Dienstag, 3. März 2020

"Kulturelle Genitalien"

Eine solche Thematik kommt bei mir ja eher selten vor. Doch letzte Woche habe ich einen Beitrag von hr2 mit der Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky gehört, und da wurde mir klar, auf welchen eingefahrenen Pfaden ich mich doch auch bewege, was die Zuordnungen Junge - Mädchen bzw. Geschlecht allgemein anbelangt, wie sehr ich in meinem Kopf - denn dort sind die "kulturellen Genitalien" eher zu verorten als zwischen den Beinen - bestimmte Vorstellungen von den Geschlechtern hege und mein Handeln bestimmen lasse, obwohl ich sie verstandesmäßig einfach richtig doof finde.


Habe ich doch auch in der Realität immer wieder die Erfahrung von "gender trouble" bei meinen Schüler*innen, den Enkelkindern & deren Freunden gemacht! Da wollen Jungen gerne geschminkt werden, wünschen T-Shirts ausschließlich mit kuscheligen, niedlichen Tieren. Oder die rosa Glitzerröcke, die ich mal für den Kindergarten genäht habe, werden hauptsächlich - so die Erzieher*innen - von den Jungen getragen. Mädchen gibt es, die schon von klein auf lieber die praktischen kurzen Hosen tragen, weil sie am liebsten auf Bäume klettern und dort hocken. Wir haben Kinder, die sich als Jungenmädchen bezeichnen oder männliche Prinzessinnen sind und die sich allen deutlichen Zuordnungen verweigern oder Lust an der Überschreitung haben. Gut so!


Was hat das nun mit meinen Nähereien zu tun? Als ich ein Foto von den gerade für den Großneffen gekauften Jerseys meiner Nichte geschickt hatte, kam als Antwort prompt zurück: "Habe ihm grade die Stoffe gezeigt und dann fragt er doch: Hat Astrid nix in rot, pink, lila und rosa?"

Ja, da kaufe ich Stoffe in Farben und mit Themen, die auch mir gut gefallen, und biete die eine Sorte nicht den Mädchen an und umgekehrt? Wo ich doch eigentlich den Wünschen der Kinder entgegen kommen will und nicht den Leuten auf der Straße, deren einmischende Kommentare sowieso oft nur weh tun sollen, egal was man macht? ( Da hat sich leider auch nichts geändert seit den Tagen als meine Tochter noch angemacht wurde: Jungen haben blau zu sein und Mädchen rosa! )





Vernäht habe ich diese Jerseys dennoch, denn ich finde sie ja nach wie vor schön. Aber ich musste dann auch noch schnell etwas machen, was dem Wunsch des Großneffen entsprach - Material ist ja genug vorhanden:


Das niedliche Faultier musste unbedingt auch noch drauf. Ich überlege sogar, ob ich mir das auf ein T-Shirt sticke. Ob es so was wie "gender trouble", also die Verweigerung der angeblich festgelegten Rolle auch im Alter gibt? Also so à la "Die unwürdige Greisin"? Doch wenn ich genauer hinsehe, gibt es da inzwischen unter uns schon ganz schön viele...

Witzig fand ich, dass mir justament so ein Post unter die Tasten gekommen ist, als sich die Veröffentlichung von Judith Butlers Buch mit dem Titel "Gender Trouble" in den Staaten zum 30. Mal jährt...

Um noch mal zu erläutern, was mit dem Begriff wirklich gemeint ist, statt mit dem Wort "gender" herumzupöbeln und damit die eigene Unfähigkeit, mit Frauen gleichberechtigt und respektierend umzugehen, zu kaschieren, hier noch mal der Versuch einer Erklärung:
Selbstverständlich gibt es körperliche Aspekte der Geschlechterdifferenz. Aber das ist kein unabhängiges Fundament, unabhängig von den sozialen Beziehungen des Menschen, von der historischen Entwicklung usw. Zum Mädchen gemacht zu werden oder zum Jungen, bedeutet in eine Welt eingeführt zu werden, in der es bereits Vorstellungen über Mädchen und Jungen gibt. Wir bewegen uns anders, wenn wir als Mädchen oder Junge sozialisiert worden sind. Weiblich zu sprechen heißt viel modulationsreicher zu sprechen. Das sind alles kulturelle Dinge. Wir gehen aus Vorstellungen hervor, die nicht unsere eigenen sind, die sozial vermittelt sind und deren wir uns nicht immer bewusst sind.
Dass es das typisch Männliche und das typisch Weibliche nicht gibt, hat mich eine Klasse gelehrt, die ich von 1985-88 unterrichtet habe. Inzwischen sind diese jungen Menschen schon in ihren Vierzigern, einer davon, ein ganz wunderbarer, von dem ich viel zurück bekommen habe, lebt schon nicht mehr. Ihnen widme ich diesen heutigen Post...






