Sonntag, 22. November 2020

Hoffärtig



"Ich bin Jana aus Kassel und ich fühle mich wie Sophie Scholl, weil ich seit Monaten aktiv hier im Widerstand bin, Reden halte und [...] Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde. Ich bin 22 Jahre alt, genauso wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel."

Hier in einem Video nachzuverfolgen von einer Aktion in Hannover. Der Redebeitrag fand ein Ende, als ein Ordner vor sie tritt und "so'nen Schwachsinn" nicht mehr unterstützen will. Mein Kommentar zu diesem Mädel - siehe eingangs!

Offensichtlich eine Folge des immer mehr heruntergefahrenen Geschichtsunterrichtes in deutschen Schulen und des Hangs unserer Zeit, alles maßlos zu übertreiben, hochzujazzen ( "Das war das größte Publikum, das je einer Amtseinführung beigewohnt hat. Punkt." ), zu dramatisieren, zu provozieren, um größtmögliche Aufmerksamkeit und Bedeutung zu erreichen, sich selbst zu überhöhen, sich mit einer menschlichen Leistung, Mut und Tapferkeit zu schmücken, von der man selbst meilenwert entfernt ist. Und gleichzeitig wird das Leid der Menschen, mit denen man sich vergleicht, relativiert, runter gemacht.

Sophie Scholls Schicksal kann man nachlesen. Als der Ordner Janas Rede unterbricht, kommen mehrere Polizisten an der Bühne vorbei, der junge Mann, der kein Ordner mehr sein will, geht. Jana wird nicht ergriffen. Sophie Scholl wird verhaftet, nachdem sie bei ihrer letzten Aktion entdeckt wurde, vier Tage später zum Tode verurteilt und Stunden später in Stadelheim hingerichtet. Und Jana? Die kann ihre Rede sogar später noch halten und sich weiter gleichwertig fühlen.

Mir ist noch vieles in den Sinn gekommen, Loujain al-Hathloul zum Beispiel, 31 Jahre alt, sitzt seit Mai 2018 in Saudi - Arabien im Gefängnis, wird gefoltert und welcher Tat sie angeklagt ist, bleibt bis heute unklar. Oder die Männer und Frauen in Belarus, die seit Wochen protestieren und hinterher so aussehen, wenn die Polizei sie aufgegriffen hat. Nach solchen Relativierungen Scham zu empfinden, ist auch so etwas, was manchen Menschen abhanden gekommen ist.

Ein ähnlicher Missbrauch hat in der vergangenen Woche schon mal stattgefunden, als auf einer Kundgebung ein elfjähriges Mädchen sich mit Anne Frank verglich. Aufgrund ihres Alters suche ich den Fehler nicht bei dem Kind, der Vergleich ist auf dem Mist ihrer Eltern gewachsen. Sarah Bosetti hat darauf reagiert und meine Gedanken übertroffen:


In diesem Sinne einen nachdenklichen Totensonntag - Abend!