Freitag, 10. April 2015

Nachdenken durch Raif Badawi



Manchmal bin ich doch schockiert, wie schnell Nachrichten aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses geraten und wir uns mit ganz neuen Dingen ausgiebig beschäftigen: Vor drei Monaten waren wir alle Charlie, vor dreizehn Wochen Raif und vor noch nicht einmal drei Wochen alle Germanwings, waren erschüttert und traurig und teilweise höchst aktiv. Und um was geht es heute in den Medien? Um all DAS jedenfalls nicht mehr...

Versteht mich nicht falsch: Wir haben alle nur dieses kleine, kurze Leben und möchten das - gerade angesichts des Frühlingseinbruchs bei uns hier draußen vor unseren Fenstern - auch gerne in Freuden leben. Auch ich, vor allem seit mir klar ist, dass mir nicht mehr so viel Lebenszeit bleibt und was im Alter alles an Kummer & Leid auf mich zukommen kann. Im Gegenteil: Ich wünsche jedem, dass er/sie die schönen Seiten des Erdendaseins genießen darf.

Doch leider leben wir eben nicht im Kirsch(blüten)tal ( auch in Astrid Lindgrens "Brüder Löwenherz" lebt am Ende des Tales ein bedrohlicher Drache usw. ). Doch es gibt viele Menschen, die sich Gedanken machen, wie man für möglichst viele Menschen ein gutes Leben auf dieser Erde möglich machen kann.





Raif Badawi ist so einer. Der hat in seinem Blog laut darüber nachgedacht. Er hat zum Beispiel geschrieben:
„Der Liberalismus bietet alles, was den individuellen Freiheiten ihr Dasein gewährt. Auch die Freiheit der Religionsausübung ist durch ihn garantiert. Jedoch zwingt er der Gesellschaft nicht irgendeinen bestimmten spirituellen Ansatz auf durch Bevormundung oder Tyrannei. Das ist ein Gewinn, kein Zugeständnis oder Kompromiss.“
Aber er sieht auch, was wir in unserer ach so tollen westlichen Welt aus dem Liberalismus gemacht haben:
„Durch das Klima kultureller Dominanz und die Natur der neuen wirtschaftlichen Orientierung bedroht dieses sogenannte westliche Modell die Zukunft der Moderne und der Demokratie. Es bedroht die Werte der Aufklärung und die Prinzipien der Französischen Revolution.“

Da erinnert uns dieser kleine, "dünne, aber zähe Mann" ( Raif über Raid )  aus Saudi - Arabien an unsere ach so hochgehaltenen Werte, regt auch uns an zu überlegen, wie wir leben wollen, über den Tag hinaus.

Kein Wunder, dass er eingesperrt wurde. Wer mag schon gerne in Frage gestellt werden, wenn er/sie bestimmen kann, wo es für die anderen lang geht?
Solche Gedanken sind wohl immer noch gefährlich. Und sie zu äußern, in vielen Teilen der Erde noch gefährlicher.

Offensichtlich hat auch heute keine öffentliche Auspeitschung in Dschiddah stattgefunden, Meldungen dazu gab es heute nicht einmal bei Amnesty International. Aber außer Gefahr ist Raif Badawi sicher nicht. Bitte vergesst das nicht! Legt den Finger in diese Wunde ( und in viele andere, die ihr kennt )!


12 Kommentare:

  1. Das ist aber schwere Kost, nachdem ich eben deine schönen Blumen bewundert habe. Ich muss jetzt mal nachdenken.

    Andrea

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  2. Liebe Astrid,
    ich spüre hier Frustration.
    Und ich kann das sehr gut verstehen, es ist frustrierend. Das, was gestern noch das schlimmste aller Zeiten war, ist heute komplett vergessen.
    In diese Kategorie passt auch der Bürgerkrieg in Syrien. Und sogar die Ukraine.

    Aber nicht bei allen gilt aus den Augen, aus dem Sinn. Auch wenn es die Beiträge nicht mehr in die Hauptnachrichten schaffen.

    Dank deiner Berichte bin ich auf Raif Badawi aufmerksam geworden, und folge seiner Frau auf Facebook. Gott sei Dank berichtet sie fast täglich über Proteste, die für Raif stattfinden, meist von Amnesty International Anhängern.
    So protestiert heute Amnesty Norwegen.
    Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments demonstriert heute mit Amnesty - vor dem Abdullah-Zentrum (das muss also in Wien sein).
    Gestern hat Amnesty Irland protestiert.
    Belgien auch. Und am Tag davor Kopenhagen.

    Vielleicht sind die Informationen nicht mehr so leicht zugänglich, aber Raif ist nicht vergessen.
    und auch auf politischer Ebene scheint sich immer noch was zu bewegen. Hinter den Kulissen.

