Dienstag, 16. März 2021

Der Stoizismus in den Zeiten von Corona

 "Der größte Mangel, den Deutschland gerade erlebt,
ist der Mangel an Philosophie."
Wilhelm Schmid, Philosoph, *1953 

"Wer Seelenfrieden sucht, 
kann ihn nicht finden, 
solange er den Grund des Unfriedens 
in sich selbst hat."
Ignatius von Loyola, 1491-1556

"Die Kunst des Lebens ist mehr Ringen als Tanzen."
Marc Aurel, 121-180

Es war am Nachmittag des 16. März 2020, als wir nach einem Besuch des Arztes meines Mannes die Türen unseres Hauses schlossen und bis auf weiteres niemanden mehr hineingelassen haben. Dass es so lange so ganz ähnlich weitergehen würde, haben wir damals nicht angenommen. 




Aber darüber will ich heute nicht schreiben, denn meine Posts, in denen ich meine ganz persönlichen Überlegungen, Gründe und Verhaltensweisen dargelegt habe, haben respektlos - übergriffige bis bösartige Reaktionen von Seiten vor allem anonymer Leser*innen hervorgerufen, dass ich darüber in diesem zurückliegenden Jahr ein Stück weit zur Misanthropin geworden bin und die Einstellung, die mich Jahrzehnte durch meine berufliche Tätigkeit getragen hat, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, sausen gelassen habe.

Vielmehr will ich darüber schreiben, welche philosophische Anschauung bzw. Haltung bei mir die Oberhand gewonnen hat, ohne dass mir das anfangs bewusst gewesen ist bzw. ich es mir in irgendwelchen Ratgebern angelesen habe. Irgendwann in einer Phase der Selbstreflexion war der Begriff dann auf einmal da, hervorgeholt aus den tiefsten Tiefen meiner Erinnerung an meine Schulzeit, und mir wurde klar: Ich bin wohl zur Stoikerin geworden.

Hab ich mich früher selbst eher als jemand erlebt, der sich eher verängstigen und emotional packen ließ, habe ich mich in diesem Jahr in besonderem Maße als jemand erfahren, der Angst und Dramatisierung als pure Zeit- & Energieverschwendung betrachtet, wissenschaftliche, infektiologische Befunde als solche annimmt und das Verhalten darauf ausrichtet. Schon früher hab ich nicht in der Autowerkstatt gestanden und mit dem Kfz-Meister debattiert, sondern seine Kompetenz akzeptiert und ihm vertraut, dass er weiß, was mit meinem dysfunktionalen Fahrzeug zu tun ist. Jetzt halte ich es so mit denen, die auf dem Gebiet der Viren mehr Erfahrung und Sachwissen als ich haben. Ich erliege auch nicht mehr der Versuchung mir einzubilden, dass sich ein Virus durch Aushandeln im politischen Prozess in seinen Auswirkungen verändert. Ein Virus ist ein Virus ist ein Virus, um mal Gertrude Stein aufzugreifen. 

Ich tue immer wieder Dinge, die mir durchaus schwer fallen ( in Coronazeiten dann eher umgekehrt: der Verzicht auf Dinge fällt schon mal schwer ), aber ich habe gemerkt, dass ich dadurch selbstbewusster und sehr viel sicherer geworden bin. Ich lasse mich nicht mehr in schwarze Löcher ziehen, sondern nehme die Herausforderungen, wenn sie denn nun da sind, an ( für uns hat es solche in diesem Jahr nicht zu knapp gegeben ). Ich stelle mich dem Problem, mach mich an die Arbeit und suche die beste Option, auch wenn die nicht immer rundum perfekt ist.

Jeden Morgen umarme ich den neuen Tag, versuche, das Beste aus ihm zu machen. Und kommen negative Gefühle auf, gibt es in mir auch genug Lust, mir nicht diesen Tag kaputt machen zu lassen. Emotionalität ist einfach nicht per se mein Freund, inzwischen eher öfter ein Feind. Es geht einfach darum, sich immer öfter klarzumachen, worüber man die Kontrolle hat und worüber nicht. Und dann raus aus dem Gedankenkarusell damit!

So gewinne ich Zeit und Energie, mir schöne Sachen zu überlegen für die Menschen, denen ich jetzt nicht so nah sein kann, wie ich möchte. Und für mich selbst gibt's als Bereicherung, mich mit Sachen intensiver beschäftigen zu können, also so leidenschaftlich zu agieren, wie ich es mir oft gewünscht habe. Ich fühle mich mit mir selbst oft so viel wohler, als ich es in Zeiten voller Reize & Ablenkungen außerhalb meiner Eremitage gewesen bin.




Vielleicht hat auch meine kölsche Umgebung eine Rolle gespielt, dass ich mich so gewandelt habe, dieses "et kütt wie et kütt", das seit 44 Jahren bei allem mitschwingt. Der genius loci ist hier eben ein ganz anderer als 45 Kilometer rheinabwärts, wo man sich am letzten Wochenende mit der Polizei geprügelt hat, weil man/frau sich einbildet, dass etwas nicht ist, bloß weil man es selber nicht wahrhaben will...