Freitag, 7. Februar 2020

Doppelmoral, mal wieder

Zur Erinnerung: Der saudische Blogger Raif Badawi sitzt seit dem 17. Juni 2012 im Gefängnis ( bzw. befindet sich wegen der gesundheitlichen Folgen eines Hungerstreiks derzeit bewacht im Hospital ). Der Grund: Angeklagt der Apostasie wurde er im Mai 2014 zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben sowie einer Geldstrafe von etwa 194.000 € verurteilt wegen „Beleidigung des Islam



"Beleidigung des Islam" - ich wiederhole die Begrifflichkeit noch einmal, denn sie taucht nun in einem ganz anderen Zusammenhang mit einem Ereignis in Frankreich auf, also auf europäischem Boden, in einem laizistischen Staat.

Der Begriff wurde dort im Fall einer 16jährigen namens Mila vom Generaldelegierten des französischen Islamrates CFCM, Abdallah Zekri, in Stellung gebracht und von der französischen Justizministerin Nicole Belloubet ( "La République en Marche" ) in einer Diskussion auf dem Sender "Europe 1" aufgegriffen: "Religionsbeleidigung ist eine Verletzung der Gewissensfreiheit", sagte Belloubet.  

Äh? Wir sind in Frankreich, nicht in Saudi - Arabien!

Was war passiert?

Die Schülerin hatte auf ihrem Instagram-Account in derben Worten den Islam kritisierte: "Ich hasse Religion, der Koran ist voller Hass… Eure Religion ist Scheiße."

Angefangen hat alles am 18. Januar mit einem Meinungsaustausch über Instagram-Live-Video der in den französischen Voralpen lebenden Schülerin mit einer lesbischen Bekannten Sie sprachen über Sexualität, und nachdem Mila geäußert hatte, sie stehe nicht auf Maghrebinerinnen, schaltete sich ein Junge, der sie zuerst umworben hatte, beleidigend ein, dann mehrere andere, mit Drohungen und persönlichen Angriffen wie "dreckige Lesben". Der Livechat artete derart aus, dass Mila ein weiteres Video-Statement veröffentlichte und ihre Haltung zur Religion deutlich machte. Sie habe dabei keine Person beleidigt oder angegriffen, keine Anhänger der Religion, sondern ihre Meinung über die Religionen allgemein und den Islam im Besonderen kund getan, so Mila in einem Interview. Alsbald wurde ihre Identität enthüllt und herumgereicht, sie erhielt Morddrohungen und konnte schon am Montag nach dem Chat nicht mehr zur Schule gehen ( und das hält bis heute an ).

Dass Zekri, Leiter der französischen Beobachtungsstelle für Islamophobie, konterte, der Teenager habe die Reaktionen schließlich provoziert und müsse jetzt damit klar kommen: "Wer Wind sät, muss mit dem Sturm rechnen" sagte Zekri im Radiosender "Sud Radio". "Das Mädchen weiß, was sie sagt. (…) Sie hat die Religion beleidigt, jetzt muss sie die Folgen ihrer Worte tragen" - das ist eine Sache. 

Morddrohungen als Reaktion darauf in Ordnung zu finden, auch, dass Mila auf Anraten der Polizei bei Verwandten untertauchen muss und nicht zur Schule gehen kann, weil anonyme Hetzer die Anschrift ihres Gymnasiums im Internet bekannt gaben und dazu aufriefen, die "gottlose Schlampe" abzustrafen - das ist eine ganz andere und erreicht eine Dimension, die absolut inakzeptabel ist. Immerhin hat der Präsident des CFCM, Mohammed Moussaoui, mit einer Pressemitteilung rasch zu korrigieren versucht, dass "nichts solche Drohungen rechtfertigt."

Am unglaublichsten ist für mich aber die Reaktion der Justizministerin Frankreichs, denn sie lässt eine eklatante Missachtung der weltanschaulichen Fundamente ihres Landes erkennen: "Jede Religion darf kritisiert werden. Blasphemie ist kein Straftatbestand", wies sie der Fraktionsvorsitzende der Republikaner (LR) im Senat, Bruno Retailleau, völlig berechtigt zurecht. Im laizistischen Frankreich ist Blasphemie tatsächlich seit der französischen Revolution  kein Straftatbestand. Das garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung wird auch auf die seit 1905 gültige verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion zurückgeführt.

Der Anwalt der Jugendlichen, Richard Malka, Justiziar von "Charlie Hebdo", setzte noch einen drauf und warf der Justizministerin vor, sie habe die Propaganda der Islamischen Weltliga nachgeplappert, die überall in Europa dafür werbe, Gotteslästerung unter Strafe zu stellen. Dass ich an dieser Stelle mal die Parteivorsitzende des Rassemblement National zitieren würde, konnte ich mir nie vorstellen - aber sie liegt da mal richtig: "Man kann Milas Äußerungen vulgär finden, aber wir können nicht akzeptieren, dass jemand in Frankreich dafür zum Tode verurteilt wird", schrieb sie auf Twitter.

Die Justizministerin hat ihre Äußerung inzwischen als "unglücklich" bezeichnet ( ein "Formulierungsfehler" ). Die Justiz hatte zwei Ermittlungsverfahren angeleiert, eines davon wieder eingestellt, bei dem es darum ging, ob  es bei den Aussagen Mila um eine "Hassrede" handelt. Das zweite Verfahren, das sich gegen die Personen richtet, die die Morddrohungen verschickt haben, läuft noch.

