, "ein abhängiges Geschöpf zu bleiben, das durch die Augen eines anderen sieht und nach dem Willen eines anderen handelt." Doch diesmal kein Rückzug, sondern sie geht es aktiv an, eine ( in ihren Augen vergängliche ) Liebe in eine dauerhafte Freundschaft zu verwandeln.

Eine weitere familiäre Krise löst der vier Jahre ältere Bruder Richard aus, der "leichtsinnig, schwach und oberflächlich" seinen Militärdienst quittieren muss, anschließend in der Landwirtschaft scheitert und schließlich nach Amerika auswandert. Besonders die Gesundheit der Mutter wird von diesem Vorfall stark angegriffen und deshalb wird ein Kuraufenthalt in Bad Homburg anberaumt, von dem sich die Tochter den Kontakt zu "einer gebildeteren, verfeinerten Gesellschaft" erhofft. Zu ihrer Enttäuschung trifft sie aber auf Intrige, Koketterie und Verstellung. Einzig eine Beziehung zu einem russischen Diplomaten, infolge einer Rheumaerkrankung gehbehindert, bringt ihr die gewünschte "geistvolle Unterhaltung", ja, sie entdeckt an sich ganz neuartige Gefühle. Gemeinsam unternimmt man kleine Ausflüge, und sie verspürt eine gewisse Geistesverwandtschaft. Doch der Graf verlässt Homburg ohne großen Abschied. Später erfährt Malwida, dass er nicht über die Mittel verfügt habe, eine Ehe ins Auge zu fassen.

Neue Impulse erhält die junge Frau dann eher durch einen längeren Aufenthalt beim Vater in Frankfurt im Winter 1842/1843. Für die anregenden Gespräche, die sich ihr in diesem politischen und kulturellen Zentrum geboten haben, findet sie nach der Rückkehr nach Detmold keinen Ersatz mehr. Jetzt reicht ihr auch nicht mehr die doch bis dato innige Beziehung zu Mutter und Vater, vor allem da letzterer nicht in der Lage ist, sie als eine geistig eigenständige Persönlichkeit, als "Individualität" wahrzunehmen. Längst hat sie sich einer demokratisch geprägten Weltsicht zugewandt, die ihrem Umfeld noch verborgen bleibt, auch dass sie sich in eine Richtung entwickelt, die dem zeitgenössischen Frauenbild nicht entspricht.

Theodor Althaus
Diese politische Orientierung und das darin begründete Bedürfnis nach freiem Gedankenaustausch wird für Malwidas Umgebung dann offensichtlich, als die inzwischen 28jährige 1844 den Sohn ihres Religionslehrers, den jungen Theologen Theodor Althaus, kennenlernt, Schüler des Demokraten Gottfried Kinkel und als Burschenschafter ein Vertreter der Ideen und Ideale des Vormärz. Dessen Predigten und Schriften huldigen demokratischen Anschauungen. Für Malwida ist er der "Prophet einer neuen Wahrheit". 

Eng befreundet mit Theodors Schwester Elisabeth und mit dieser in einem "Bund" verknüpft, wird der junge Mann jetzt als Dritter in diesem Bund aufgenommen, der zu diesem Zeitpunkt den wichtigsten Teil in Malwidas Leben ausmacht. Daneben hat sie mit ihrer Schwester Laura noch einen Verein der Arbeit für Arme gegründet, in dem Kleider, Strümpfe, Schürzen und Ähnliches hergestellt werden, die  an Bedürftige verteilt werden. 

Im September des Jahres begibt sie sich mit ihrer Schwägerin Caroline von Meysenbug auf eine Reise in die Provençe, die bis Mai 1845 andauern soll. Die Schönheit der Landschaft erschließt sich ihr erst nach und nach, schneller die Tatsache der sozialen Ungleichheit im Land, die augenscheinlich argen Existenzbedingungen der Menschen berühren sie. Nach einem Ball, bei dem sie es durchaus zu schätzen weiß, im Mittelpunkt zu stehen, stellt sie für sich fest, dass das "keine Bedeutung mehr in meinem Leben" hat. Jetzt, fern der Familie, sieht sie sie auch die Notwendigkeit, sich von dieser und ihren Wertvorstellungen zu lösen. Ihre Reiseeindrücke hält sie  übrigens in Zeichnungen fest - eine Gewohnheit, die sie auch später auf allen ihren Reisen beibehalten wird und von der viele bisher unbeachtete Werke zeugen: "Die Malerei war immer meine liebste Kunst."

