Montag, 8. April 2019

Eins, zwei, drei im Sauseschritt

... läuft die Zeit, wir laufen mit.

Was habe ich als Kind die Klopp - Trilogie von Wilhelm Busch geliebt und in Wort & Bild verschlungen, geschmunzelt, gelacht, nachgedacht, aber damals nie in Betracht gezogen, dass ich auch einmal wie Tobias Knopp meinen Lebenszweck erfüllt haben werde und mein Lebensbild runzlig sein wird. Inzwischen ist es mir mehr als klar, auch, dass das Leben immer schneller geht, im Sauseschritt halt, und am Ende die Parze mit der Nasenwarze das Lebensbändel abschneiden wird.



Mit dieser Erfahrung liest sich die Bildergeschichte noch einmal ganz anders. Ausprobieren!

Wenn es um das Thema "Zeit" geht - Monatsthema im April der Zitronenfalterin - dann fällt vielen Michael Endes "Momo" mit Beppo Straßenkehrer und seiner Philosophie, den Zeit stehlenden grauen Herren, Meister Hora und den Stunden - Blumen ein. Das hat mich am Samstag auf die Idee gebracht, ein paar Bücher vorzustellen, die auch irgendwie mit dem Thema zu tun und die mir besonders gut gefallen haben.



Ein Buch, dass ich immer wieder mal lese, trägt auch ein Zeit - Wort im Titel: "Lichtjahre" von James Salter.

Auf den ersten Blick, auch auf den zweiten und dritten, betritt man beim Lesen ein paradiesisches Idyll, mit einem viktorianischen Haus, freundlich weiß gestrichen und am Wasser, dem Hudson, gelegen, bewohnt von Vidri und Nedra, ihren kleinen Töchtern, Pony, Hund, Schildkröte, und allen fehlt es an nichts. Und doch wird einem beim Lesen immer mehr deutlich, dass die Vergänglichkeit des Lebens unaufhaltsam ist, durch nichts gemildert und relativiert, weder durch Religion, noch Philosophie oder Änderungen im Lebenslauf - man kann seine Sache noch so gut machen, es ist so. Für mich war das tröstlich.

Auch wenn das Buch schon 1975 erschienen ist ( in Deutschland 1998 ), ist es in gewisser Weise der Zeit enthoben.

Ein weiteres Buch, das ich mag und schon etwas älter ist, enthält ebenfalls im Titel das Wort "Zeit": "Die Frau des Zeitreisenden" von Audrey Niffenegger.

Es handelt von Henry, einem Bibliothekar, und Clare, einer wunderschönen Kunststudentin. Henry ist ein Zeitreisender, dessen innere Uhr sich ohne jede Ankündigung immer wieder verstellt und er dann plötzlich und unerwartet verschwindet und ebenso wieder auftaucht. Es ist allerdings nie sicher, aus welcher Zeit er kommt und in welcher Zeit er bei Clare landet, aber sicher ist, dass er immer wieder zu ihr kommen wird. Bei ihrer ersten Begegnung ist Clare sechs und Henry 36, in Wirklichkeit sind sie aber schon längst verheiratet. 

Man muss sich einlassen auf das lange unaufregende Geschehen, um gegen Ende mit dem Lesen gar nicht mehr aufhören zu können.




Ein Buch, das ich fast ganz in einer schlaflosen Nacht auf Klassenfahrt gelesen habe, ist "Die Stunden" von Michael Cunningham.

Der Autor verknüpft in diesem 2000 bei uns erschienenen Buch den jeweiligen Tageslauf von drei grundverschiedenen Frauen: Da ist zum einen Virginia Woolf, die große englische Schriftstellerin, die beginnt, im Jahr 1923, ihren berühmten Roman "Mrs. Dalloway" zu schreiben. Dann ist da Mrs. Brown, eine vom Leben enttäuschte amerikanische Hausfrau, die 1943 morgens am liebsten im Bett liegen bleiben würde, um "Mrs. Dalloway" von Virginia Woolf zu lesen, schließlich aber doch aufsteht, um ihrem Mann eine Geburtstagstorte zu backen. Und schließlich ist da noch die New Yorker Lesbierin Clarissa Vaughari in den 1990er Jahren, von ihrer Jugendliebe Richard "Mrs. Dalloway" genannt. Der, inzwischen Schriftsteller und aidskrank, soll am Abend einen Literaturpreis erhalten. Clarissa bereitet, wie damals Mrs. Dalloway in Virginia Woolfs Roman, aus diesem Anlass eine Party für ihn vor.

