Freitag, 8. Dezember 2017

Raif Badawi oder stehlen die arabischen Gesellschaften ihrer Jugend die Zukunft?


Diese Behauptung stellt jedenfalls Necla Kelek, Soziologin & Publizistin, in einem Artikel für "Die Welt" vom Sonntag auf, auf den mich der im Schweizer Exil lebende marokkanische Blogger, humanistischer Aktivist und Vertreter der IHEU beim UN-Menschenrechtsrat Kacem El Ghazzali, über den ich z.B. hier schon geschrieben habe, per Twitter aufmerksam gemacht hat.

Beide, Necla Kelek wie Kacem El Ghazzali,  sind in der Bundesrepublik bzw. der Schweiz wegen ihrer Islamkritik durchaus umstritten, haben in meinen Augen aber als Pluspunkt vorzuweisen, dass sie in ihrer Kindheit & Jugend am eigenen Leibe eine rigide religiöse Erziehung erfahren haben, mit der sie sich kritisch auseinandergesetzt und von der sie sich befreit haben hin zum Atheismus, zu Befürwortern der Aufklärung im Sinne der in unseren Gesellschaften üblichen Menschenrechte. Das ist eine Entwicklung, die ich unter anderen religiösen Prämissen in meiner Jugend ebenfalls durchlaufen habe, hin zu ähnlich kritischen Positionen, was Religion & Gesellschaft anbelangt. Von daher bin ich geneigt, mich ihren Ansichten & Anschauungen eher anzuschließen als denen ihrer Kritiker und bin mir bewusst, dass man mit solchen Positionen leicht in bestimmte Schubladen geraten kann, nehme es aber in Kauf. Ich traue einfach meinen eigenen Erfahrungen.

Auch die Beschäftigung mit den Verhältnissen in arabischen Ländern, die ich vor nunmehr fast drei Jahren eher zufällig und unbeabsichtigt aufgenommen habe, weil mich die Behandlung des Bloggers Raif Badawi empört hat, legt mir ein ähnliches Urteil nahe, wie es Necla Kelek in besagtem Diskussionsbeitrag fällt:
"Die autoritären islamischen Staaten des Nahen Ostens sind allesamt an der Moderne, am Krieg ihrer Religionen mit sich und der Welt gescheitert. Ihr Gesellschaftsmodell einer autoritären und/oder religiösen Herrschaft ist obsolet.
Und nur Länder wie Saudi-Arabien, die alles und jeden mit Petrodollars kaufen, gelten als stabile Scharia-Diktaturen, aber auch nur, weil sie einerseits ihre Bevölkerung alimentieren und andererseits die Arbeit von Ausländern und Sklaven verrichten lassen."
( Quelle hier )
Und weiter:
"Junge Menschen wenden sich von ihren Gesellschaften ab, weil sie als Bürger in diesen Ländern gering geschätzt werden und man ihnen keine Entfaltungsmöglichkeiten in Arbeit, Bildung, Kunst und Kultur für eigene Entwicklung einräumt. Die islamisch-autoritären Gesellschaften sind durch die hohe Geburtenrate zwar demografisch junge Gesellschaften, geistig aber überaltert."
Meldungen wie die vom Dienstag, dass von 16 Mitgliedern einer türkischen Volkstanzgruppe, die an einem internationalen Volkstanz-Festival in Budapest teilgenommen hatten, nur fünf wieder in die Türkei zurückgekehrt sind, scheinen mir diese These nur zu bestätigen. 

Die übrigen der im Durchschnitt 20-jährigen Türken haben in Ungarn Asyl beantragt. Wie groß die "Not" der jungen Menschen sein muss, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass man ausgerechnet in Ungarn einen solchen Antrag stellt. Der Erfolg dürfte nämlich eher unwahrscheinlich sein: Zum einen ist Ungarn mit der Vergabe von Asylberechtigungen äußerst zurückhaltend, zum anderen gilt Viktor Orbán als enger politischer Verbündeter des türkischen Präsidenten...

Meine Beobachtungen decken sich auch in anderer Hinsicht mit den von Necla Kelek geäußerten Beobachtungen: "Saudische und katarische Stiftungen finanzieren weltweit Moscheen, auch in Deutschland, lassen die Flüchtlinge nicht in die Hightech-Pilgerstädte vor Mekka, bauen in Gaza keine Schulen, integrieren diese Menschen nicht durch Bildung, entwickeln keine Infrastruktur." In Marokko finden beispielsweise junge Lehrer keine Arbeit, obwohl das Land unter den fünfzig Ländern mit der größten Analphabetenrate auf Platz 22 liegt ( und mit ihm fünf weitere arabische Länder ).

Ihre These - für die große Auswanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten ist nicht allein der Krieg im Irak und in Syrien verantwortlich, sondern nur der letzte Auslöser - stelle ich hier zur Debatte, denn um das beurteilen zu können, fehlt mir ausreichende Sachkenntnis. Dass den jungen Menschen ein Leben nach ihren Vorstellungen nicht ermöglicht wird, machen allerdings die Schicksale solcher Blogger wie Raif Badawi deutlich, der den Liberalismus als Vision eines freien und guten Lebens für alle in seinem Blog beschrieben und das Recht eines jeden, seine Religion frei zu wählen gefordert hat. Mit welchen grausamen Folgen weiß inzwischen wohl jeder. Und wer hier freitags mitliest, kennt noch viele andere Fälle aus diversen Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist.