    Hoffen wir, dass es noch viel mehr hartnäckige Menschen wie dich gibt, und seine Frau, die nicht aufgeben.

    herzliche Grüße
    Tina

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  3. Hallo liebe Astrid,
    ich finde es ausgesprochen angenehm und wichtig, dass Du mich / uns an diese "unangenehmen Dinge" erinnerst. In dieser schnell-lebigen Zeit gerät so vieles viel zu schnell in Vergessenheit und ich frage mich gerade eben, ob das Schweigen von Amnesty International ein positives Zeichen (man tastet Raif Badawi nicht mehr an) oder ein negatives Zeichen ist (man will das Auspeitschen fortsetzen). Wir sollten wachsam bleiben und eigene Gedanken nicht scheuen.
    Viele liebe Grüße, Synnöve

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  4. Liebe Astrid, ja... es ist schwierig...wenn wir uns mit all dem Leid auf der Welt befassen würden, würden wir selbst handlungs- und lebensunfähig. Ich denke, es ist auch ein gewisser Selbstschutz, der uns Taten und Ereignisse verdrängen lässt...
    Ganz herzliche Grüsse und ein sonniges Wochenende, helga

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  5. Liebe Astrid,
    im Magazin des Kölner Stadtanzeiger wurde heute noch mal Raif Badawis Buch "1000 Peitschenhiebe - Weil ich sage, was ich denke" vorgestellt. Die gesamten Erlöse aus dem Buchverkauf fließen Raif Badawi zu.
    Es gibt so viel, dass um unsere Aufmerksamkeit buhlt. Du hast ja einige der Katastrophen der letzten Wochen und Monate aufgezählt. Und dazu kommen noch die kleinen privaten Katastrophen, der normale Alltag und so schaltet man dann in den Tunnelblickmodus.
    Viele Grüße
    Astrid rechtsrheinisch

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  6. Danke Astrid! Ja, wir sind sehr schnell in unseren Gedanken.

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  7. Liebe Astrid,
    du hast Recht - mit allem. Medial wird jedes Elend so lange ausgeschlachtet wie die Auflage hochgehalten/gesteigert wird - und mit den entsetzlich wuchernden großen Wunden in dieser Zeit haben wir alle leider nicht annähernd so viele Finger wie nötig wären - so konzentrieren wir uns auf das eine oder andere Leid, welches und gerade besonders berührt ... und anders ginge es vielleicht auch nicht, wollten wir nicht alle verzweifeln oder verrückt werden, oder das dringende Bedürfnis bekommen in die Weser zu springen.

    Deine verbleibende Lebenszeit ist hoffentlich nur statisch von dir als gering eingestuft und nicht aus aktuellem Anlass - ich hoffe es so sehr.

    Liebe Grüße - Monika

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  8. DANKE für deine geDANKEn.
    und dass du uns dazu bringst,
    uns auch wieder (mehr) geDANKEn darüber zu machen.

    nora

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  9. liebe astrid, leider war das ja klar, dass sich die aufmerksamkeit der öffentlichkeit rasch wieder auf andere themen konzentrieren wird. ein kurzer aufschrei ob all der ungerechtigkeit auf der welt und wenn es dann darum ginge, bei sich selber etwas zu verändern (sei es, indem man öffentlich stellung bezieht oder/und im kleinen versucht, fair zu handeln, andere und die welt nicht auszubeuten, etwas mehr geld auszugeben, wenn das mehr nachhaltigkeit bedeutet, die 'richtigen' politikerinnen zu wählen...) wird es dann meistens ganz schnell ganz still.
    ich bin froh, dass es leute wie dich gibt, die beharrlich den finger in die wunde legen! danke, liebe astrid!
    ♥ monika

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  10. Liebe Astrid! Recht hast du. Auch wenn ich im Alltag mit drei kleinen Kindern das nicht immer artikuliere, so denke ich schon an die vielen Menschen, denen es nicht gut geht, die in einem Krisengebiet leben. Und ich versuch mit kleinen Beiträgen meinen bescheidenen Beitrag zu leisten - sei es für eine NGO, sei es, indem ich möglichst fair kaufe. Danke fürs deinen Appell an uns alle, wir können nicht oft genug wieder drauf gestoßen werden. Liebe Grüße, Ulli

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  11. Liebe Astrid,
    ja, ja, die Medien...ich versuche mich diesen Hypes so gut wie möglich zu entziehen damit mein Kopf klar bleibt und ich mir gefühlsmässig noch die Verhältnismässigkeiten erhalten kann.
    Wenn ich dann allerdings (wohl dosiert) in meinem Amnesty-Jounal lese fühle ich mich oft nur ohnmächtig und traurig...umso älter ich werde umso mehr Leid wird das irgendwie...
    Mein Weg ist deshalb hinschaun, sich nach Möglichkeit so häufig wie möglich zu engagieren und aber auch jeden Tag geniesen!! Wir sind solche Glückskinder hier, zumindest viele von uns...
    Danke dass Du am Ball bleibst!
    Und auch lieben Dank für die Glückwünsche,
    ich wünsch dir viel Kraft für Deine Eltern,
    Kerstin

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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