Nach ihrer Rückkehr - Malwida ist inzwischen 29 Jahre alt - nimmt sie den Kontakt zum sechs Jahre jüngeren Althaus wieder auf. Er besucht sie so oft wie möglich in ihrem Zuhause, sie schreiben sich Briefe, in denen es um Fragen der Religion, der Politik und vor allem um soziale Belange geht, aber weniger um ihre persönliche Beziehung. Als Althaus jedoch persönlicher und liebevoller in seinen Briefen wird, kommen Malwida Einwände: Er sei doch so viel jünger als sie, noch Student, kann keinen eigenen Hausstand gründen ( eine andere Verbindung als die Ehe kommt in ihren Kreisen nicht infrage ). Und:
"Nicht für einen Augenblick kam mir der Gedanke, seine Freiheit zu beschränken, ein Versprechen von ihm zu verlangen, ihn zurückzuhalten von den Kreisen, wo sein Geist seine Schwingen mächtig entfalten konnte."
Sie möchte also die Beziehung "auf den Verkehr zweier Seelen" beschränkt sehen und "um keinen Preis anders nennen als Freundschaft." Durch den Umgang mit ihm, der seine freigeistigen Anschauungen inzwischen auch in einem Buch offengelegt hat, fühlt sich auch Malwida in ihrer aufklärerischen Haltung bestätigt und zeigt diese jetzt ganz offen. Das löst in der Familie Unverständnis und Unmut aus, und zeitweise wird sie von allen Gesprächen ausgeschlossen. Besonders ihr Bruder Carl, selbst in fürstlichen Diensten, distanziert sich von ihr. 

Auch Malwida selbst zieht sich nun aus dem gesellschaftlichen Leben Detmolds fast ganz zurück, weil Althaus dort ebenfalls abgelehnt wird, und widmet sich nun noch intensiver ihrem Literaturstudium. Dem zunehmendem sozialen Druck in der Gesellschaft der Residenzstadt entzieht sie sich schließlich durch eine Reise zum Vater. Althaus selbst nimmt 1847 eine Mitarbeit bei den "Sächsischen Vaterlandsblättern" in Leipzig auf, die durch den Redakteur und Begründer des Deutschkatholizismus Robert Blum in ganz Deutschland bekannt sind. "So endete der Frühling meines Lebens", wird sie diese Entwicklung später in ihren Erinnerungen kommentieren.

 Laura links, Malwida rechts
Am Ende  des Jahres 1847, Malwida ist noch keine 32 Jahre, stirbt der Vater. Außer ein paar Kleinigkeiten ist kein Erbe vorhanden, von dem man leben könnte - weder für die Töchter noch für die Söhne. Die Brüder plädieren dafür, dass die beiden jüngsten Schwester heiraten sollen. Dagegen begehren Laura und Malwida auf. Die will sich lieber einen Broterwerb suchen, was den Bruch mit den Brüdern zur Folge hat.

Noch bleibt Mutter Ernestine mit den beiden Töchtern in Frankfurt, wo Malwida ganz in den Sog der politischen Ereignisse der Märzrevolution gerät und Anteil nimmt an den Vorbereitungen der Nationalversammlung, die am 18. Mai 1848 in Frankfurt stattfinden soll. Begeistert verfolgt sie die Debatten der Abgeordneten des ersten deutschen Parlamentes in der Paulskirche von einem Versteck auf der Galerie aus - Frauen sind damals nicht zugelassen!

Als die Mutter ernsthaft eine Rückkehr nach Detmold ins Auge fasst, muss sich Malwida eingestehen, dass Detmold für sie eigentlich nicht mehr in Frage kommt. Ihr wird aber auch klar, dass ökonomische Unabhängigkeit unerlässlich ist. Doch noch fehlt ihr der Mut, sich endgültig zu trennen.

In Detmold hält sie sich nun aber immer mehr im Pfarrhaus auf, wo sie in Theodor Althaus Mutter und Carl Volckhausen, seinem Freund, zu ihr passende, demokratisch gesinnte Diskussionspartner findet. Dort liest man sich Briefe des fernen Freundes vor. Und eines Tages wird Malwida aus einer Bemerkung in einem Brief klar, dass Theodor wohl eine andere Beziehung eingegangen ist. Ein "vergifteter Pfeil" trifft ihr Herz, aber sie ist zu stolz, um nachzufragen, und zieht sich zurück, schreibt keine Briefe mehr und wechselt bei Besuchen nur noch knappe Worte mit dem einst Geliebten. ( Der wird übrigens 1849 zu drei Jahren Festungshaft wegen Hochverrats verurteilt & eingekerkert und stirbt 1852 an Leukämie.  )

Erst im Jahr darauf wagt Malwida endgültig die Trennung von der Familie & Detmold: Dem anfänglichen Plan, nach Amerika auszuwandern - die Mutter findet es "tollkühn" und "unweiblich", als sie davon erfährt - zieht sie dann eine kleinere Lösung vor, sich vor dem völligen Bruch fürchtend. Mit dem Einverständnis der Mutter, die sie sogar auf dem Weg dorthin begleitet, geht sie nun an die Hamburger "Hochschule für das weibliche Geschlecht". Johanna und Karl Fröbel, die die Schule leiten, nehmen sie freundschaftlich auf, und es folgt eine engagierte Zeit in der neuen Umgebung. So betreut sie eine Anzahl verarmter Familien, lernt das namenlose Elend in der Stadt kennen, besonders auch das der Prostitution. Ihr väterliches Erbe sichert immerhin einen bescheidenen, aber regelmäßigen Lebensunterhalt. Sie sagt sich offen von der Kirche los und verzichtet auf ihr Recht, als Adelige im Alter in einem Stift versorgt zu werden. 1850 tritt sie auch erstmals journalistisch in Erscheinung und veröffentlicht ihren ersten Artikel im "Mainzer Tageblatt".