Verlinkt mit dem Creadienstag

16 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,
    schon lange lese ich als stumme Genießerin bei Ihnen mit. Heute musste ich bei der Erwähnung der unwürdigen Greisin aber so lachen, bin ich doch auch eine. Wie oft bin ich viel bunter als meine wesentlich jüngeren Kolleginnen in Blau und Beige und frage mich ab und an, ob ich inzwischen schon als verrückte Alte gesehen werde. Dann kichere ich kurz in mich hinein und denke: Und wenn schon!

    Vielen Dank auf diesem Wege für Ihre wunderbaren Artikel, Anregungen und immer wieder sensationell schönen Fotos.

    Viele Grüße - Elena

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  2. Liebe Astrid,
    wie recht hast Du, und warum sind wir alle so festgelegt auf diese spezielle Farbordnung?
    Obwohl hier das nicht ganz so ist. Hr. niwibo trägt mir Vorliebe rosa Hemden und pinke Pullover. Auch Orange findet man in seinem Schrank.
    Und ich mag nun mal auch sehr gerne Blau, allerdings eher das hellere Blau.
    Und Rot geht doch heute auch bei jedem, oder?
    Also, weg damit aus den Köpfen und Dir weiterhin viel Freude beim Nähen dieser wunderbaren Shirts.
    Lieben Gruß
    Nicole

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  3. Liebe Astrid,
    Danke für diesen interessanten und bereichernden Beitrag. Es ist so wunderbar, dass heute -langsam zwar- aber doch immer mehr akzeptiert und respektiert wird, dass Menschen, hier gerade Kinder, sich nicht in vorgelegte Rollen quetschen müssen.
    Deine hübschen Shirts sind ein feines Beispiel dafür, dass hier keine Geschlechterrolle oder Zuordnung die erste Geige spielt sondern einzig und allein der Geschmack des Trägers/der Trägerin.
    Liebe Grüße
    moni

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  4. Ich bin auch immer wieder beeindruckt, wie schnell diese Zuordnungen auf die Tagesordnung gehoben werden. Aber Deine Stöffchen sind der Knaller, weitere Zuordnungen sind nicht nötig.
    LG
    Magdalena

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  5. Ich kann dir nur aus vollem Herzen zustimmen. Oft schon hatte ich das Gefühl, dass wir eigentlich in den 80-Jahren diesbezüglich schon weiter waren.
    Hach, es wird wirklich Zeit, diesen Muff wegzupusten...
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Die Mauern sind in den Köpfen ... und zwar von uns.
    man kommt immer wieder drauf ..

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  7. Hej Astrid,
    ich habs nicht so mit dem ganzen gender- und Geschlechterkram... jeder soll das anziehen, was er mag. Warum sollen Mädchen nur in rosa und pink gehen. Meine Tochter hat immer gritzegrün geliebt und die Jüngste ist voll dänisch verdorben: alles am besten in schwarz, grau, weiss, vielleicht noch anthrazit...'kicher* deine pullis sehen obercool aus und ich trage auch was ich will...harry potter! meine älteste meinte letztens ob ich das ernst meine, es würde vielleicht ja etwas zu viel werden...hallo? mal ein halstuch, mein gryffindorschal oder einen pulli?! nix da,ich steh dazu :0) ganz LG aus Dänemark, Ulrike :0)

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  8. Wir wachsen alle mit bestimmten Vorstellungen und Vorbildern auf. Manchmal hat und hatte man das Glück, weniger in Rollen gedrängt zu werden. Jungs durften mit Puppen spielen, Mädchen in Hosen und kurzem Haar auf Bäume klettern. Ich selber wollte eine ganze Weile ein Junge sein, dass was die in der Gesellschaft durften... Und meine Eltern unterstützten diese anderen Ideen und Ausflüge bei uns. In den 80ern würde das zum ersten Mal" normaler", aber da ist es auch schon, das Wort "normal", Norm, wer will schon immer der Norm entsprechen!? Den umgekehrt habe ich heute das Gefühl, gerade die Kinder werden aus verschiedenen Formen alle erst Mal eckick gemacht, damit sie alle in den Karton passen. Gleichzeitig sind es (vielleicht gerade deshalb) aber vielfach solche Egos...
    Also bunt und offen sollten wir sein
    Liebe Grüße und übrigens, wieder so schön, Deine Shirts!
    Nina

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  9. Was für ein toller Beitrag! Als meine Zwillingsschwester und ich sehr klein waren, haben unsere Eltern mir Hellblau und meiner Schwester Rosa angezogen. Praktisch zur Unterscheidung. Uns war das völlig egal; ich wette, die meisten Passanten sind automatisch davon ausgegangen, dass meine Eltern einen Jungen und ein Mädchen haben ... (und was ist draus geworden? Heute trage ich meine Haare sehr kurz und meine Schwester ihre lang, hihi - aber Rosa mögen wir beide nicht mehr)

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  10. Da hast Du mich voll erwischt mit den Kulturellen Genitalien.
    Drei Enkelinnen im Rosa-Rausch und ein Enkel in dezentem Blau... Nicht, dass das von mir aus geht, aber ich mache mit (siehe Schürzen :-)). Schließlich will Oma ja, dass es den Enkel*innen gefällt, was sie schenkt. Ich würde aber ebenso gern Grün oder Gelb schenken, wenn das gewünscht würde.
    Bei meinen Söhnen war es als Kleinkinder so, dass der eine immer Rot wollte und der andere Lila...
    Wurde natürlich auch erfüllt.
    Herzlichst, Sieglinde

