Montag, 4. August 2025

Bücherlese Juli

"Lesen ist für viele so was von 20. Jahrhundert. Das aktive Kommunikationsverhalten im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sieht anders aus: Man nimmt etwas wahr, was jemand irgendwo auf XInstabluesky geschrieben hat, und kommentiert es dann. Der Kommentar wird wieder kommentiert. Auf ihn folgt der nächste Kommentar. Nichts ist im Netz so günstig zu haben wie Meinung, eine Form von Meinung, die ausschließlich von der Erfahrung des Moments lebt. [...] Die Wörter im Netz sind Wörter, in die man sich nicht hineinstehlen möchte. Zu viele von ihnen stehlen sich einem selbst ins Hirn." Das habe ich im Juli in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen und gedacht: "Ja, so isses." Und deshalb stelle ich das heute meiner Bücherlese des Monats Juli voran.

"Nix jammern, immer lesen. 
Und dann denken und später schreiben. "
Kurt Kister
"Große Literatur bewahrt etwas von ihrer Zeit, 
bleibt dabei unvergänglich."
Marc, Buchblogger & Thomas-Mann-Botschafter
"In der Weltliteratur können wir erfahren, woher wir kommen."
Hanjo Kesting, Publizist

Und das letzte Zitate führt mich bei diesem Post direkt zu meinem großen Leseprojekt im zurückliegenden Monat, nämlich der Lektüre von Thomas Manns "Der Zauberberg". Groß insofern, als es ein fast tausend Seiten umfassendes Werk ist, groß, weil in sehr komplexer Weise das äußerst vielschichtige geistige & soziale Panorama der Zeit vor dem 1. Weltkrieg in anspruchsvoller Sprache geschildert wird -  "ein magistrales Buch, unvergleichlich in artistischer Hinsicht", so Hanjo Kesting. Und groß auch, weil es mich eine ungeheure Überwindung gekostet hat, mich auf diesen Autor endlich wieder einzulassen. 




Ich habe mit ihm Bekanntschaft gemacht in meiner Schulzeit ( "Herr und Hund" ) und irgendwer, ich weiß heute nicht mehr wer, hat mir in meiner damaligen Pfarrbücherei das "Wälsungenblut" ans Herz gelegt. Lust auf die "Buddenbrooks" hatte ich auch keine mehr, nachdem ich in meinem Schüler-Filmclub die gleichnamige Verfilmung genossen hatte. Danach war Thomas Mann erledigt & abgehakt. 

Nun war ich auch in einer Zeit jung, als der Nobelpreisträger als "großbürgerlicher Literat" in Verruf geriet und andererseits die affektbestimmte Ablehnung aufblühte, weil Thomas Mann die Nachkriegsdeutschen mit der Realität ihrer Taten und mit ihrer Schuld konfrontiert hat. Etwas später bestimmte sein Sohn Klaus Mann das Gespräch, nachdem sein "Mephisto" nach etlichem Trara veröffentlicht werden konnte. Auch der Bruder Heinrich Mann geriet damals wieder vermehrt in den Blick der bundesrepublikanischen Nachkriegsleserschaft, so dass diese Bücher auf meinem Nachtisch einen Platz einnahmen.




Bestätigt hat sich bei meiner jetzigen Lektüre ( was ich eigentlich schon weiß ), dass mich Bücher aus zwei Gründen zu faszinieren vermögen: Da ist einmal die gute Geschichte und das andere Mal die Sprache, kreativ & treffend eingesetzt und voller guter, nicht abgeschmackter Bilder. Ich hätte nicht gedacht, dass Thomas Mann so witzig & hintergründig, mit so feinem Humor formuliert und eben nicht abgegriffene Vergleiche einsetzt, um Menschen zu charakterisieren oder seine Welthaltung zu verdeutlichen. Ich habe meinen Spaß an den vielen ironischen Sentenzen gehabt und darüber oft die Geschichte vergessen, die sich ja zugegebenermaßen in die Länge zieht, die aber in den verschiedenen, aufeinander abgestimmten Handlungsverläufe meisterhaft komponiert ist. Es ist geradezu ein ausführliches Historama einer Gesellschaft, die völlig abgehoben vor sich hinlebt und wie "Schlafwandler" agiert ( so ja auch ja die Formulierung des Historikers Christopher Clark in seinem gleichnamigen Buch über die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs ). Der beschriebene "Obskurantismus" - meint irrationales, antiaufklärerisches Verhalten -  beherrscht auch heutzutage wieder weite Teile der Menschheit, und wir schauen dem Treiben wie einstens Hans Castorp meist tatenlos zu, also hochaktuell! 