Der Aufenthalt in Hamburg an der Hochschule dauert kaum zwei Jahre, weil diese 1852 als "Herd der Demagogie" in die Schlagzeilen und damit in Misskredit gerät. Um sich nicht der drohenden staatlichen Bevormundung aussetzen zu müssen, verabschieden sich zuerst die Fröbels von der Schule, dann gibt die Leitung das gesamte Projekt auf. Malwida macht sich auf zu neuen Ufern und übersiedelt nach Berlin. 

Aufgrund ihrer Kontakte zu demokratischen Zirkeln und Publizisten macht sie sich auch dort bald verdächtig. Der jüngste Bruder, badischer Gesandter in Preußen, versucht sie noch einmal davon zu überzeugen, dass ihr Platz als Frau in der Familie sei. Doch Malwida ist in ihrem Standpunkt inzwischen so gefestigt wie der Bruder in seinem. Nach einer Denunziation durch ihn wird eine Durchsuchung ihres Zimmers und Beschlagnahme ihrer Briefe und anderer Schriftstücke sowie ein polizeiliches Verhör angestellt. Bei letzterem versucht der Beamte mit diversen Mitteln, sie moralisch unter Druck zu setzen bzw. zu verunsichern.

St.Katharinen - Dock London (1850)
Weil ihr dabei auch ein zweites Verhör nach der Durchsicht ihrer Briefe in Aussicht gestellt wird, befürchtet ihre Berliner Freundin Charlotte Voß die Verhaftung, empfiehlt Malwida zu fliehen und organisiert das Ganze: 

Noch am gleichen Tag wird sie auf Umwegen zu einer anderen Familie gebracht, von dort zum Zug nach Hamburg. In der Hansestadt bereiten der Freund Volckhausen und Emilie Wüstenfeld alles für ein unverzügliche Abreise nach England. Am 25. Mai 1852 geht sie an Bord des Schiffes, drei Tage später in London wieder von Bord, ohne Passkontrolle, ohne "beleidigendes Verhör"

Die große Stadt mit ihren dunklen hohen Häusern, der Lärm, die Massen beeindrucken & verunsichern Malwida. Im Gepäck hat sie aber eine Anlaufadresse, und ein freundlicher Busschaffner verhilft ihr, dort anzukommen. Es ist das Domizil von Gottfried und Johanna Kinkel ( siehe auch dieser Post ), mit denen sie schon korrespondiert, aber sich nie persönlich getroffen hat. Gleichwohl ist man sich sofort sympathisch.

Die Kinkels verhelfen ihr zu einem Zimmer, Freunde und Bekannte unterstützen sie materiell, denn es dauert bis sie ihren Lebensunterhalt durch privaten Unterricht in deutscher Sprache zu sichern vermag. Allerdings bleiben die Einkünfte erst einmal kärglich. Aber die asketisch veranlagte Malwida schickt sich nach eigenen Worten rasch in die neue Situation. Sie ist alsbald froh, dass sie nicht als Erzieherin arbeiten muss, denn das hätte bedeutet, dass sie in der Familie leben müsste. So behält sie ihre Autonomie. Und nach und nach sprechen sich ihre Fähigkeiten als Sprachlehrerin herum, denn Deutsch ist im Königreich dank Queen Victorias Prinzgemahl in Mode, und sie kann schließlich mit einer Bekannten von der Hamburger Hochschule ein kleines Reihenhaus mieten.

Malwida pflegt in London den intensiven Kontakt mit den anderen Exilanten aus diversen Ländern Europas. Eine besonders folgenreiche ist die Bekanntschaft mit Alexander Herzen im August 1852. 

Familie Herzen (1853)

Herzen, unehelicher Sohn eines russischen Fürsten und einer Deutschen, ein reicher Emigrant mit umfassender Bildung, Publizist von europäischem Format, einer der fortschrittlichsten Denker seiner Zeit & Sozialrevolutionär, hat Russland 1848 verlassen und zuletzt in Nizza gelebt. Dort hat er bei einem Schiffsunglück seine Mutter und sein Sohn verloren und anschließend seine Frau bei der Geburt des fünften Kindes ( zu Natalie Herzen u.a. vgl. dieser Post ). 

Im Frühjahr 1853 bittet Herzen Malwida, Lehrerin seiner siebenjährigen Tochter Natalie zu werden, die er mit ihrer dreijährigen Schwester Olga endlich zu sich nach London holen will. Malwida willigt ein. Und bald kristallisiert sich aus der Arbeitsbeziehung auch die Möglichkeit eines attraktiven intellektuellen Austausches heraus. 