Da gehen Woche für Woche Menschen in den Ländern, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als für sich verbindlich betrachten, auf die Straße, um auf das Unrecht gegenüber Raif  und den anderen Menschenrechtsaktivisten in islamischen Ländern aufmerksam zu machen. Und quasi im gleichen Atemzug verurteilt die Justizministerin eines solchen Landes eine französische Jugendliche wegen Beleidigung der Religion, übernimmt die Auffassung und dieselbe Sprache wie ein Menschen verachtendes Unterdrücker - Regime und des von ihm kontrollierten & finanzierten Verbandes! Will man den Widerspruch nicht sehen?

Elham Manea, Zana Ramadani, Kacem El Ghazzali oder Hamed Abdel-Samad haben Recht, wenn sie uns immer wieder den Spiegel vorhalten und bestimmten Kreisen vorwerfen, in all ihrem Kulturrelativismus ein üble Doppelmoral an den Tag zu legen und die Menschenrechte und die Werte der Aufklärung zu verraten, für die sie in ihren Ländern, ihren Kulturen  heftig angefeindet worden sind. Sehe ich auch so!

Das politische Problem in Frankreich bleibt bislang ungelöst: Da steht eine Professorin für öffentliches Recht, Mitglied des Verfassungsrates, Karriere - Juristin mit Fachkompetenz der Anklage der Gotteslästerung ausdrücklich positiv gegenüber und gebraucht den Begriff der "Beleidigung der Religion". Solche "Fehler" sollen aus Versehen entstehen? Sind sie nicht vielmehr ein Versuchsballon, eine Möglichkeit, auszutesten, ob eine Gesellschaft an einem bestimmten Punkt bereit ist, eine wesentliche Position von Islamisten politisch zu übernehmen? Dieser Fehler macht diese Frau ihrer Funktion unwürdig, denn sie verrät europäische Werte.

Immerhin hat sich Innenminister Christophe Castaner in der Nationalversammlung den Worten der Justizministerin entgegengestellt:
"In diesem Land gibt es den Tatbestand der Gotteslästerung nicht, und wir garantieren: es wird ihn mit dieser Regierung niemals geben. Die freie Meinungsäußerung in unserem Land ermöglicht es jedem, eine Religion zu kritisieren. Auch die junge Mila konnte das tun, und es ist inakzeptabel, sogar unerträglich, dass einige im Namen der Institution, die sie vertreten, sagen, dass dies verboten war."
Dennoch komme ich ins Grübeln: Sollte Islamkritiker und Erfolgsautor Michel Houellebecq mit seinem Roman "Soumission" ("Unterwerfung" ) eine nicht ganz unbegründete Dystopie geschrieben haben?  Ich mag den Kerl eigentlich nicht...


Abschließend noch ein Blick auf die Sachlage bei uns bzw. was die Vereinten Nationen zur Blasphemie sagen:
§ 166 StGB: Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen 
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören."
Seit der Strafrechtsreform von 1969 liegt die Betonung auf dem öffentlichen Frieden als geschütztes Rechtsgut, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Die Ablehnung einer Religion oder Weltanschauung oder Kritik an ihnen sind nicht strafbar. Wahre Tatsachenaussagen können ihrem Inhalt nach kein Beschimpfen darstellen, allerdings durch ihre Form strafbar sein.

Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen ist der Ansicht, dass man z.B. blasphemische Karikaturen nicht verbieten dürfe. Denn das sei mit der Freiheit des Denkens, einem Menschenrecht, nicht vereinbar. Bei Karikaturen, die zu Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt aus religiösem Hass anstifteten, liege die Sache jedoch anders.


5 Kommentare:

  1. Houllebecq erfreut sich auch bei mir keiner sonderlichen Beliebtheit - was Ausstrahlung so alles ausmacht. Das ist eben die Frage, ob versucht wird, den Islam mit all seiner drastischen Ausprägung zu etablieren. Wenn man sich bei Twitter den Tenor "anhört", würde ich sagen: Ja. Vielleicht bin ich da auch ein wenig empfindlich, wenn man eine Wertigkeit übernehmen soll, die mit dem Grundgesetz selten deckungsgleich ist.

    Liebe Grüße
    Franziska

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  2. Ja, da bleibt einem die Spucke weg. Ein Versehen?
    Langsam mehren sich die politischen Versehen... in Thüringen hatten wir auch gerade eines.
    GlG Sieglinde

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  3. "Sind sie nicht vielmehr ein Versuchsballon, eine Möglichkeit, auszutesten, ob eine Gesellschaft an einem bestimmten Punkt bereit ist, eine wesentliche Position von Islamisten politisch zu übernehmen? Dieser Fehler macht diese Frau ihrer Funktion unwürdig, denn sie verrät europäische Werte."
    Danke!

    Ich bin Christin. Und ich frage mich, was mit meinem (und unzähligen anderen) Religioneslehrer passieren würde, der sagte, Menschen, die wortwörtlich an die Bibel glauben (was laut ihm etwas neues aus den USA ist - diese Kreationisten) wissen es nicht besser und sind eine Sekte und können nur Ungebildete sein.

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  4. Ich weiß nicht ob mein Danke gerade richtig rüber kam.
    Es war ein ernst gemeintes Danke. Danke für diese Beobachtung und das Formulieren.

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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