Ohne dass ich es wusste: Der Februar ist #BlackHistoryMonth und auch ich bleibe am heutigen Donnerstag im gleichen politischen Kontext bzw. kulturellen Raum, weil mich die Beschäftigung damit momentan sehr fasziniert. Auch heute geht es wieder um eine Afroamerikanerin mit einer besonderen Begabung, die nicht die Anerkennung bekommen hat, die ihr eigentlich zugestanden hätte, und deren Schicksal einen weiteren Aspekt zum desolaten zivilisatorischen Zustandes des führenden Landes der westlichen Hemisphäre hinzufügt. Heute geht es um die erste schwarze Modedesignerin Ann Cole Lowe, deren Todestag sich nächsten Donnerstag zum vierzigsten Mal jährt.
Ann Cole Lowe kommt am 14. Dezember 1898 in Clayton, Alabama, zur Welt, einer ländlichen Stadt von knapp über zweitausend Einwohnern im überwiegend afroamerikanischen Teil von Alabamas "Cotton Belt", in der ganz unter den Bedingungen der Jim-Crow- Gesetze gelebt wird und in der die meisten Schwarzen um Teilhabe kämpfen müssen. Die weiße und schwarze Bevölkerung ist in jedem erdenklichen Bereich des öffentlichen Lebens getrennt: Schulen, Kirchen, Stadtviertel, Arbeitsstellen, Toiletten, Hotels, Restaurants, Krankenhäuser, Waisenhäuser, Gefängnisse, Bestattungsinstitute, Leichenhallen und Friedhöfe. Dabei ist Anns Familie besser dran als manche weiße Familie, weil die Mutter, die 38jährige Janie Lowe, und die Großmutter Georgia Cole ausgezeichnete Schneiderinnen sind und ein eigenes Geschäft betreiben.
Ann ist die Urenkelin einer Sklavin und eines weißen Plantagenbesitzers, ihre Großmutter Georgia, geborene Thompkins, also gemischter Abstammung, die von ihrem Ehemann, einem freien schwarzen Zimmermann namens General Cole, gekauft und 1860 für frei erklärt worden ist zusammen mit ihrem neugeborenen Baby, Anns Mutter. Georgia hat schon als Sklavin als Näherin gearbeitet und nutzt ihre Fähigkeiten, um sich als Freigelassene ein Geschäft als Kleidermacherin aufzubauen.
Als Ann noch sehr jung ist, ziehen Mutter, Großmutter und Sallie mit ihr nach Montgomery, der Hauptstadt des Staates Alabama, und gründen dort ein Atelier, in dem sie nun Kleider für Hauptstadtgesellschaft nähen. Alsbald floriert das Unternehmen. Die kleine Ann wächst in der Werkstatt auf, beschäftigt sich damit, aus Stoffresten Blumen zu nähen wie aus der Natur, und die schon damals denen ähneln, die später ein Kennzeichen ihrer Modeentwürfe sein werden. Mit zehn Jahren entwickelt sie sogar eigene Schnittmuster.
Mit einer wenig mehr als unzureichenden Grundschulbildung wird das Mädchen nicht aufwarten können, denn im Alabama jener Tage haben schwarze Kinder über vierzig Tage im Jahr weniger Unterricht als weiße, und die Schulen sind materiell sehr viel schlechter gestellt und entsprechen nicht den Standards für "weiße Schulen". Die Analphabetenrate beträgt 1914 in Montgomery unter den Afroamerikanern 29%, bei Kindern sogar 35%.
Nach dem Ende der Schulzeit mit vierzehn Jahren heiratet Ann den zehn Jahre älteren Lee Cone, einen Schneider, mit dem sie in Dothan, etwa 60 Kilometer südlich von Clayton, lebt. Mit ihm bekommt sie bald auch einen Sohn, Arthur Lee. Nach der Heirat erwartet der Ehemann von ihr, dass sie die Arbeit als Näherin aufgibt und sich der Familie widmet. Ann fügt sich eine Weile und entwirft und schneidert nur für sich selbst. Zwei Jahre später stirbt ihre Mutter plötzlich, mitten in der Arbeit an vier Ballkleidern für die First Lady von Alabama, Elizabeth Kirkman O'Neal. Mit den Fertigkeiten, die sie von Mutter und Großmutter gelernt hat, kann Ann diese Arbeit erfolgreich beenden.
