Freitag, 27. März 2015

"Nicht locker lassen im Fall Badawi!"



Das möchte ich heute mit Katrin Kitzelbach, stellvertretende Direktorin am Global Public Policy Institute in Berlin, allen meinen Lesern zurufen - trotz all der anderen aufwühlenden Ereignisse wie dem Flugzeugabsturz oder einem weiteren arabischen Kriegsgebiet dank militärischer Intervention Saudi Arabiens, nämlich im Jemen.

Bitte nehmt euch die Zeit, diesen langen Post zu lesen!




Auch heute wurde Raif Badawi zum elften Male die öffentliche Auspeitschung erspart - so die Meldung von Amnesty International in Paris von heute Mittag. Dies hat die internationale öffentliche Empörung immerhin erreicht!

"Doch jetzt lässt der Trubel nach, und das ist für Badawi höchst gefährlich. Zu seinem Schutz muss die internationale Aufmerksamkeit aufrechterhalten werden. Dabei ist es unrealistisch zu glauben, dass der inhaftierte Blogger die Medien noch länger beschäftigen wird, denn Abwechslung ist nun mal das Gesetz der Schlagzeilen. Deswegen sind jetzt vor allem deutsche Politiker und Diplomaten gefragt." 

Das meint Katrin Kitzelbach in der "ZEIT" am vergangenen  Dienstag, eine Meinung, die ich unbedingt teile, und sie weist auf Erfolge in ähnlich gelagerten Fällen hin. 

"Badawi steht jedoch erst am Anfang von zehn Jahren Gefängnis. Hoffnung auf eine baldige Freilassung besteht daher nur dann, wenn sich das Kosten-Nutzen-Kalkül, das hinter Badawis Inhaftierung steht, maßgeblich verändert. Was ist der Sinn von Badawis Haft aus Sicht des saudischen Königshauses? Badawi hatte mit seiner Website über Politik und Religion die saudischen Machthaber herausgefordert, mit der Haft wurde er mundtot gemacht und ein abschreckendes Exempel statuiert. Im Sinne des Machterhalts ist seine Inhaftierung daher weiterhin wünschenswert. Auch die Möglichkeit einer Freilassung ins Exil wäre aus dieser Sicht nicht unproblematisch, und genau deswegen ist sie so schwer zu erreichen.  
Gleichwohl sind die Kosten für das saudische Königshaus bisher viel höher ausgefallen als erwartet. Auspeitschen ist in Saudi-Arabien eine Routinestrafe, die in der Regel wenig internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das war bei Badawi anders. Er profitierte – anders als andere politische Gefangene in Saudi-Arabien – von einem außergewöhnlichen Aufschrei. Badawi ist so zu einem VIP-Häftling geworden."

Und hart urteilt sie darüber, wenn die Bemühungen der Öffentlichkeit erlahmen: "Wer erst aufschreit und später wegschaut, handelt unverantwortlich."

Es muss zur routinemäßigen Praxis deutscher Politiker bei Auslandsreisen werden, sich für politische Häftlinge einzusetzen, so ihre Forderung. Und das wird es nur, wenn wir als "Wahlvolk" solches von unseren Volksvertretern verlangen. Also ist jeder Einzelne aufgefordert, bei seinem Abgeordneten nachzuhaken!

Auf weiteren Aktionsbedarf bzw. - spielraum weist Kitzelbach ebenfalls hin:

"Saudi-Arabien verstößt mit der Prügelstrafe gegen die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen, der es im September 1997 beigetreten ist. Auch Deutschland ist Vertragsstaat der Antifolterkonvention und hat als solcher nicht nur ein legitimes Interesse, sondern sogar die Pflicht, auf ihre Einhaltung hinzuwirken. 
Riads Vorwurf einer Einmischung in innere Angelegenheiten kann daher von jedem deutschen Vertreter bei Gesprächen über den Fall Badawi getrost zurückgewiesen werden. Als Vertragsstaat muss Saudi-Arabien auch regelmäßig vor dem zuständigen Fachausschuss in Genf über die Umsetzung berichten. Im Frühjahr 2016 ist Riad wieder an der Reihe. Der neue König Salman ibn Abd al-Azizzu hat also genau ein Jahr Zeit, um die Prügelstrafe zu verbieten."

Bemerkenswert fand ich noch die Aussage eines Kommentators unter dem Artikel in der "ZEIT":

"Raif Badawi ist ... eine Symbolfigur wie Nelson Mandela für den African National Congress (ANC). Auch Nelson Mandela kämpfte nicht alleine. Aber er war das Gesicht der Bewegung, so wie Raif Badawi das Gesicht der saudi-arabischen Menschenrechtler ist."

