Freitag, 25. August 2017

Wieder nichts zu Raif, aber zum wiederholten Mal zum Herrn E.


Als ich vor ca. dreißig Jahren die Arbeit in einer Grundschule auf- und eine dritte Klasse übernahm, habe ich mich durch Hausbesuche mit den Eltern meiner Schüler & Schülerinnen bekannt gemacht. Ein erstes Ziel war eine sogenannte Fordsiedlung, in der viele der Schulkinder aufwuchsen. Ford hatte seinerzeit zahlreiche türkische "Gastarbeiter" in die Stadt geholt, um seine Autoproduktion am Laufen zu halten. Beim Besuch einer solchen Familie kam das Gespräch auf einen deutschen Mitschüler, der in der Nachbarschaft lebte. "Die haben kein gutes Benehmen, der Junge ist nicht gut erzogen", lautete das Urteil des Hausherrn. Da ich selbst diesen Jungen und seinen Vater als überaus höflich, zuvorkommend und wohlerzogen empfand, gewann ich den Eindruck, dass die türkischen Normen & Ansprüche, was gutes Benehmen anbelangt, sehr viel höher lagen, als es in der Bundesrepublik üblich war - ein nachhaltiger Eindruck...

... aber wohl ein positives Vorurteil, wie ich seit Wochen & Monaten immer wieder vor Augen geführt bekomme. Denn das, was der Herr E. in den vergangenen Tagen hat wieder heraushängen lassen, ist unterste Schublade. Das mag ich mit nichts und niemandem vergleichen, denn es wäre eine Beleidigung für jeden, den ich zum Vergleich heranziehen würde. Da wird gegenüber Erwachsenen auf der gleichen Ebene ein Ton angeschlagen, als habe man Subalterne vor sich, ein Jargon gewählt, der die eigene Überlegenheit herauskehren soll, ein Umgangsstil, wie er zwischen zivilisierten Menschen nicht üblich ist. Ich würde mich schämen für einen solchen Staatspräsidenten.

( Der türkische Europaminister Ömer Celik legte dann noch einmal Mitte der Woche nach und beschimpfte unseren Außenminister als "Rassist" und "Rechtsextremer"- man kann Herrn Gabriel dies & das vorwerfen, das aber nicht... Und heute hechtete der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hinterher und wirft Gabriel Unhöflichkeit vor und riet ihm, "sich um seine eigenen Dinge zu kümmern" - getroffene Hunde bellen... ) 

Doğan Akhanlı
Richtig empört hat mich aber der Versuch des Herrn E., Macht über alle & alles zu gewinnen, auch über die westliche Rechtsordnung: Er missbraucht mit seinen Fahndungsersuchen über Interpol internationale Vereinbarungen, indem er zum Beispiel den deutsch-türkischen Schriftsteller Doğan Akhanlı mit Hilfe der - wohl auch in anderen Fällen sehr willigen spanischen Polizei - festsetzen lässt. Herr E. setzt ein Instrument der Rechtspflege ein, um sein Wüten, seine Rache gegen jeden zu richten, der nicht mit ihm übereinstimmt. Er hantiert mit Errungenschaften und Standards, die er seinem eigenen Land verweigert. Und in bester Rumpelstilzchenmanier bezichtigt er die Länder Europas der Doppelmoral, wenn man seinen Ansprüchen auf Grundlage unserer Rechtsordnung entgegen tritt. Eigentlich müsste jetzt jedem klar sein, dass Herr E. nur so lange an der europäischen Rechts- & Werteordnung gelegen ist, wie sie ihm in seinen Allmachtsansprüchen & Rachegelüsten nützt. Er ist ein Meister darin, sich "der demokratischen Freiheiten zu bedienen, um dieselbigen abzuschaffen" ( Hannah Ahrendt;  Herr E. hat sich 1998 schon entsprechend geäußert ).

Gemäß der europäischen Menschenrechtskonvention sind Abschiebungen & Auslieferungen nicht zulässig, wenn es um eine politisch motivierte Verfolgung handelt und in einem Land kein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet werden kann. Und derzeit ist die Türkei nichts anderes als ein Unrechtsstaat. Ich hoffe, darauf besinnen sich alle Staaten der Europäischen Union, auch Spanien, das sich im Falle Doğan Akhanlıs, aber auch des schwedischen Schriftstellers & Erdogankritikers Hamza Yalçın*, skandalös verhält. Ein demokratischer Rechtsstaat gibt sich nicht für solche Dienste her, ist meine Meinung. Die Meinungsfreiheit & der Schutz vor politischer Verfolgung ist ein hohes Gut. Und es geht nicht an, dass Menschen in Europa auch hier den langen Arm des Herrn E. fürchten müssen. Eine Machtdemonstration ist das alle Male gewesen...