"It was my first big test in life", wird sie sich 1966 erinnern, "I remember it was Christmas time and there were a number of unfinished gowns in our house. There was a big affair coming up, the Governor’s Ball on New Year’s Eve, and the ladies were in a terrible panic that their dresses wouldn’t be ready on time."... "After the ball, they told me that they were very happy with what I did and that my work matched my mother’s."
Dort in Florida lebt sie in Lake Thonotasassa, einer Feriengemeinde vierzehn Meilen von Tampa entfernt, im großen viktorianischen Anwesen der Familie am Seeufer zusammen mit dem Ehepaar Lee, ihren sechs Kindern und anderen Mitarbeitern des Hauses. Die Familie stellt Ann und ihrem Sohn die Unterkunft und Verpflegung, zahlt ihr ein Salär und trägt die Kosten für das Material. Sie darf auch Arbeiten von Nachbarn annehmen, und einige Freunde der Familien tragen auch bald Kleider von Annie Cone, wie sie sich weiterhin nennt. Für die zwölfjährige jüngste Tochter, die noch zu jung für ihre Kleider ist, fertigt sie rührenderweise Puppenkleider.
Als erste große Herausforderung für die junge Kleidermacherin erweist sich Ende Dezember 1916 die Hochzeit der 21jährigen Zwillinge der Familie, für die sie nicht nur Brautkleider näht, sondern auch die Ausstattung der Brautjungfern, Blumenmädchen und Bänderträger sowie die Aussteuer der Bräute. Die "Tampa Daily Times" findet die Kleider derart beeindruckend, so dass sie eine detaillierte Beschreibung sogar der Kleider veröffentlicht, mit der die Bräute in die Flitterwochen entschwinden.
Die Familie Lee schätzt Ann wohl sehr, unterstützt sie in ihrem Talent und ermutigt sie, 1917 eine Designschule in New York City zu besuchen, die "S.T. Taylor Design School". Doch auch dort herrscht Rassentrennung:
"The whole idea to admit a Negro girl to a high-class fashion school was absurd and even ridiculous. The director of the famous school, a Frenchman, didn't believe I had the $1,500 for the course-- he just laughed. When I showed him my bankbook, he stopped laughing, but he still didn't believe that I could learn what he was teaching there...he almost didn’t take me when he found out I was a Negro", erzählt sie später in einem Interview.
Deshalb muss Ann auch ihren Unterricht ganz alleine in einem Extra-Raum absolvieren. Sie ist aber so begabt & geschickt, dass sie die Kursarbeiten in der Hälfte der Zeit schafft und ihre Entwürfe den anderen Studierenden als Anschauungsmaterial präsentiert werden. Nach erfolgtem Abschluss - "There is nothing more that we can teach you. You are very good." - und einer kurzen Zeit als finisher in einem Kleiderladen in Manhattan kehrt sie nach Tampa zurück. Die Stadt boomt inzwischen, deshalb scheint es Ann einfacher, dort mit einem eigenen Salon zu reüssieren. Leben kann sie wieder bei der Familie Lee, bis sie dann ca. 1920 eine zweite Ehe schließt. Caleb West ist ein bellman in einem Hotel.
Ann kann im Laufe der Zeit in Tampa 18 Schneiderinnen für sich arbeiten lassen. Damit diese ihren hohen Ansprüchen gerecht werden können, mietet sie einen Arbeitsraum hinter ihrer Wohnung und bildet dort Nachbarinnen zu exzellenten Kleidermacherinnen aus, die auch nach ihrem Abgang alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu "Annie Cone West" erfolgreiche Geschäfte werden führen können.
Anns Angebot richtet sich nach wie vor an die exklusive Gruppe weißer Mitglieder der High Society der Stadt. Obwohl sie alle Arten von Kleidungsstücken produziert, wird sie am meisten geschätzt für ihre exquisiten Hochzeits- und Ballkleider. In einer Zeitung heißt es einmal, dass die Betrachter "really almost breathless at their marvelous beauty" gewesen seien. Und jedes Kleid bleibt ein Unikat: Nach der Erstellung wirft Ann die zugrundeliegende Skizze sowie die Reststoffe weg. Werbung benötigt sie keine, es reicht die Mund-zu-Mund-Propaganda.