Wenn man ich mir das vor Augen führe, wächst die Hoffnung, durch Beharrlichkeit & Hartnäckigkeit auf Dauer etwas erreichen zu können. Hinweise, was das sein könnte, habe ich in diesem Post gegeben. Bleibt nur, die Reisetätigkeit deutscher Politiker im Auge zu behalten & die entsprechenden Mailtexte in der Hinterhand...


Ein weiterer, unbedingt lesenswerter Beitrag des Wiener Historikers & Autor Heiko Heinisch für "The European" beleuchtet einen weiteren Aspekt:

"Durch die Kampagne zur Freilassung Raif Badawis ist die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien insgesamt in den Fokus der Medien geraten. Seither wird über die Behandlung ausländischer Hausmädchen, die oft genug unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und sexuell ausgebeutet werden, ebenso berichtet, wie über die Rechtlosigkeit der Gastarbeiter im Land, die Rechtlosigkeit der Frauen, denen nicht nur das Autofahren verboten ist, sondern die ohne Einverständnis eines männlichen „Vormunds“ und ohne männliche Begleitung das Haus nicht verlassen dürfen, die Situation religiöser Minderheiten, das sprunghafte Ansteigen der Hinrichtungen .......  oder die politischen Gefangenen, die nach dem 2014 verabschiedeten „Strafgesetz für Terrorverbrechen“ verurteilt werden.
Die saudische Regierung scheint zu glauben, es genüge, „Terrorismus“ auf den Ordner zu schreiben, um ungehindert gegen Menschenrechtsaktivisten vorgehen zu können. So definiert dieses Gesetz unter anderem „atheistisches Gedankengut“ sowie praktisch jede kritische Äußerung gegenüber dem Islam und der Regierung als Terrorismus. Ausgerechnet der Anwalt Raif Badawis, Waleed Abu al-Khair, war der erste Verurteilte nach diesem Gesetz."

Auch einen zweiten Gesichtspunkt aus diesem Beitrag möchte ich an dieser Stelle weitergeben:

".... im Kampf gegen den IS braucht Saudi-Arabien den Westen mehr als umgekehrt: Der IS ruft zur Eroberung der heiligen Stätten von Mekka und Medina auf und beansprucht mit der Ausrufung des Kalifats die Herrschaft über die islamische Welt.
Somit hat die saudische Regierung ein existentielles Interesse an der Bekämpfung des IS und der Gewinnung westlicher Alliierter. Zudem unterstützen Teile der saudischen Bevölkerung den IS und andere dschihadistische Gruppierungen, wovon die Regierung unmittelbar bedroht ist."

Inzwischen erscheint es mir auch an der Zeit, das kritische Auge auch auf andere Länder zu richten, in denen Blogger verfolgt werden. Iris/Blütenblätter berichtet von einem anderen Fall:

"Am 24. Februar ist der omanische Schriftsteller und Blogger Muawiya al-Ruwahi vom Staatssicherheitsapparat der Vereinigten Arabischen Emirate bei der Einreise ins Land festgenommen worden. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt, und es besteht die Gefahr, dass er gefoltert oder anderweitig misshandelt wird."

Amnesty International schreibt zur Praxis des Verschwindenlassens in den Vereinigten Arabischen Emiraten:

"Die Behörden der VAE haben in den vergangenen Jahren zahlreiche ausländische Staatsangehörige festgenommen. Viele von ihnen wurden Opfer des Verschwindenlassens und an unbekannten Orten festgehalten, ohne dass ihre Inhaftierung von den Behörden bestätigt wurde. Auch an ihre Familien wurden keinerlei Informationen weitergegeben, weder bezüglich der rechtlichen Grundlage ihrer Inhaftierung noch hinsichtlich ihres Aufenthaltsortes und der Haftbedingungen. Außerdem verwehrten die Behörden den Gefangenen Kontakt zu Rechtsbeiständen. Diese Bedingungen widersprechen sowohl dem geltenden Recht der VAE als auch dem Völkerrecht. Viele Inhaftierte wurden in Einzelhaft gehalten und gaben an, dass sie während ihrer Verhöre gefoltert und anderweitig misshandelt wurden."

Hier kann man im Rahmen einer Urgent Action von Amnesty International eine vorformulierte E-mail verschicken und weitere Informationen finden.









Nachtrag: Wer eine Spiegel - App auf seinem iPad oder Smartphone hat, kann seit heute 18 Uhr ( kostenpflichtig ) den ganzen Spiegel - Artikel lesen, auf den Astrid/Nadelwahn im Kommentar hingewiesen hat. 