Michael Cunningham sagte einmal dazu, dass er dieses Buch geschrieben habe, weil Virginia Woolf  ihm einst als Schüler vermittelt hat, "dass Kriege und der Tod des Königs zwar wichtig sind, dass aber jede Stunde in unserem Leben genauso bedeutend ist".

Ein viertes Buch trägt den Titel "Die Jahre" und ist von Annie Ernaux, schon 2008 in Frankreich erschienen, bei uns erst vor zwei Jahren.

"Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird", schreibt sie darin als letzten Satz. Ihre eigene Lebensgeschichte, bestehend aus einer Uni-Karriere, einer problematischen Ehe, aus Kindern, einer Krebserkrankung, dem Altern und nicht zuletzt dem Schreiben, wird verknüpft mit der Zeitgeschichte nach dem 2. Weltkrieg, manchmal ganz im Stil einer nüchternen Chronik. "Ich habe nur ein Leben", konstatiert Annie Ernaux, schildert das aber auch oftmals so ironisch &  distanziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass sie vieles auch kritisch und als überholt ansieht - eben aus dem Alter und seinen Erfahrungen heraus. Ein Buch für meine Generation.



Nachdem ich als Begriffe der Zeit Jahre und Stunden thematisiert habe, fällt mir zu Minuten nur noch dieses Gedicht von Eva Rechlin ein, das immer gerne mit den Kindern in jedweder Form behandelt habe :
In der Minute, die jetzt ist -
und die du gleich nachher vergisst,
geht ein Kamel auf allen vieren
im gelben Wüstensand spazieren. 
 
Und auf dem Nordpol fällt jetzt Schnee,
und tief im Titicacasee
schwimmt eine lustige Forelle.
Und eine hurtige Gazelle
springt in Ägypten durch den Sand.
Und weiter weg im Abendland
schluckt jetzt ein Knabe Lebertran
und auf dem großen Ozean
fährt wohl ein Dampfer durch den Sturm. 
 
In China kriecht ein Regenwurm
zu dieser Zelt zwei Zentimeter.
In Prag hat jemand Ziegenpeter
und in Amerika ist wer,
der trinkt grad seine Tasse leer, 
 
und in Australien -huhu -
springt aus dem Busch ein Kängeruh.
Und hoch im Norden irgendwo,
da hustet jetzt ein Eskimo. 
 
In Frankreich aber wächst ein Baum
ein kleines Stück, man sieht es kaum,
und in der großen Mongolei,
schleckt eine Katze Hirsebrei. 
 
Und hier bei uns, da bist nun du
und zappelst selber immer zu
und wenn du das nicht tätest, wär
die Welt jetzt stiller als bisher! 
Ich hoffe, diese heutige Reise durch die Zeit war trotz der Länge des Posts kurzweilig, anregend und informativ zugleich. Auf jeden Fall ist es ein Beitrag für Andreas Linkparty.







Nachtrag: Meine sehr geschätzte Stille Leserin aus dem Schwarzwald hat mich heute noch auf ein Buch des geschätzten Martin Suter von 2012 aufmerksam gemacht, das sinnigerweise "Die Zeit, die Zeit" heißt und das uns völlig durchgegangen ist. An sich ein Kriminalroman, geht es aber darin auch um jemanden, der der Ansicht ist, dass es Zeit nicht gibt, sondern nur Veränderung.