"Gasparilla Court" in den 1910er und 1920er Jahren |
In Tampa wird alljährlich seit 1904 eine gesellschaftliche Veranstaltung namens "Gasparilla Festival" von einer Organisation namens "Ye Mystic Krewe of Gasparilla" arrangiert, mit denen Ann eine Kooperation eingeht und für die sie die Kostüme entwirft und fertigt- ein einträgliches joint venture.
Die jungen Mädchen aus den besten Familien konkurrieren miteinander um den Titel der Gasparilla-Königin, die dem "Gasparilla Court" vorstehen wird. Und alle wollen dafür Kleider von "Annie Cone". "Wenn Sie kein Gasparilla-Kleid von Annie haben, können Sie gleich zu Hause bleiben", heißt es. Die Gasparilla-Königin von 1924, Sarah Keller Hobbs, erinnert sich später noch: "Es gab nie jemanden wie Annie."
Auch Ann erinnert sich später gerne an ihre Zeit in Tampa und ihre Kunden dort. "I have always felt you were sincere", wird sie später an die Lees schreiben. Doch wegen der strikten Rassentrennung ist es ihr in Tampa nicht möglich, einen Salon im weißen Wohndistrikt zu führen. Das ist ihr auf Dauer zu wenig:
"I just knew that if I could come to New York and make dresses for society people, my dreams would be fulfilled", wird sie rückblickend in einem Interview äußern.
Als sie 20.000 Dollar zusammen hat durch Sparen und fundraising bei den Lees und einigen anderen großzügigen Kundinnen in Tampa, zieht sie mit ihrem Sohn 1928 weiter nach New York City, wieder bestärkt von den Lees, die ihren Ehrgeiz akzeptieren und ihre Entschlossenheit bewundern.
Eine lokale Zeitung kommentiert Ann's Abschied damals so:
"Es gibt viel Weinen und Heulen und vielleicht Zähneknirschen, um den alten Ausdruck zu verwenden, unter den Dienstmädchen der Tampa Society über die Tatsache, dass Annie Cone [wie sie damals genannt wurde] nach New York City geht … Die weibliche Gesellschaft fragt sich, wie sie die zukünftigen sozialen Jahreszeiten ohne ihre Hilfe überleben kann." Und fast vierzig Jahre später schreibt die "Tampa Tribune" in einem Artikel über die unglaublich beliebte Designerin: "Jede, mit der wir gesprochen haben und die ein Kleid von Ann Lowe trug, erinnert sich deutlich und nostalgisch daran."
Ann wird nie über die emotionalen Auswirkungen ihres Wechsels zwischen einem restriktiven Leben im tiefen Süden und der relativen Gleichheit in der Metropole reden, aber es dürfte schon ein Gewinn gewesen sein, ein Leben voller diskriminierender Gesetze hinter sich zu lassen. Rückblickend wird sie aber sagen, dass sie den ökonomischen Aspekten ihrer Unternehmungen immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat ( ein Dauerproblem während ihrer ganzen Karriere! ). Und das wird alsbald ein Problem:
Sie hat sich einen Arbeitsraum im dritten Stock in der West 46th Street gemietet und hangelt sich anschließend ein Jahr mit wenigen Aufträgen durch. Und dann: die Weltwirtschaftskrise! Die New Yorkerinnen haben jetzt weniger Sinn und Geld für Luxusgüter. Ann geht das Geld aus, und nur ihre Tampa - Klientel kann sie mit Aufträgen über Wasser halten.
Deshalb macht sie sich auf Arbeitssuche durch zahlreiche Geschäfte, bittet um einem Arbeitsplatz und etwas Stoff, bietet an die Kleider "für nichts" anzufertigen und erst bezahlt zu werden, wenn das Stück verkauft worden ist. Als sich ein Geschäft darauf einlässt, kreiert sie eine ihrer außergewöhnlichen Roben nach eigenem Design und hat sofort Erfolg: Es wird verkauft. Und viele andere werden noch folgen.
Sie arbeitet bald auf Provisionsbasis für Hattie Carnegie, "Chez Sonia" ( Sonia Levienne ) und "Sonia Gowns" ( Sonia Rosenberg ). Sie verdient lange nicht das, was sie in Tampa verdient hat, aber sie kann weiternähen - für sie das größte Glück -, ein Appartement in einem angesagten Teil Harlems mieten und den anderen Schneiderinnen der Familie wie Ruth Williams, die sie adoptiert hat, und ihrer Cousine Tommie Mae Cole Arbeit bieten, so dass sie in New York bleiben können. Ab den 1930er Jahren lebt auch ihre Schwester Sallie Mathis bei ihr in der Wohnung in der Manhattan Avenue. Anns freiberufliche Aktivitäten reichen, um mögliche Kunden in der Stadt mit ihren Qualitäten bekannt zu machen.