Zwischenzeitlich hab ich mir auch die Verfilmung von Hans W. Geissendörfer angeschaut, und die war flach & langweilig und hatte für mich so gar nichts von der Zauberberg-Anmutung. Ich bin froh, dass ich das Buch gelesen habe, denke aber auch, ich konnte erst jetzt, im reifen Alter, die Geduld und Ausdauer dafür aufbringen. Es war für mich keine verlorene Zeit, im Gegenteil, diese zehn Tage, die ich mit diesem Buch "beschäftigt" war.




Was ich mit diesem Beitrag will: Allen Mut machen, sich anspruchsvolle Werke der Weltliteratur vorzuknöpfen! Da kann frau viele Entdeckungen machen, über sich selbst, Sprache, Zeitgemäßheit, menschlich Allgemeingültiges.

Nach dieser Lektüre wusste ich gar nicht, welches Buch ich mir von meinen Stapeln vorknöpfen sollte. Die Entscheidung fiel dann wieder mal auf ein Buch der Kategorie "Coming of Age",  "Man vergisst nicht, wie man schwimmt" von Christian Huber: Unterhaltsam, aber eher von einem Drehbuchschreiber verfasst denn von einem begnadeten Literaten. Erst ganz zum Schluss gab es so eine kurze Sequenz, die ich irgendwie romantisch fand. Da hat mich das Jugendbuch von Stefanie Höfler "Tanz der Tiefseequalle", welches ich vor dem "Zauberberg" gelesen habe, mehr angesprochen und im Innern bewegt. Manchmal liegt auch bei einer Geschichte - platt formuliert - in der Kürze die Würze. Höflers "Feuerwanzen lügen nicht" wartete schon auf mich, und es hat mir sogar noch besser gefallen, sprachlich wie thematisch. Besonders die Darstellung des Reifungsprozesses des Jungen Nits im Umgang mit seinem Freund und dessen Lebenssituation ist meines Erachtens gut gelungen. Spannend ist es auch. Und so habe ich es an einem Abend verschlungen. 

Daraufhin habe ich mich einem ganz anderen Sujet zugewandt, nämlich Isabella Trees "Wildes Land. Die Rückkehr der Natur auf unser Landgut", ein Sachbuch über ein britisches Renaturierungsexperiment in West Sussex, 70 Kilometer von London entfernt. Das war durchaus von Interesse für meines Vaters Tochter, hat der doch mit einem ähnlichem Projekt in sehr viel kleinerem Maßstab seine Mitmenschen in meinem Geburtsort genervt. Der Autorin ist es nicht anders gegangen, nachdem sie 2000 ihren landwirtschaftlichen Betrieb auf einem 1987 ererbten Gelände von 1.400 Hektar einstellten: Wütende Nachbarn sahen das Projekt als Bedrohung ihrer eigenen Landwirtschaft; Biologen, Ornithologen, Botaniker u.a. fanden hier hingegen den Rahmen für ausgedehnte Studien. Ein Sachbuch, dessen Lektüre sich für mich dank vieler neuer Erkenntnisse gelohnt hat, bin ich doch aufgrund eines bäuerlichen Familienhintergrundes & guter Kenntnisse über Flora & Fauna nicht ganz unbeleckt.

Zwischendurch brauchte ich aber auch immer wieder was Literarisches. Und da schienen mir kürzere Geschichten geeignet wie die von Benjamin Myers in "Der längste, strahlendste Tag". Doch die überwiegend männlichen Protagonisten in diesen sechzehn Erzählungen & einem Dialog sind mir meist ganz schön merkwürdig bzw. fremd vorgekommen in ihren "Tragödien des Machismo", und nur ein paar haben mich berühren können. Ich habe das Buch eher nur zu Ende gelesen, weil man das so tut. Dennoch habe ich als nächstes zum neuesten Buch des Autors gegriffen, "Strandgut", was auf der Spiegel-Bestsellerliste seit 5 Wochen zu finden ist. Der Einstieg fiel superleicht, denn Hüftbeschwerden & Trauer um den Lebensmenschen kenne ich zur Genüge und Soulmusik liebe ich sehr. Es ist ein leises, geradezu melancholisches Buch und erzählt von zwei Menschen, die ein Leben führen wie die allermeisten von uns und schon lange alle Illusionen verloren haben, aber dennoch neue Möglichkeiten wahrnehmen. Wie kann ein 34 Jahre jüngerer Mensch wie der Autor wissen, wie man sich als alter Mensch fühlt? Mir hat das Buch gefallen und bleibt in der Bibliothek. Ein letztes Buch von ihm, dass auf Deutsch erschienen ist, steht schon zur Lektüre bereit...