Ihre philosophischen und politischen Interessen erhalten neue Nahrung, vermitteln sie ihr doch auch Einblicke in die Kultur und die Sprache der anderen europäischen Länder.  Neben Herzen lernt sie in London auch die italienischen Patrioten Guiseppe Mazzini ( vergleiche auch diesen Post ) und Guiseppe Garibaldi kennen, für die sie eine schwärmerische Sympathie an den Tag legt. Endlich kann Malwida ihren Wahlspruch "... aus sich selbst so viel zu machen, als es in der Möglichkeit [der] Natur liegt" verwirklichen! 

Ende des Jahres 1853 zieht Malwida dann sogar als gleichberechtigtes Mitglied in den Haushalt Alexander Herzens und lebt mit ihm eine ideale "Familie der eigenen Wahl". Wichtig ist ihr, dabei Raum für ihre eigenen Bildungsinteressen zu behalten und für ihren selbständigen Broterwerb, also stellt sie diese Bedingungen an Herzen vor Aufnahme der Wohngemeinschaft:
"Ich bot ihm an, die Erziehung der Kinder ganz in die Hand zu nehmen, fügte hinzu, daß ich dazu natürlich ins Haus ziehen müsse, daß ich es aber als eine Pflicht der Freundschaft ansähe und daß jede pekuniäre Verpflichtung zwischen uns aufhöre. Zu dem Zweck würde ich noch wenige Stunden außer dem Haus geben, deren Betrag für meine bescheidenen Bedürfnisse hinreiche. Ich schloß damit, daß es sich von selbst verstände, daß wir beide diesen Vertrag als freie, gleichberechtigte Menschen eingingen, mit voller gegenseitiger Freiheit, ihn zu lösen."
Sie übernimmt aber nicht nur die Erziehungsarbeit, sondern auch die Haushaltsführung. Und während Herzen an seiner gewaltigen Autobiographie "Erlebtes und Gedachtes" schreibt, vertieft sich Malwida in die Naturwissenschaften und in die materialistische Philosophie, lernt Englisch & Russisch, vervollkommnet ihr Französisch, befasst sich eingehend mit russischer Literatur und festigt ihre politischen und sozialen Anschauungen durch die vielen Diskussionen im Hause. 

Und die 40jährige erfährt auch eine neue Liebe, die zu der kleinen Olga Herzen. Es entwickelt sich ein Band wie bei Mutter und Tochter ( und wird über ein halbes Jahrhundert andauern - etwa dreitausend Briefe legen davon Zeugnis ab ), denn Malwida "fühlte all die heiße Liebe, all die Aufopferungsfähigkeit einer Mutter." Ihr Wunsch: "... über solchem jungen Leben zu wachen und es zur schönsten Blüte zu erziehen."

Die ideale "Familie der eigenen Wahl" findet jäh ein Ende, als im April 1856 der russische Publizist & Jugendfreund Herzens, Nikolai Ogarjow, mit seiner jungen Frau Natalie dazu kommt. Diese soll nach dem letzten Willen der verstorbenen Ehefrau Herzens die Sorge für die kleinen Mädchen tragen. Schnell ändert sich das "Klima" im Haushalt, und Rechte & Erziehungsvorstellungen sehr verschiedener Art stehen sich wechselseitig im Weg, alsbald auch noch forciert durch ein geheimes Verhältnis zwischen Natalie Ogarjowa & Herzen.

Aus jenen Tagen sind Briefe überliefert, quasi schriftliche Aussprachen zweier Menschen, die unter einem Dach wohnen, nun aber nicht mehr in der Lage sind, die aufgetretenen Spannungen zu lösen. Malwida trennt sich schließlich voll Bitterkeit und kommt bei ihrer Freundin Charlotte Voss, inzwischen verheiratet mit Althaus Bruder, unter. 

Es folgen wieder innere Kämpfe, erneute Überlegungen, nach Amerika auszuwandern, aber auch die Notwendigkeit des Geldverdienens. Die Freundschaft mit Johanna Kinkel wird wichtig, aber auch die zu Guiseppe Mazzini, der sie motiviert, weiterhin an Diskussionen zur politischen Situation in Europa teilzunehmen. Als Johanna Kinkel im November 1858 unter mysteriösen Umständen stirbt, kümmert sich Malwida um die Familie, unterstützt aber auch Gottfried Kinkel und sein Wochenblatt "Herrmann" mit Übersetzungen aus dem Russischen und Französischen und durch das Schreiben eigener Artikel. Daneben initiiert und betreut sie einen Arbeiter - Bildungsverein. 

Auch für eine kurze Episode bindet sich Malwida wieder an die Familie Herzen, da die kleine Olga zum Problemfall & Prügelknaben der Familie geworden ist nach der Geburt einer gemeinsamen Tochter Natalies mit Alexander Herzen. Schnell stellen sich die alten Unstimmigkeiten wieder ein, und Malwida nimmt das Angebot einer Bekannten an, mit ihr den Winter über in Paris zu verbringen. Sie wittert darin auch die Chance, sich endlich ganz der Schriftstellerei zuwenden zu können. Ihr frühestes literarisches Zeugnis, der Bildungs- und Entwicklungsroman "Florence", ist zu diesem Zeitpunkt im Entstehen und Malwidas Wertegefüge stark im Wandel begriffen, denn sie setzt nun immer weniger auf den Wandel durch Politik als auf die "humanisierende Wirkung" der Kunst.
1869