Einen hilfreichen push versetzt ihr die Bekanntschaft mit Polly Bush, eine lokale Gesellschaftsdame, die sie unter ihre Fittiche nimmt und sie mit den richtigen Familien bekannt macht. Es entwickeln sich lange Arbeitsbeziehungen zu den Familien Dupont, Auchincloss, Vanderpoel, Lodge und Hamilton und es dauert dann nicht mehr lange, dass Ann exklusiv für die Familien des New Yorker Social Register entwirft.
"I love my clothes and am particular about who wears them," wird sie später einmal der Zeitschrift "Ebony" gestehen. "I am not interested in sewing for cafe society of social climbers. I do not cater to Mary and Sue. I sew for families of the Social Register," und sich dazu bekennen, ein Snob zu sein.
Sie etabliert sich als Marktführerin in puncto außergewöhnliche Brautkleider und erobert sich ein neues Sujet: das Debütantinnenkleid. Ein lukratives Geschäft für Kleidermacher*innen, denn dazu gehören auch, so die "New York Times", “a grand ball gown, a simple ball gown, a good all-day suit and coat and two cocktail or tea- dance dresses."
Dennoch wird erst in den 1940er ein Kleid Anns Etikett im Innern tragen: das Brautkleid von Jane Tanner Trimingham, das sich heute in der Sammlung des Kostüminstituts des Metropolitan Museum of Art befindet.
Je erfolgreicher sie wird, desto größer die Probleme mit dem Ehemann. Hat der sich noch ganz anders als der erste in Tampa als kooperativ erwiesen und ist ihr anfangs noch nach New York gefolgt, will er aber alsbald keine Frau mehr, die immer aus dem Bett spränge, um Kleider zu zeichnen. "Als er sah, dass Kleider mein Leben waren, hat er wohl aufgegeben", kommentiert Ann. Caleb West klagt schließlich in Hartford, Connecticut, auf Scheidung wegen Verlassens. Die Scheidung wird Ende Januar 1942 bewilligt. Ann wird kein Sterbenswort über diese Sache verlieren.
Details der Nähkünste Ann Cole Lowes |
Ann arbeitet weiter für andere Häuser wie für private Kunden. Sie orientiert sich an den traditionellen Methoden der Couture, die sehr arbeitsintensiv sind. Eine Fertigkeit, die schon Mutter & Großmutter perfektioniert haben, ist die Trapunto - Technik, eine textiles Verfahren, das dem Stoff eine dritte Dimension verleiht und ein volleres, eleganteres Finish schafft. Ann behält auch über die Jahre ihre Vorliebe für kleine Blumen, aus feinen Stoffen gefertigt. Eine ihrer Spezialitäten ist, BHs in ihre Kleider einzubauen und Nähte mit feiner Spitze abzudecken.
Die "Saturday Evening Post" wird Ann Cole Lowe später "das bestgehütete Geheimnis der Gesellschaft" nennen, denn offen bekennt sich in der High Sociey keine zur schwarzen Schöpferin ihrer prachtvollen, viel beachteten Roben. So macht sich Ann also nie den Namen in der Modewelt, den sie eigentlich aufgrund ihres Könnens verdient hat. In der Jim Crowe-Ära der Vereinigten Staaten ist man da unerbittlich.
Olivia de Havilland bei der Oskar - Verleihung 1946 |
1946 ergäbe sich die Gelegenheit, überregional bekannt zu werden, als Olivia de Havilland den Oscar für die beste Schauspielerin in einem vielbeachteten handbemaltem Kleid entgegennimmt, das in Wahrheit von Ann stammt, aber das Etikett "Sonia Rosenberg" trägt. Zahllose Zeitungen übers ganze Land zeigen das Kleid - eigentlich eine gute Möglichkeit, für Ann unbezahlt die Werbetrommel zu rühren.