Source
( hier findet sich auch ein Beitrag zum diesjährigen Bericht der IHEU zur Freiheit der Gedanken )



Ich mache nun allerdings erst einmal eine Pause. Mir ist etwas die Puste ausgegangen, denn aufgrund persönlicher Umstände lese ich gerade wenig zum Thema, kann also auch wenig weiter vermitteln. Außerdem naht das Weihnachtsfest. Und das gehört in unserem Kulturkreis der Familie...

Spätestens am 13. Januar, Raif Badawis 34. Geburtstag, werde ich wieder zu diesem Thema zurückkehren.






8 Kommentare:

  1. Das wäre abendfüllend, wenn wir uns mit den Themen an einen Tisch setzen. Tut gut Dich zu lesen. Ich wünsche gute erholsame Zeiten für Dich für Euch, den Herrn K., schicke Kraft und gute Wünsche und liebe Grüße. Eva

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  2. Gut, dass Du Deinen eigenen Erfahrungen traust in Bezug auf rigide Religionsausübung und -erziehung. Alles, was den eigenen, auch spirituellen, Willen zu sehr unterdrückt, finde ich schädlich - nicht nur an Religionen.
    So verstehe ich auch Deine Posts hier und gönne Dir die Auszeit von Herzen.
    Eine gute Zeit zum Kräftesammeln und Genießen wünsche ich Dir sehr herzlich, Sieglinde.

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  3. Letztlich ist es doch egal, ob rechtsextremistisch, linksextremistisch, islamistisch, freichristlich, lobbyistisch - jeder Führungsanspruch verbunden mit der Einschränkung von Freiheit und Selbstbestimmung ist für mich kaum tolerierbar. Das Eine ist nicht besser oder schlechter als das Andere und das muss und soll man äußern, ohne sich dafür zu entschuldigen.
    Jedenfalls bewundere ich dein Engagement und dein Wissen, was du dir angeeignet hast. Vielleicht wird das nächste Jahr Freiheit bringen für Badawi. Es wäre zu hoffen!

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  4. Liebe Astrid, von Herzen danke dafür, wie du dich immer wieder neu in die vielschichtige Thematik einarbeitest. Und ich bin sehr froh, dass du dir jetzt eine Pause gönnst. Die braucht es, um neue Energien zu schöpfen. Liebe Grüße Ghislana

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  5. Danke Astrid, für deine immer sehr interessanten Einblicke in Themen, Menschen und Ansichten, die ich so sicher nicht gelesen hätte. Eine schöne Adventszeit. Liebe Grüsse, Sibylle

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  6. Liebe Astrid,
    Danke, dass du dich immer wieder kritisch mit dem Menschenbild in verschiedenen Kulturen beschäftigst, auf Missstände aufmerksam machst und auf wichtige Stimmen unserer Zeit dazu hinweist.
    Ich stimme den beiden von dir zitierten Islamkritikern zu, ohne den Islam oder seine Gläubigen pauschal zu verurteilen. Solange er aber von bestimmten Strömungen politisch und moralisch als Rechtfertigung für Intoleranz, Unterdrückung, Sexismus und Gewaltbenutzt wird, ist Kritik daran auch wichtig udn angemessen. Gerade in Zeiten, in denen rechtsextremistische Ansichten - und der radikale Islam gehört da ebenfalls dazu - politisch immer mehr an Einfluss gewinnen und die Menschen in diesen Ländern in ihrem Leben, dem was sie denken dürfen und in ihrer Selbstentfaltung immer mehr eingeschränkt werden, müssen die Stimmen lauter werden, die sich für diese Menschen und für demokratische Strukturen stark machen. Du bist eine davon - danke dafür.

    Offensichtlich sind die im Text hinterlegten Links bei mir nur für mich sichtbar. Danke für den Hinweis - ich habe sie jetzt nochmal separat eingestellt.
    Hier ist der Crowdfounding-Link, auf dem man sich in der rechten Sidebar als Fan eintragen kann:
    https://mvb.viele-schaffen-mehr.de/bienen-menschen-mainz

    Herzlich, Katja

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  7. Liebe Astrid,
    danke dir für deine informativen Posts...sie sind von großem Interesse für mich und auch wenn ich nicht immer kommentiere, so lese ich regelmäßig deinen Blog mit seinen vielfältigen Themen, über die ich ansonsten nicht gelesen hätte.
    Ich wünsche dir eine erholsame Zeit und nun schau ich mir deine 49. Kalenderwoche an.
    Lieben Gruß, Marita

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  8. Es bleibt mir nichts als Dir zuzustimmen. Was mich wahnsinnig aufregt, ist das Gefühl von Hilflosigkeit gegenüber einer weit verbreiteten (auch in unserer Gesellschaft) Arroganz, der Unfähigkeit, sich die Not der anderen zu gegenwärtigen. Mach es Dir trotzdem schön.
    LG
    Magdalena

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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