1860 markiert eine wichtige Zäsur im Leben der Mittvierzigerin, denn nunn beginnen die Wanderjahre der Malwida von Meysenbug: 

In Paris, mit der Familie ihrer Gastgeberin in einem Hotel auf den Champs Elyssées wohnend, ergibt sich bald wieder ein Kreis mit bedeutenden politischen & literarischen Figuren. Allerdings entdeckt Malwida an sich, dass sie das Interesse an derartigen "Oberflächlichkeiten" verloren hat.  Spannender wird nun der Kontakt zu Richard Wagner, den sie bei einem Konzert wiedersieht.  Obwohl der der sie nach einem Treffen 1855 in London noch als "unglaublich garstig" in einem Brief tituliert hat, erleben sich die Beiden jetzt als Seelenverwandte, und es wird Malwida erlaubt, schon am Vormittag zu den Proben ins Wagnerische Domizil zu kommen.
"Nicht das Schicksal, mein eigener Wille führte mich zu Wagner, als mir durch seine Bücher die Erkenntnis von dem neuen Evangelium der musikalisch-dramatischen Kunst aufging, das längst in meiner Seele gelegen hatte."

Als sie im Mai 1860 noch einmal nach London zurückkehrt, erhält sie von Alexander von Herzen die Fürsorge für die inzwischen zehnjährige Olga übertragen, mit der sie im Herbst darauf nach Paris zieht. Dort kann sie abermalig die Kontakte zu Wagner pflegen und mit der Aufzeichnung ihrer Memoiren beginnen. Nach einem kurzen Zwischenspiel in London, um den Sommer 1861 mit der ganzen Familie Herzen zu verbringen, verabschiedet  sich Malwida endgültig von der Stadt. Im Dezember 1862 lässt sie sich mit Olga & ihrer großen Schwester "Tata" schließlich in Florenz nieder, um aber auch weiterhin ein unstetes Leben mit Aufenthalten in Rom, Capri, Venedig, Genf, Bern und immer wieder Florenz zu führen. 

Die begnadete Netzwerkerin macht überall Bekanntschaften mit Prominenten wie Franz Liszt oder Franz von Lenbach und pflegt bereits bestehende. Ansonsten legt sie ihre Tagespläne so an, dass "Tata", die ältere Herzen - Tochter, ihre Malstudien und Olga ihren Gesangsunterricht nehmen kann. Nachmittags stehen Museumsbesuche u.ä. an, abends literarische Studien. Ihr Ziel: Die Mädchen sollen sich zu selbstbewussten Frauen entwickeln und ihr spezielles Talent entfalten, auch um ihren Lebensunterhalt einmal selbst bestreiten zu können. Doch Alexander Herzen "funkt" ihr immer wieder dazwischen ( und ich muss ihre Geduld & ihr Verantwortungsbewusstsein geradezu bewundern ).

Als sich ab 1865 ein zweiter "Familiennucleus" mit Herzens ältestem Sohn in Florenz ergeben hat, der dort Medizin studiert, ist es Malwida möglich, zwei Gesprächsabende pro Woche nach Art der französischen Salons zu etablieren. Die Frauenrechte sind häufiges Gesprächsthema, und "Tata" und Olga dadurch geprägt. Der Revolutionär Herzen erweist sich aber in dieser Hinsicht gegenüber seinen Töchtern als arger Patriarch und ist nicht in der Lage, sie als gleichberechtigte Menschenwesen zu akzeptieren.

1868 gelingt es Malwida endlich, ihre Memoiren zu beenden - auf Französisch. Mit Hilfe Herzens findet sie einen Verleger, und der erste Band - "Mémoires d’une idealiste (entre deux révolutions, 1830-1848)" -  kommt 1869 anonym in Genf heraus. Auch unternimmt Herzen einen erneuten Versuch einer Familienzusammenführung in Paris. Malwida & Olga lassen sich darauf ein, doch das Verhältnis zwischen Malwida und Natalie Ogarjowa erreicht den absoluten Tiefpunkt. Noch bevor eine Veränderung angegangen werden kann, erliegt Alexander Herzen am 21. Januar 1870 in Paris einer Lungenentzündung. 

Malwida mit Olga
Knapp vor Ausbruch des deutsch - französischen Krieges verlassen Malwida & Olga die Stadt und begeben sich auf eine Kur nach Bad Ems. Auf dem Weg von dort nach Florenz gibt Malwida die Trauzeugin bei der Eheschließung Richard Wagners mit der endlich geschiedenen Cosima von Bülow im August 1870 in Luzern in der Schweiz.

Bereits in Paris hat sich eine Liebesbeziehung zwischen Olga Herzen und dem jungen französischen Historiker Gabriel Monod angebahnt, mit dem Malwida schon seit vier Jahren korrespondiert hat. Geheiratet wird 1873 - etwas, dass der nun 57jährigen zu schaffen macht, denn es bedeutet für sie Trennung & Alleinsein. Ihre Zukunftsängste und finanziellen Sorgen - durch Olga hat sie ihre schmale Rente, die sie inzwischen von der Familie nach dem Tod der Mutter 1861 erhält, aufstocken können - schildert sie in Briefen an eine Freundin. Nach der Hochzeit Olgas wird sie dann auch postwendend krank, ihr Augenleiden kehrt zurück. Auf Briefe Cosima Wagners, die sie nach Bayreuth locken will, reagiert sie erst einmal nicht.