Auch bei einer Zusammenarbeit mit Hattie Carnegie, die Stars wie Joan Crawford oder Lucille Ball ausstattet, wird sie wieder verdrängt: Als Lucille Ball in Anns Kleidern für die "Vogue" fotografiert wird, fehlt im Abspann des Magazins ihr Name. Selbst in der afroamerikanischen Presse erhält die fähige schwarze Modedesignerin wenig Aufmerksamkeit. Aber "Ebony" - Leser gehören halt nicht zu ihrem potentiellen Kundenkreis.
Immerhin: Die "New York World", eine führende afroamerikanische Publikation, ermöglicht der Modedesignerin 1947 die Reise zur Fashion Week nach Paris. Dort wird sie immerhin Christian Dior vorgestellt. Ein On-Dit in der Branche besagt, dass Dior, als er einmal ein von Ann Cole Lowe geschaffenes Stück in die Hände bekommen hat, von ihrer Handwerkskunst begeistert ist und sofort wissen will, wer das Kleid gemacht habe.
Bis Ende der vierziger Jahre hat Anns Geschäft die finanziellen Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise und die Versorgungsengpässe des Zweiten Weltkriegs gut überstanden. Sie ist zwar nicht wohlhabend geworden, aber immer zahlungsfähig und gut im Geschäft geblieben. Junge Frauen, die im Alter von neunzehn in ihren Kleidern ihr Debüt gegeben haben, kehren einige Jahre später zu ihr zurück, wenn sie sich verheiraten, und diese Art von Wachstum bringt sie in die Lage, einen weiteren Laden zu eröffnen.
Debütantinnenkleid von 1956 Source |
Das ist ungefähr zu der Zeit, als sich Janet Lee Bouvier, nun Auchincloss, wieder an Ann wendet, um ein Brautkleid für ihre ältere Tochter Lee in Auftrag zu geben. Letztendlich entscheidet man sich aber dafür, das Kleid von Pauline Trigère anfertigen zu lassen, weil diese angeblich billiger arbeitet. Ann verlangt für ein Kleid ungefähr 500 US-Dollar ( was heute einem Wert von 5.000 Dollar entspricht ). Ein ähnliches Kleid wird seinerzeit aber schon für 1.500 US-Dollar verkauft. Die Preisgestaltung ist während Anns gesamter Karriere ein fortdauerndes Problem, denn sie wird nie angemessene Preise fordern und sie lässt sich oft von ihren vermögenden Kundinnen herunterhandeln.
Später im Jahr 1953 darf Ann dann doch noch ein Hochzeitskleid für die Bouvier-Auchincloss-Sippe anfertigen. Es ist das berühmte Kleid aus elfenbeinfarbenem Seidentaft der zweiten Tochter, Jacqueline "Jackie" Bouvier, für ihre Hochzeit mit dem Senator John F. Kennedy. Außerdem sind fünfzehn Kleider für die Brautjungfern gefordert.
Anns Hochzeitskleid steht in einem scharfen Kontrast zu dem sophistischen, klaren Modestil ( den mein Mutter so gern kopiert hat ) mit klassischen Linien und klaren Farben, mit dem Jackie Kennedy in den Sixties Furore macht und die der Modemacher Oleg Cassini für sie kreieren wird. Um dieses Kleid mit den Rüschen über Rüschen ranken sich dann auch viele Geschichten:
Historiker, die sich mit der Geschichte des Kennedy - Clans beschäftigen, behaupten, dass der Patriarch Joseph Kennedy in Anbetracht seiner ehrgeizigen Pläne für seinen Sohn ein traditionelles Kleid gewünscht hat. Dass dieses zudem von einer "bescheidenen" afroamerikanischen Schneiderin gefertigt worden ist, gibt dem Ganzen die progressive, wenig bedrohlich wirkende Note, die zur politischen Richtung passt, die die Demokratische Partei in Zukunft zu verfolgen gedenkt.
Der Wasserrohrbruch in Anns Studio fügt der Geschichte eher einen wundersame Aspekt hinzu, denn der macht die ganze Arbeit zehn Tage vor der Trauungszeremonie zunichte. Das Brautkleid und zehn der roséfarbenen Kleider der Brautjungfern sind nicht mehr zu gebrauchen. Ann bestellt neue Seide, engagiert weitere Näherinnen und näht ruhelos mit ihrem Team, Tag & Nacht - allein für das Brautkleid hat sie zuvor zwei Monate benötigt - und kann alles rechtzeitig abliefern. Der Familie wird sie nie erzählen, was passiert ist, und sie stellt auch keine zusätzlichen Kosten in Rechnung. Selbst mit der gezahlten Provision gerät sie mit diesem Projekt nahe an den Bankrott.