Wer sich für das Leben von Doğan Akhanlı interessiert - im Kölner Kulturleben spielt er eine bemerkenswerte Rolle - findet hier einen lesenswerten Artikel.


In puncto Doğan Akhanlı bin ich optimistisch, dass die Sache gut ausgeht. Bedrückend finde ich, dass es eine solche Hoffnung nicht gibt für Peter Steudtner, Deniz Yücel und die mit ihrem zweijährigen Sohn gefangen gesetzte Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu, die ebenfalls deutsche Staatsbürger sind, und all die anderen türkischen Menschenrechtler und die Journalisten - immerhin 171 an der Zahl, mehr als in China oder dem Iran.

Was hat sich in den zweieinhalb Jahren, in denen ich nun an dieser Stelle zu Raif Badawi, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit schreibe, zum Schlechten entwickelt! Das darf uns doch nicht egal bleiben!







*  Inzwischen hat auch die schwedische Regierung den türkischen Botschafter wegen Hamza Yalçın sowie dem mit Peter Steudter festgenommenen IT-Experten Ali Gharavi einbestellt und deutlich gemacht, dass die Entwicklungen in der Türkei aus der Sicht Schwedens "beunruhigend" seien.

10 Kommentare:

  1. Danke wieder einmal für Deine klaren Worte. Mir selbst fehlen sie meist..
    Und was können wir tun? Hoffen, daß westliche Politikerinnen und Politiker NOCH deutlicher werden?

    Viele Grüße
    Elena

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  2. Ja - wie wahr. Wie in vielen anderen Kulturen gibt es solche und solche. Manchmal finde ich es bedauernswert, dass solche dann durchkommen und man ihnen nicht deutlich entgegensteht. Ich bin durchaus kein Gabriel-Fan, aber mich überrascht er positiver denn je. Du findest wirklich die klaren Worte und fasst es gut zusammen, auf den Punkt gebracht! Danke dafür!

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  3. So wie Schweden müssten sich auch die anderen Länder der EU äußern und die Brisanz aufzeigen.
    Unseren Rechtsstaat dürfen wir nicht benutzen lassen für manipulative Machenschaften. Da war Hannah Arendt schon immer eine scharfe Beobachterin und bringt es genau auf den Punkt.
    Und man hatte schon fast geglaubt, da hätte sich was verbessert. Was für ein Irrtum.
    LG Sieglinde

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  4. Und neben den ganzen Prominenten hört man auch täglich von ganz normalen Urlaubern, die am Flughafen festgehalten werden, nicht einreisen dürfen oder sogar in Abschiebehaft kommen.... Entsetzlich alles, aber für mein Dafürhalten wird das in Europa noch nicht ernst genug genommen.
    Liebe Grüße

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  5. ja leider ist nichts besser geworden
    da ist ein Mensch dem die Macht zu Kopfe gestiegen ist
    der sich selber für "allmächtig" hält
    und der meint sich alles erlaubenb zu können ..
    die einzige Hoffnung ..
    der Sturz danach ist tief..
    ich hoffe unsere Politiker behalten den schärferen Kurs bei und knicken nicht wieder ein

    liebe Grüße
    Rosi

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  6. und nicht zu vergessen die kruden machenschaften des herrn t. und hierzulande verbieten sie links"extreme" webseiten. auch nicht besser. es ist doch zum heulen. hoffentlich gibt es am wochenende sowas banales wie sonnenschein. pflege dich gut.
    liebst,
    jule*

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  7. Es ist erschreckend anzusehen, wie sich Geschichte wiederholt. So erlebt nun die Türkei ihr "1933". Für mich sind seine Anhänger in unserem Land besorgniserregend. Sie müssen die diktatorischen Folgen nicht erleiden, schwenken aber ihre Fahnen. Sehr mutig...
    Da sind meine Gedanken bei all denen, die unter dieser Diktatur zu leiden haben, in Gefängnissen landeten, ihre Arbeit und Freiheit verloren haben.
    Sorry, aber ich verstehe niemanden, der in so einem Land seinen Urlaub verbringt.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  8. Da kann ich mich Andreas Kommentar nur anschließen. Du hast das Problem zutreffend geschildert und ich bekomme Magenkrämpfe, wenn im TV deutsche Urlauber in der Türkei sich naiv verharmlosend äußern. Wenn ich an unsere Wahl denke...... wieder alles wie gehabt????
    zähneknirschend grüßt Dich
    Magdalena

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  9. Ich denke mir oft: Wär ich türkische Grundschullehrerin... ich hätt den Job wohl nimmer. Ich kann einfach meinen Mund nicht halten.
    Erschreckend, diese Vorstellung!

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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