Nachdem sie sich auf Ischia etwas erholt hat, reist Malwida schließlich doch nach Bayreuth, wo ihr Cosima eine Wohnung eingerichtet hat und ihr ein Hausmädchen zur Seite stellt. Ihr Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren, hängt auch mit der deutschen Reichsgründung und mit Kanzler Bismarck zusammen, für die sich Malwida nun begeistert. Sie hat inzwischen den typischen Weg vieler deutscher Liberaler jener Zeit eingeschlagen, weg vom Philosophen des Vormärz Ludwig Feuerbach, hin zu Arthur Schopenhauer, dem Verkünder des subjektiven Idealismus, weg vom Demokratismus, hin zu einem geistesaristokratischen Ästhetizismus und weg von der Begeisterung für eine Republik, hin zur Anerkennung der Monarchie in Deutschland.

Links: Cosima und Richard Wagner (1872), Festspielhaus nach Fertigstellung (1873), rechts: Friedrich Nietzsche (1875)


Ein Motiv ist auch, dass sich Malwida von Meysenbug aktiv am Bayreuther Festspielprojekt engagiert. Bei der Grundsteinlegung des Wagnerschen "Festspielhauses" lernt sie  dann Friedrich Nietzsche kennen,  der Wagner & seine Kunst als Hoffnungssymbol einer allgemeinen Kulturerneuerung hochpuscht. Es entsteht eine Beziehung, in der sich Malwida nach Nietzsches eigenem Bekunden als "Freundin Mutter Arzt" einbringt. 

In Nietzsches "Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" findet die Politikverdrossene nun all ihre Vorstellungen und Wünsche gespiegelt: Das Herausragende, Überzeitliche und Vollendete im hellenistischen Geist, die gereinigte, edlere Kultur, die neu erweckt werden soll. Nietzsche wiederum sieht in ihr die "Idealistin", die für ihre Ziele und ihre Liebe manch Ungemach in Kauf nimmt.

Da ihr das Klima in Deutschland auf Dauer nicht bekommt, zieht Malwida auf Rat ihrer Ärzte aber bald zurück nach Italien und dort, nach einer weiteren Kur auf Ischia, lässt sie sich endgültig in Rom nieder. Ihre größere möblierte Wohnung teilt sie den Winter über mit ihren Schwestern Laura und Louise von Medem.

Im Sommer 1875 ist die Übersetzung ihrer Memoiren ins Deutsche fertig, 1876 werden sie um zwei Bände mit der Autobiografie nach 1848 erweitert vom Verleger Auerbach  herausgebracht.  Malwida wird vorher wieder von ihren Dämonen geplagt, ist mit ihrer Übersetzung unzufrieden, scheut sich davor, in der Öffentlichkeit zu stehen usw. Doch die "Memoiren einer Idealistin" werden ein Bestseller und erleben zahlreiche Neuauflagen, die bisher letzte 1998. Sie wird von nun an regelmäßig weitere biografische Bücher, Portraits von Persönlichkeiten ihrer Zeit, aber auch Romane und immer wieder Artikel in Zeitschriften veröffentlichen. 1901 wird sie sogar als erste Frau für den Literaturnobelpreis nominiert.

Franz von Lenbach: Malwida von Meysenbug
(1885)
1876 nimmt sie dann auch an der Eröffnung des Festspielhauses in Bayreuth teil und kann sich endlich mit Olga und ihrer kleinen Familie treffen. Den anschließenden Winter verbringt sie in Sorrent, erst noch gemeinsam mit den Wagners, Nietzsche, seinem Freund Paul Rée und einem seiner Schüler, dann alleine in einer Wohngemeinschaft mit den drei Letztgenannten, zuletzt nicht immer ungetrübt durch inhaltliche Differenzen, weil Nietzsche immer heftiger Kritik an der Musik Wagners übt und schließlich mit ihm bricht – "Ist er nicht eher eine Krankheit?". 

Dennoch beschreibt sie in Briefen an Olga diese Zeit als schönste und ruhigste Phase ihres Lebens. Den Sommer hält sie sich anschließend mit ihrer Ziehtochter und deren Familie in der Schweiz auf. Und dann findet sie auch endlich eine dauerhafte Bleibe in Rom, in der Via Polveriera Nr. 3, mit Aussicht auf das Colosseum, die Campagna und die Albaner Berge. Das wird ihr Zuhause bis zu ihrem Tod bleiben.