Für eine politische Note sorgt dann noch diese Episode: Dort in New Port, Rhode Island, wohin sie mit dem Nachtzug von Manhattan gefahren ist, verweigert man Ann den Zutritt zum Landsitz, auf dem die Feier stattfinden soll, und verweist darauf, dass Schwarze den Serviceeingang auf der Rückseite zu benutzen haben. Ann kontert angeblich: "Wenn ich die Hintertür benutzen muss, werden sie die Kleider nicht haben!" Sie wird schließlich durch den Haupteingang eingelassen...
( Fotos von der Hochzeit sind zum Beispiel hier zu betrachten. Im Text wird das Kleid übrigens Valentino zugeschrieben. )
Jackie Kennedys Brautkleid, "nachgebaut" aus dem haltbareren Papier statt Seide Source |
"The bride wore a gown of ivory silk taffeta, made with a fitted bodice embellished with interwoven bands of tucking finished with a portrait neckline and a bouffant skirt. She wore an heirloom veil of rose point lace that had been worn by her grandmother. The veil was draped from a tiara of lace and orange blossoms and extended in a long train."
Mit keinem Wort erwähnt wird, von wem das Kleid stammt, das mitten auf dem Titelblatt prangt. Wieder ist Ann Cole Lowe um die Chance gebracht worden, ihr Geschäft derart anzukurbeln, wie es eine Werbekampagne nie vermocht hätte, und aus ihr den nächsten "globalen Modestar" zu machen. Auch andere, auch internationale Zeitungen und Magazine, lassen die Schöpferin des märchenhaften Brautkleides im Geheimen.
Als Mode-Reporter Jackie Kennedy nach der Hochzeit nach ihrem Kleid fragen, bezeichnet sie die Designerin als "a colored woman dressmaker" und mit diesen Worten verdampft sie die Möglichkeit einer kostenlosen Werbung für Ann Cole Lowes Salon in der Madison Avenue zu heißer Luft und legt eine arrogante, rassistische Haltung an den Tag. ( Einzig die "Washington Post" schreibt: "… the dress was designed by a Negro, Ann Lowe." )
1955 verlegt Ann "Ann Lowe Gowns" in die Lexington Avenue 973. Sie hat nach wie vor viel zu tun, sucht ständig erfahrene Schneiderinnen, die in der Lage sind "eine teure Linie von Maß- und Großhandelskleidern zu drapieren und herzustellen". Auch arbeitet sie wieder für den "Gasparilla Court".
Als Arthur Cone 1958 bei einem Autounfall umkommt, ist es auch mit dem geschäftlichen Glück vorbei: Arthur, der seit der Episode mit den Stehlis die finanziellen Aspekte des Geschäfts seiner Mutter im Auge behalten hat, hat ernsthafte Probleme seiner Mutter bis dahin verhindern können. Doch sie stellt keinen neuen Buchhalter als Ersatz ein. Ein Glaukom des rechten Auges macht ihr zudem zu schaffen. Alles wächst ihr über ihren Kopf, und so kommt es, dass sie bis 1960 ihre Steuern schuldig bleibt und Rechnungen nicht bezahlt, und sie ihr Geschäft schließen muss. Ab da ist sie auch ohne Werkstat.
Source |
Als die Inaugurationsfeier für John F. Kennedy im Januar 1961 ansteht, macht sich Ann Hoffnung auf den Auftrag, die neue First Lady einzukleiden. Doch Jackie lässt ihre modische Vergangenheit weit hinter sich und entscheidet sich für Kleidung von Bergdorf Goodman, entworfen von Oleg Cassini. Es wird erzählt, dass Ann sehr enttäuscht gewesen ist.
Ihre finanziellen Probleme münden 1962 in einer Insolvenz. Sie muss Saks verlassen und versucht sich wieder mit einem kleinen eigenen Atelier. Nur noch ihre Schwester Sallie bleibt an ihrer Seite. Ihre Augenerkrankung macht Ann das Zeichnen und Nähen immer unmöglicher. Als sie dieses Atelier schließen muss, läuft sie "schluchzend auf die Straße ... die Tränen hörten nicht auf." Kurz danach wird ihr rechtes Auge, das durch das Glaukom schwer beschädigt ist, entfernt - ein endgültiges Aus.