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  11. Toll! Ja, wir sind da irgendwie gedanklich schon noch in unseren eigenen Jahren der Kindheit. Obwohl ich sagen muss, dass meine Mutter zum Glück da völlig unbeeinflusst reagierte, sowohl was Erziehung als auch Kleidung betraf. Aber die Umwelt..Nun, 60 Jahre später als meine Kindheit ging mein einer Enkel 3 Jahre lang täglich mit riesigen Klunkerringen an beiden Händen in den Kindergarten. Ich reagierte zuerst etwas erstaunt, aber dann mit "Wenn er das mag und es auch noch Andenken an seine geliebte, viel zu früh verstorbene Kinderfrau Kaki ist, soll er doch!" Mein Mann, der ja wesentlich älter ist, fand es mehr als seltsam...Was doch Erziehung und frühe Prägung ausmachen im ganzen Leben! Der 2. Enkel trägt absolut und geliebt die Farbe GELB, ist ein kerniger Fussballer und muss sich beständig mit Mitspielern auseinandersetzen ob der "Mädchenfarbe"!Woraufhin ich ihm nach Wunsch auch noch gelbe Strümpfe strickte, die er nun gerade in die gelben Sportschuhe trägt. Es hat sich also nichts geändert, oder fast nichts, aber diese Generation Enkel, die könnte es tun, hoffentlich...Herzlich, Sunni

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  12. Ich bewundere immer wieder Deine wunderschönen Shirts. Ja, Jungs mögen Glitzer, Pink und Lila. Das kann ich bestätigen. Genau wie ich als kleines Mädchen keine Kleider und Röcke mochte. Das hat sich zum Glück geändert ;) Ganz liebe Märzgrüße, Nicole (die hoffentlich jetzt wieder des öfteren im Bloggerland sein wird.)

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  13. Was für tolle Shirts. Ich liebe ja Deine Stoffe und was Du damit zauberst. Ich gebe zu bei Babys denke ich auch bei rosa an Mädchen und bei hellblau an Junge. Wobei ich selbst wenn ich etwas verschenke für ein Baby, gelb und grün gerne mag.
    Liebe Grüße Tina

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  14. Liebe Astrid,
    ja, Geschlechterzuschreibungen, das ist ein großes Thema und wenn ich hier sitze und deine Zeilen lese, dann freue ich mich, dass du mich und meine Gedanken in diese Richtung lenkst. Manchen gerät aus dem Blick, weil es andere Wichtigkeiten gibt. Dass sich der junge Mann rosa wünscht, spricht ganz und gar auch für seine Erziehung. Gut, super, toll! Ich war übrigens ein Hosen-Kind, genauer gesagt ein Lederhosenkind, weil alles andere sich aufgelöst hat :). Dicken Drücker - und keine Angst, eine unwürdige Greisin schaffst du nie zu werden
    Elisabeth

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  15. Liebe Astrid,
    jedem meiner Söhne habe ich zum 2. Geburtstag eine schöne Puppe gekauft, was die Großeltern befremdlich fanden, ebenso wie die selbstgebaute Kinderküche.
    Die Großväter waren zudem irritiert darüber, dass keiner der Jungs Fußball im Verein spielen wollte.
    Mein ältester Sohn wünschte sich als 3jähriger eine rosa Winterjacke, den Wunsch habe ich ihm 1988 nicht erfüllt, jedoch bekam er ein Sweat-Shirt in der Farbe.
    viele Grüße Margot

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  16. Rot = die Farbe der Herren und Krieger
    Rosa = die Farbe der kleinen Herren ...
    Blau = die Farbe Marias, der reinen Jungfrau
    Hellblau = die Farbe der kleinen Marias/Mädchen
    In den 1920ern begann sich diese Farbrichtlinie zu ändern, was allerdings dauerte. Mein Vater, Jahrgang 1937, wurde noch in rosa eingepackt.
    Mein Sohnemann konnte sich bei seiner Rosenjacke als einjähriges Purzelchen nicht wehren. Er war warm damit eingepackt und sah niedlich damit aus. Und ich bekam die sorgenvollen Hinweise meinen Sohn damit falsch zu konditionieren, Argh!
    Als Zweijähriger forderte er die lila Winterjacke in der Auswahl lauthals ein, "liieehla", mit einem hohen Kieksen beim "i"! Er liebte die Jacke so sehr, dass ich sie bis zum Auseinanderfallen vergrößerte und flickte.
    Bis in die Pubertät hielt Sohnemann in seiner persönlichen Farbwahl durch, bis er sich dann doch anpasste. Als Großer lebt er wieder Farbe in der Kleidung, fernab von Vorgaben und Klischees.
    Das Faultier-T-Shirt wäre voll sein Ding als Kleiner gewesen.
    Viele Grüße,
    Karin

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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