Nachdem sie in Rom fest etabliert ist, pflegt Malwida ihre Kontakte und besucht Abendgesellschaften. Als Reaktion auf ihre Memoiren erhält sie nun viele Zuschriften, aus denen weitere Briefkontakte entstehen, besonders zu Frauen wie Meta von Salis - Marschlins, die schließlich eine Zeit bei ihr in Rom leben und dies als Wendepunkt in ihrem Leben ansehen wird. Von Malwida fühlt sie sich auf ihrem Weg in die persönliche Freiheit bestärkt und wird später eine angesehene Frauenrechtlerin. 

Eine andere junge Dame, die sich von Malwida beeindrucken lässt, ist Lou Andreas Salomé, die zusammen mit ihrer Mutter auf Empfehlung Gottfried Kinkels ihr in Rom die Aufwartung macht. Dass die junge Frau dann aber zusammen mit Paul Rée nächtens durch die Straßen Roms streift - das geht der alten Dame entschieden zu weit. Über Rée kommt Lou in Kontakt mit Nietzsche - aber das ist dann noch eine ganz andere Geschichte.

1882 nimmt die Wagnerfreundin natürlich auch an der Uraufführung des "Parsifal" in Bayreuth teil - das letzte Treffen mit dem Komponisten, der im Februar des folgenden Jahres in Venedig stirbt. Im November des Jahres erfährt Malwida vom Tod eines weiteren Freundes, Gottfried Kinkel. Dennoch verläuft ihr eigenes Leben als Schriftstellerin in Rom nun in sehr ruhigen Bahnen, bleibt ihre Wohnung aber weiterhin ein Anziehungspunkt für viele Intellektuelle.

Romain Rolland
(1886)
Als ein weiterer Freund, Alexander von Warsberg, im Mai 1889 stirbt, glaubt Malwida, dass sich die Lücken nun nicht mehr schließen lassen. Doch im Sommer lernt sie bei einem Besuch bei Olga in Versailles den 23jährigen Romain Rolland kennen. 

Als der einen zweijährigen Studienaufenthalt in Rom als Auszeichnung gewährt bekommt, sucht er auch Malwida auf. Sie verbindet die Liebe zur Musik, und die alte Dame mietet extra ein Piano, damit Rolland ihr vorspielen kann. Man macht gemeinsame Ausflüge in die Albaner Berge und die Umgebung Roms, besucht Theater & Konzerte. Und schließlich und endlich führt sie ihn in die internationale Gesellschaft Roms ein. Außerdem öffnet sie dem jungen Mann - "the son of her ideals"- den Zugang zur deutschen Literatur. Das wird zu Rollands Werk "Johan Christof" führen, für das er 1915 den Literaturnobelpreis bekommen wird.

Als Abschluss für die gemeinsamen zwei Jahre in Rom besuchen sie gemeinsam die Bayreuther Festspiele, auch für das "Fräulein von Meysenbug" etwas besonderes, denn es soll ihr letzter Besuch bleiben. In den nächsten Jahren werden sie & Rolland sich dann nur recht selten sehen, aber bis Malwidas Tod führen sie einen regelmäßigen Briefwechsel. Sie bestärkt ihn in seinem schriftstellerischen Streben, korrigiert seine Manuskripte und macht ihm Mut, als der Erfolg lang ausbleibt. Kurz vor ihrem Tod wird er sie noch einmal besuchen.

Obwohl in den nächsten Jahren das Reisen immer beschwerlicher wird, kommt Malwida 1893 noch einmal nach Versailles zu den Monods. Anschließend beschränkt sie sich auf Ziele in Italien, begleitet von ihrem Hausmädchen, später von Mitgliedern der Familie Herzen - Monod, darunter auch die inzwischen erwachsenen Kinder Olgas. 1898 veröffentlicht sie noch ihr Alterswerk "Lebensabend einer Idealistin". Zwei weitere Werke folgen 1900 und 1901. Da ist sie schon gezeichnet von ihrem Unterleibskrebs.

Eine letzte Besucherin ist Marie von Ebner - Eschenbach ( siehe dieser Post ) am 19. April 1903, der Malwida noch hoffnungsvoll sagt: "...vielleicht erhole  ich mich doch noch soweit, dass ich meinen Roman zu Ende schreiben kann." Am 26. April um halb drei spricht sie ihre letzten Worte: "Amore -Pace". Ihrem Wunsch gemäß wird sie verbrannt "als ein Vorbild dessen was freier denkende Generationen mit ihren Toten tun werden". Die Urne mit der Asche wird auf den Friedhof bei der Pyramide des Cestius überführt. 

"Als die Frauenbewegung in Deutschland zum Ende des 19. Jahrhunderts Fahrt aufnahm, war Malwida von Meysenbug eine alte Frau. Sie war an deren Kämpfen und Forderungen nicht aktiv beteiligt, wurde aber gewürdigt als eine, die früh für demokratische Rechte, Mädchen- und Frauenbildung und ökonomische Unabhängigkeit eingetreten war. In der politischen Bewertung ist Malwida von Meysenbug bis heute umstritten, sie wird sowohl als Kämpferin und Rebellin gesehen als auch als letztlich doch unpolitische bürgerliche Tochter. Wahrgenommen wurde sie allerdings in Deutschland immer: In der bürgerlichen Frauenbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre zustimmend, im Nationalsozialismus wurde sie als zu demokratisch abgelehnt, in der DDR als Demokratin gewürdigt, in der Neuen Frauenbewegung als Vorkämpferin wiederentdeckt." So würdigt Cornelia Wenzel in ihrem Beitrag für das "Digitale Deutsche Frauenarchiv" hier Malwida von Meysenbug. 