Doch nach einer Phase der Rehabilitation heuert sie an bei "Madeline Couture", einem Geschäft in New York City. Als sie dort eine eigene Show haben soll, macht ihr nun das verbliebene Auge, das ernsthaft durch den Grauen Star beeinträchtigt wird, Probleme. Doch wie soll sie sich ohne Alterssicherung und Ersparnisse einen totalen Rückzug leisten? "If I can’t design dresses, I’d rather fly off the Empire State Building", klagt sie dem Augenarzt, den ihr ehemalige Kundinnen verschafft haben, um ihr zu helfen. Der operiert sie im August 1964 auf eigene Kosten.
Auf dem rechten Foto mit ihrer Adoptivtochter Ruth (1966) |
Das Glück scheint wieder zurückzukehren: Bald nach der Operation werden für Ann die Steuerschulden bezahlt und der Ärger mit der Bundessteuerbehörde durch eine "anonyme Freundin" behoben. Auch ihre übrigen Schulden werden halbiert.Die Designerin hat ihre eigene Meinung, um wen es sich bei dieser "Freundin" gehandelt habe:
"Ann always felt it was Mrs. Kennedy, and I like to think it was and that she did so because she had learned of the wedding dress disaster and Ann’s integrity in righting the situation", so ihre spätere Biografin Julia Faye Smith.
Kleidermachen ist und bleibt das Wichtigste in Anns Leben:
"I like for my dresses to be admired,” erzählt sie der "Saturday Evening Post" 1964. "I like to hear about it—the oohs and ahs as they come into the ballroom. Like when someone tells me, ‘the Ann Lowe dresses were doing all of the dancing at the cotillion last night.’ That’s what I like to hear."
Also arbeitet sie, so gut es geht, weiter in ihrem bescheidenen Harlemer Appartement für ihr neues Label "Ann Lowe's Originals", bis zu deren Tod 1967 von ihrer Schwester und ihrer Adoptivtochter Ruth Williams Alexander unterstützt. 1972 geht es endgültig nicht mehr weiter.
Die letzten fünf Jahren ihres Lebens verbringt Ann Cole Lowe bei ihrer Tochter Ruth in Long Islands. Dort stirbt sie am 25. Februar 1981 nach längerer Krankheit. Ihre Trauerfeier findet am 3. März in der St. Marks United Methodist Church, ihrer Heimatgemeinde statt.
In den 1980er und 1990er Jahren beginnt man sich wieder an die schwarze Modedesignerinn zu erinnern. Afroamerikanische Historiker*innen beginnen sie wiederzuentdecken und Modehistoriker*innen rücken ihre schöpferische Arbeit wieder ins Rampenlicht. 2016 erscheint eine Biografie von Julia Faye Dockery: "Something to Prove: A Biography of Ann Lowe America's Forgotten Designer", ein Jahr später veröffentlich Deborah Blumenthal ein Bilderbuch: "Fancy Party Gowns: The Story of Fashion Designer Ann Cole Lowe" ( ein Ausschnitt ist auf dem ersten Foto zu sehen ). Ich verdanke viele fundierte Informationen Margaret E. Powell und ihrer Master-Arbeit am "Corcoran College of Art & Design"von 2012. Mehr der märchenhaften Modeschöpfungen der Ann Cole Lowe kann frau auf diesem Pinterest - Board bewundern.
Ich war fasziniert auch von diesem Lebenslauf, der eigentlich den gleichen Ausgangspunkt hatte wie der am letzten Donnerstag geschilderte von Charlotta Bass und sich doch so unterschied in der Strategie, die Rassendiskriminierung anzugehen. Ann Cole Lowes Ziel war "zu beweisen, dass ein Neger ein bedeutender Kleidungsdesigner werden kann".
"Ann war eine liebenswürdige, sanfte Frau. Hätte sie heute entworfen, würde sie als eine der großen Designerinnen gelten. Ihre Zeit in der Geschichte war gegen sie", hat eine ehemalige Kundin über sie gesagt. Sehe ich auch so!
Faszinierend. Sowohl die Frau, ihre Kleider, als auch Deine Zusammenfassung dieses interessanten Lebens. Beeindruckt hat mich, wie unterschiedlich doch Menschen wieder einmal mit dem "Anders" umgehen. Auf der einen Seite (wo ich es weniger erwartet hätte) wird sie unterstützt (zB die Lees) und dann als Nebensache abgetan und ausgenutzt. Diese Roben lassen auf den kleinen Bildern ja nur einen Bruchteil der Handwerkskunst erahnen. Das SW Bild zeigt ihre Kunst meines Erachtens am Meisten.