15 Kommentare:

  1. Auf jeden Fall kurzweilig! Noch dazu, da ich im Sauseschritt alles durchgelesen habe, da ich heute sonst keine Zeit mehr dazu gehabt hätte... :-)
    "The hours" habe ich damals als Film gesehen und war sehr beeindruckt.
    ..."dass Kriege und der Tod des Königs zwar wichtig sind, dass aber jede Stunde in unserem Leben genauso bedeutend ist"... diesen Satz von Michael Cunningham finde ich besonders richtig. Man sollte sich und seine Zeit durchaus wichtig nehmen.
    Das Gedicht ist ja wunderbar, kannte ich noch nicht!
    Danke fürs Vorstellen der feinen Bücher und für Deine Zeit, die Du dafür aufgewendet hast für uns.
    Herzlichst Sieglinde

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    1. Den Film habe ich auch gesehen. Und die Eingangsszene hat mich ein paar Monate später über eine der schlimmsten Episoden meines Lebens eine Weile hinübergerettet, bis alles klar war. Und selbst heute bringt die Erinnerung daran neben feuchten Augen auch einen Moment von Trost...
      LG

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  2. Herzlichen Dank für diese spannende und anregende Zeitreise!
    Eine schöne Woche wünscht
    Margret

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  3. Guten Morgen Astrid,

    welch eine anregende Idee, sich die Bücher, die Zeit im Bezug führen, inhaltlich wie im Titel, noch einmal gedanklich zu Gemüte zu führen. Ich schau nachher mal, was sich da in meinem Bücherregal so findet, auf Anhieb fällt mir da nur "Die Zeitmaschine" von H.G. Wells sowie "Die Rückkehr der Zeitmaschine" von Egon Friedell ein.

    Ich habe mir vor einiger Zeit ein Buch von Douwe Draaisma zugelegt: Warum das Leben schneller vergeht, wenn wir älter werden. Bin aber über die ersten 20, 30 Seiten (noch) nicht hinausgekommen. Eine erste Erkenntnis war aber, die Zeit vergeht schneller, weil wir (fast) alles schon einmal gemacht haben und es kennen. Man soll versuchen, sich neue Erfahrungen zu schaffen.

    Habe ich dann auf dem nächsten Gassi-Spazieren-Gehen versucht, neue Erinnerungen zu schaffen, ich habe einer Kuh auf einer Weide einen Apfel angeboten (erinnert sich jemand an die Wette bei der ein Bauer seine Kühe daran erkennen konnte, wie sie einen Apfel aßen?).
    Die Kuh fand den Apfel lecker und hat mir dann zum Dank die Hand geleckt mit einer riesigen weichen und gleichzeitig rauen Zunge. Mir stehen heute noch die Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, aus vielerlei Gründen.
    DAS ist jedenfalls eine bleibend Erinnerung und es WAR eine neue Erfahrung.

    Den Wilhelm Busch habe ich auch von vorne bis hinten gelesen, meine Eltern hatten zwei Bücher, Luxusausgabe, vom Bertelsmann-Buchclub.
    Schon damals konnte ich mich über das Schicksal von "Fips, dem Affen" echauffieren, wahrscheinlich schlummerte da auch schon die Tierschützerin in mir.
    Mein Liebling war aber die "Fromme Helene", die sich so gerne einen schnaselte. Finde ich heute noch gut.

    Damals hatte doch fast jeder deutsche Haushalt die Bertelsmann-Bücher des Monats im Wohnzimmerschrank stehen, ich denke da noch an "Desirée" oder "Und ewig rauschen die Wälder" Oder "Vom Winde verweht", ich liebte besonders die Bücher von Pearl S. Buck.
    Nostalgie, Nostalgie...immerhin standen da noch Bücher in den Wohnzimmern.