1930 wurde das auf eine 1904 vom "Verein Frauenbildung-Frauenstudium" gegründete Schule zur Vorbereitung auf das Abitur für Frauen und Mädchen zurückzuführende erste Mädchengymnasium in Kassel nach Malwida von Meysenbug benannt. Doch schon knapp zehn Jahre später wurde durch die nationalsozialistische Schulaufsichtsbehörde in einer Nacht & Nebelaktion eine Umbenennung durchgesetzt, denn das seit 1933 propagierte Idealbild der "Hausfrau und Mutter" stand im blatanten Widerspruch zu den Traditionen der Schule und zu Malwidas Lebensführung und -werk und ihrer "Geistesrichtung [...], die der heutige Staat grundsätzlich ablehnen muss." Und weiter: "... im Ganzen aber sind Weltanschauung und Leben Malwida von Meysenbugs das genaue Gegenteil von der Haltung, zu der unsere weibliche Jugend erzogen werden soll."  ( Quelle hier

Umso peinlicher berührt hat mich, dass Malwida von Meysenbug heute auf Seiten geführt wird, die ganz unverhohlen völkisch - nationalistische Propaganda betreiben. Wenn das kein Missbrauch ist! Aber daran ist frau ja sozusagen inzwischen gewöhnt...





Alle Zitate entstammen, wenn nicht anders vermerkt, den "Memoiren einer Idealistin"

8 Kommentare:

  1. Eine Frau, die mir bislang noch gar nicht bekannt war. Wunderbar, dass du ihre Biographie und Werk in Erinnerung gerufen und ins richtige Licht gerückt hast.
    Liebe Grüße
    ANdrea

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  2. von Helga:

    Liebe Astrid,

    einfach nur informativ und wunderbar ausgearbeitet und in Szene gesetzt, spannend wie ein Krimi, das Leben eines anderen Menschen von Anfang bis zum Ende aufgezeichnet zu bekommen. Meine fam.Mitleser sind Dir gewiß und ich danke Dir mal wieder, allwöchentlich für Deinen Einsatz für uns Frauen.

    Herzlichst Helga und Kerstin

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  3. Ihr Name klingt verstaubt, aber sie war eine wahrhaft ungewöhnliche Frau ihrer Zeit. Soviel international unterwegs, mit so vielen Geistesgrößen bekannt und so umfassend gebildet, das allein ist schon "great". Dass sich sich auch noch in hohem Maße selbst ernährt hat, nötigt mir noch mehr Respekt ab.
    Ein Lebensportrait mit großer Komplexitität hast Du uns da heute wieder vorgestellt, liebe Astrid. Es schwindelt einen fast, wie oft sie umgezogen ist oder einfach bei jemanden gewohnt hat, weil sie selbst gerade keine eigene Wohnung hatte.
    Ein freier Geist. Sicher nicht immer glücklich dabei, aber das Beste daraus machend. Sehr inspirierend.
    Herzlichst dankt und grüßt, Sieglinde

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  4. wow
    was für ein Leben
    wenn man so liest wie sie (und auch andere Frauen die du vorgestellt hast)
    sich in den besten Kreisen (Adel.. Wissenschaft..Literaten und andere Künstler) bewegt haben und vernetzt war so ganz ohne Internet
    da kann es einem fast schwindelig werden ;)
    so ein Leben hätte für 10 Frauen ausgereicht
    danke für das ausführliche Portrait
    gibt es eigentlich heute noch solche Frauen?Oder waren es doch die anderen Zeiten damals .. in denen sich die Frauen viel mehr durchkämpfen mussten
    was heute natürlich Bewunderung hervor ruft

    liebe Grüße
    Rosi

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  5. Wie leidvoll es doch für Malvina war, zu lernen, zu Denken und nicht nur Anhängsel eines Mannes zu sein.... Und trotzdem so erfüllend.
    Danke Dir wieder für eine weiteres interessantes Portrait.
    Liebe Grüße
    Nina

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  6. Da habe ich jemand Neues kennengelernt. Ein ganzes Jahrhundert großer politischer und gesellschaftlicher Veränderungen, wirklich spannend.
    LG
    Magdalena

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  7. Ich kann dich immer nur dafür bewundern, was du immer wieder über die interessanten Frauen ausgräbst. Malwida von Meysenburg war mir nicht bekannt. Sie war wohl eine Rebellin.
    Wie gesagt immer wieder ein Vergnügen
    Liebe Grüße
    Andrea

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  8. Danke dafür... ich muss malwidas spannendes, erlebnisreiches Porträt aus bekannten Gründen in Stationen lesen. Ja, das Auge braucht gut noch 6 Wochen der Regeneration.

    Hab einen schönen Samstag, liebe Grüße aus Augsburg

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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