AntwortenLöschenJedenfalls vielen Dank wieder einmal für ein interessantes Frauen Leben, welches mir vorher unbekannt war.
Liebe Grüße
Nina
Wow, was für eine spannende, hochtalentierte Frau! Es ist so traurig, dass sie in der "falschen" Zeit geboren und um den Erfolg und Ruhm gebracht wurde.
AntwortenLöschenIch habe dein Portrait wieder ganz gebannt am Frühstückstisch gelesen (statt Zeitung...)
Liebe Grüße
Andrea
Sehr spannende , anrührende Geschichte. Hatte zuvor noch nie etwas von Ann Cole gehört. danke dafür und LG Gitta
AntwortenLöschenvon Helga:
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
das war ja wieder allergrößte Mühe für Dich, beim Zusammentragen des Lebensinhaltes über eine Frau die es Wert wäre, öfter herausgehoben zu werden, damit hier auch noch die Letzten begreifen wie gut es uns geht und uns vieles in den Schoß fällt. Mit den Dunkelhäutigen und der Sklaverei habe ich mich schon immer gerne beschäftigt. Nähen können und einem Musikinstrument einen Ton entlocken war, ist und bleibt für mich Faszination pur. Danke, hat mich total berührt, der ☕️ ...... wieder kalt geworden.
Herzliche Grüße von Helga
Ein wirklich beeindruckendes Porträt, liebe Astrid, das mich mit meiner Modebegeisterung wiederum freut. Die Designerin war mir zugegebenermaßen unbekannt. Freilich ist mir der europäische Markt geläufiger... daher war es einmal spannend von Ann Cole Lowe zu lesen. Die Höhen, wie die Tiefen sprechen von einem äußerst bewegten Leben. Schade, dass Jackie sich gegen sie entschieden hatte - aber vermutlich auch Zeitgeist?!
AntwortenLöschenDanke für Deine Mühe. Liebe Grüße aus Augsburg von Heidrun
Wieder eine unbekannte große Frau für mich. Und doppelt diskriminiert als Frau und als schwarze Frau.
AntwortenLöschenZum Glück hatte sie diese großartige Begabung zu Design und Schneiderei und konnte wenigstens in der Arbeit das tun, was sie am meisten erfüllte und sie am besten konnte.
Dies Geschichte der Farbigen in den USA ist ja noch lange nicht aufgearbeitet und auserzählt. Daher hat es mich besonders gefreut an Bidens Inauguration soviel farbige Frauen zu sehen und zu hören und auch, dass sie mit ihren Kleidungsstücken auch viel Symbolik ausdrückten.
Kleidung ist eben mehr als was zum Anziehen...
Tolle Frau und ein toller Artikel von Dir, liebe Astrid.
GLG Sieglinde
So bitter in vielerei Hinsicht.Ich kannte sie gar nicht. Nur ihrer so unglaublichen Leidenschaft ist es wohl zu verdanken, dass sie nie aufgegeben hat.Schön, dass sie hier aus der Versenkung geholt wurde.
AntwortenLöschenDanke!
VG Karen
was für eine spannende, aber leider auch wieder typische geschichte. zwischendurch hätte ich echt heulen können, wie mit ihr umgegangen wurde. gut zwar, dass sie die familie lee zur unterstützung hatte, aber die ehre der auszeichnungen wurden trotzdem immer anderen zu teil.
AntwortenLöschenimmerhin wird heutzutage ihre arbeit wenigstens anerkannt. einen kleinen teil hast du mit deinem post auch beigetragen!jetzt geh ich noch zu pinterest.
liebe grüße
mano
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenleider fehlt mir am Donnerstag immer die Zeit um deine ausführlichen Posts zu lesen...den vom letzten Mal über die beeindruckende Carlotta Bass habe ich gelesen, doch für diesen über Ann werde ich mir die nächsten Tage die notwendige Zeit nehmen.
Vielen Dank für deine unermüdliche Recherche und Glückwunsch zum 250sten Post - daher möchte ich deine Posts zu den Great Woman möglichst nicht unkommentiert lassen... auch wenn mir das zeitlich nicht so gelingt. :-(
Lieben Gruß, Marita