16 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,
    ich finde es gut dass du immer wieder so unermüdlich von Raif Badawi berichtest. Ich muss ehrlich sein, ich merke, dass ich mit jeder Woche selbstverständlicher davon ausgehe, dass die Strafe wieder ausgesetzt wird. Das ist nicht gut.
    herzliche Grüße Patricia

    AntwortenLöschen
  2. Mir wird immer wieder übel wenn ich darüber nachdenke, wie leichtfertig mit Menschenleben umgegangen wird, für Macht, Macht, Macht. Danke, dass Du am Ball bleibst, Du bist unser Gewissen :-) liebe Grüße von Petra

    AntwortenLöschen
  3. ... gut, dann bleibe ich mit dir dran ...

    Liebe Grüße - Monika

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Astrid,
    Spiegel online meldete heute, dass Raif Badawi aus der Haft einen Brief geschrieben hat, den der Spiegel in Auszügen abdruckt.
    LG Astrid rechtsrheinisch

    AntwortenLöschen
  5. oh man, ich war erst 137 die die vorformulierte mail abgesendet hat - hoffentlich werden das noch mehr....

    Ich glaube, es stimmt, jetzt zu vergessen, dass sich an seiner Situation nichts geändert hat, wäre lebensgefährlich.

    Der Gedanke? die Vision? Raif Badawi könnte für das saudiarabische Volk das werden, was Nelson Mandela für Südafrika war, ist allerdings hoffnungsvoll. Das wäre wunderbar. Dann würde sein Leid wenigstens etwas nachdrückliches in Bewegung setzen.

    Liebe Grüße
    Tina

    AntwortenLöschen
  6. auch wenn ich nicht immer einen Kommentar hier hinterlasse so bleiben wir auch dran - denn steter Tropfen...


    herzliche Grüße

    AntwortenLöschen
  7. Liebe Astrid,

    vielen Dank für deinen ehrlichen Kommentar.
    Natürlich hast du recht - wer eine Reichweite hat (und sei sie noch so klein) sollte sich in der Pflicht sehen, sie für andere Menschen zu nutzen, die in Not sind. Und im Fall Badawi kann nur so ein Ziel erreicht werden - nämlich, dass er seine Kinder und seine Frau wieder in die Arme schließen kann. Katrin Kitzelbach trifft einen wichtigen Nerv, wenn sie auf die gefahr hinweist, der Badawi ausgesetzt wird, sollte der Medientrubel um ihn nachlassen.

    Es ist toll, dass du deinen Teil dazu beiträgst, dass das nicht passiert :)

    Hab ein schönes Wochenende,
    Stefanie

    AntwortenLöschen
  8. Gelesen, Email abgeschickt und geteilt. Momentan passiert ganz schön viel.
    Danke fürs Erinnern!

    LG und ein schönes Wochenende,
    Antje

    AntwortenLöschen
  9. Danke Dir für Deine Mühe - ich habe heute zu Dir verlinkt und hoffe, so etwas dazu beitragen zu können. Liebe Grüße von Petra

    AntwortenLöschen
  10. Toll, wie du das recherchiert hast und weiter am Ball bleibst. Hoffen wir doch, dass die Presse das ebenso tut. Heute stand wenigstens mal etwas in der Lokalzeitung. Und hoffen wir auch, dass sein Status als 'VIP'-Gefangener hilft, ihn am Leben zu erhalten und schließlich frei zu bekommen. Diesen Status kann er natürlich nur behalten, wenn die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht nachlässt.
    LG, Ingrid

    AntwortenLöschen
  11. liebe Astrid,
    ich bewundere Dich sehr, wie viel Du recherchierst und alles für uns niederschreibst.
    Über solche Möglichkeiten denkt man vielleicht sonst gar nicht nach, toll dass Du uns alle ein bisschen wachrüttelst.
    ich wünsche Dir ein schönes Wochenende
    liebe Grüße
    Gerti

    AntwortenLöschen
  12. Danke Astrid!
    Herr Erdogan und Gleichgesinnte haben am Freitag beschlossen, dass in der Türkei in Zukunft auf Demonstranten mit scharfer Munition geschossen werden darf. Auch dieser Herr hält sich für einen ganz besonders gottgefälligen Menschen. Zum Kotzen.
    Dir ganz liebe Grüße
    Lisa

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Den Eindruck habe ich: Wir sind auf Erden von allen guten Göttern verlassen.Gute Nacht!

      Löschen
  13. auch wenn ich mich wiederhole: danke, liebe astrid, dass du weiterhin jede woche über raif badawi berichtest und die aktuellen informationen sammelst!
    auf instagram (https://instagram.com/raif_badawi/) und facebook (https://www.facebook.com/raifofficialpage) war gestern zu erfahren, dass am 1. april ein buch von raif badawi erscheinen soll.
    ♥ monika

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.