    Da heute noch immer die Sonne scheint, kann ich erneut sonnige liebe Grüße aus dem Münsterland senden, was ich hiermit mache - Brigitte




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  4. Ja, liebe Astrid ! Das war kurzweilig, umso mehr, da mich das Thema zur Zeit auch sehr beschäftigt. Danke LG Gitta

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  5. Hallo Astrid, kurzweilig, sehr kurzweilig. Und Dank für das Vorstellen der Bücher. Ich habe ja in meiner Geldbörse immer einen Merk-Zettel dabei. Die Überschrift könnte heißen: Was ich immer mal lese/hören möchte. Denn ich bin eine Bibliotheks- Phonotheks- Kundin und da muss ich immer einen Spickzettel haben. Merken kann ich mir nicht alles, was mal hier oder dort oder jetzt auf deinem Blog vorgestellt wird. Und nun ist der Merkzettel wieder etwas größer. Danke und einen schönen Wochenstart wünscht Rela

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  6. jaja.. die Zeit
    wenn man sie doch nur festhalten könnte
    manchmal anhalten .. manchmal zurückdrehen könnte
    aber so bleibt und wirklich nur mitzurennen
    und doch kann man es manchmal etwas entschleunigen
    denn die Minute hat IMMER 60 Sekunden
    nicht mehr und nicht weniger ;)

    sehr schön dein Beitrag auch wenn ich die Bücher nicht kenne
    (Wilhelm Busch natürlich schon )

    das Gedicht gefällt mir

    liebe Grüße
    Rosi

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  7. ja, der Meister Hora ist mir auch gleich eingefallen mit seinen Stundenblumen ::)) Aber ich habe mich dann auf den Weg gemacht und meine Erfahrung des Themenweges im Allgäu war genz präsent.
    Viele andere Aussprüche von lieben Menschen sind mir eingefallen: Ihr habt die Uhr- ich habe die Zeit. Spruch eines Priesters aus Indonesien.!!
    Vielen Dank für das Vorstellen deiner Bücher- Ich kannte keines davon ((::
    Gruß zu dir
    heiDE

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  8. Genau, DIE Zeit, die mir zur Zeit davonläuft oder von der ich zu wenig habe oder die ich mit Füßen trete...
    Vielen lieben Dank für Deine schöne Frühjahrspostkarte.
    Sie erhellt mir heute den Tag!
    Herzliche Grüße
    Astrid rechtsrheinisch

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  9. Sehr kurzweilig, dein Post, lieben Dank für die Empfehlungen!
    Ich hab ja jetzt Zeit.... ich hoffe, noch genügend....
    Liebe Grüße
    Christine

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  10. Danke für Deinen wunderbaren Beitrag über die Zeit, die ja gerade DAS Thema meines vergangenen Wochenendes war. Die Bücher, die Du vorgestellt hast, kenne ich nicht alle. Ich glaube, ich werde den Cunningham gleich mal auf meine Leseliste setzen.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  11. Guten Morgen liebe Astrid,
    was für ein schöner reichhaltiger Post, der mir viel Neues beschert hat! Auszer "Momo" kenne ich keines von den Büchern und auch das Gedicht war mir bisher unbekannt. Wobei "Die Frau des Zeitreisenden" bei mir seit Jahren auf dem Unbedingt-Lesen-Stapel liegt, mittlerweile zuuunterst, weil ich dafür Musze brauche, die ich grad nicht hab...
    Vielleicht sollte ich auch etwas zum Thema schreiben???
    Einen sonnigen Dienstag mit genug Zeit zum Genieszen wünscht Dir
    Mascha

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  12. DIE zeit ist bei mir auch schnell vergangen... bleibt der struwelpeter und der grosse busch-band... in der zwischenzeit habe ich jelinek , schwaiger , schwarzer und einige andere in deutsch gelesen.. bin dann auf beauvoir, groult und alles in französisch umgestiegen...aber jetzt lese ich SODOMA...:))) liebe grüsse

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  13. ...das war sehr interessant zu lesen, liebe Astrid,
    und inspirierend, denn die Bücher kenne ich alle noch nicht...

    wünsche dir einen guten Tag,
    liebe Grüße Birgitt

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  14. interessante buchvorstellungen, kennen ausser endes momo keines der bücher. lese zur zeit wieder louise erdrich, die in ihren (indianer-)familiengeschichten generationen umspannt - verzahnte lebenszeiten. und ransmayr's letzte welt, der ovid in unsere zeiten verschiebt, gleiten lässt, halb zeitlos, halb umgepflanzt, faszinierend. danke für den lesestoff ;-) liebe abendgrüße, eva

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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