Danach war mir aber nach einem ganz anderen Kultur-/Sprachraum als dem anglophonen. Die katalanische Schriftstellerin Irene Solà war für mich ein völlig unbeschriebenes Blatt. Und ich muss sagen: "Singe ich, tanzen die Berge" hat mich sofort gefangen genommen und war fast an einem Abend ausgelesen. Die junge Autorin hat für sich den Anspruch, denen eine Stimme zu geben, die bisher nicht gehört worden sind. Und das ist gleich im ersten Kapitel die eines Gewitters bzw. Blitzes. Es gibt auch die von Pilzen (Totentrompete), Rehböcken, Frauen, die als Hexen angeklagt & ermordet worden sind. Es gibt Gedichte und eine illustrierte, aber poetische Beschreibung der alpidischen Gebirgsbildung der Pyräneen, die die Hintergrundslandschaft für die Geschichten abgeben. Einen roten Faden gibt es auch: Die Geschichte einer Familie, die zwei gewaltsame Todesfälle in diesen Bergen ertragen musste. "Mir war es wichtig, über diese optimistische Grausamkeit des Lebens zu sprechen", kommentiert Irene Solà. Ihr nächstes Buch ist schon auf meiner Liste notiert.

Ein Buch zum Wohlfühlen, auch was die äußere Aufmachung - Satz, Typographie, Papierqualität, Lesebändchen  - anbelangt, ist Stephan Schäfers "25 letzte Sommer". Die Konsequenzen, wenn man/frau sich in der Berufstretmühle hat gefangen nehmen lassen, habe ich ja nun schon lange hinter mir gelassen. Ob die Lektüre anderen Leser*innen einen Anstoß zum Umdenken verhilft, kann ich nicht beurteilen. Ich selbst bin jetzt schon länger rührbar durch all die schönen Dinge, die das Leben neben der beruflichen Perfektion eben bereit hält, und inzwischen der Mensch, der ich sein möchte.



Schließlich bin ich zum Monatsende wieder zum Zauberberg zurückgekehrt mit Norman Ohlers "Der Zauberberg, die ganze Geschichte". Das ließ sich locker & leicht lesen, unterhaltsam, da viele sachliche Informationen einfließen: Das ganze Davoser Sanatoriumswesen hatte schon wie unser heutiges Gesundheitswesen ganz profitorientierte Hintergründe. Damals fühlte sich die Mutter Katia Manns zum Ausspruch "Davos ist ein Schwindel" veranlasst. Ein Buchkapitel ist dem tragischen Dichter Klabund & seiner Liebe Carola Neher ( siehe auch dieser Post ) gewidmet und eins dem in der Schweiz agierenden Nazi Wilhelm Gustloff, dessen Name in (m)einer Familie oft gefallen ist, die bei der Flucht aus Danzig eben nicht auf das Schiff gleichen Namens gekommen ist und somit überlebt hat. Auch über das Binnenverhältnis des Ehepaars Mann erfährt man etwas, alles eingebettet in die persönlichen Überlegungen des Autors zu Tochter & Geliebten, zur Klimakrise und zur exklusiven und exkludierenden Tagung des Weltwirtschaftsforums heutzutage in Davos, die insofern auch ein Mythos ist, da durch sie die Welt nicht gerettet werden wird. Passend für jemanden, der sich gerade mit dem Phänomen "Zauberberg" beschäftigt hat, ist das Buch schon, aber auch nur dann.

Nicht auf meinem fotografierten Stapel ist der Roman "Mauersegler" von Valerie Jakob zusehen, der mir gegen Ende des Monats beim Aufräumen in die Hände gefallen ist - ein Geschenk, aber von wem?  Der Roman ist erneut ein Beispiel dafür, dass sich aus der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts eine spannende Lektüre schöpfen lässt, diesmal sogar mit einer Prise Feminismus. Weil ich neugierig war, wie es ausgeht, hatte ich es innerhalb eines Tages gelesen.

Wie immer habe ich auch in diesem Monat zwischendurch Graphic Novels angeschaut und gelesen. Das waren diesmal von Willi Blöss "Artemisia Gentilschi", von Susanne Kuhlendal "Der Tod in Venedig nach Thomas Mann" und "Lagerfeld" von Alfons Kaiser (Text) & Simon Schwartz (Grafik). Nur letztere hat mich, vor allem optisch, überzeugt.

                                                                      


3 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    das ist mal eine Bücherliste!
    Sehr inspirierend, aber für mich wohl eine Klasse zu hoch. :-)

    Zwei kenne ich - "Der Zauberberg" ( an dem ich aber sehr lange gelesen habe) und "25 letzte Sommer", was mich sehr berührt hat.

    Was ich gerade lese: "Der Gott des Waldes", aber nicht, weil es auf Obama's Summer reading list steht, sondern weil ich das Thema sehr interessant fand. Es liest sich gut, für manche vielleicht zu oberflächlich, für mich nicht.

    Liebe Grüße,
    Claudia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Letzteres habe ich auch schon mal ins Auge gefasst. Ich kann dir unbedingt Benjamin Myers empfehlen, für mich eine Entdeckung. Inzwischen habe ich auch das letzte Buch gelesen.
      GLG

      Löschen
  2. Liebe Astrid, ich lese hier schon länger und bin, wie so oft, einfach glücklich, solche Blogbeiträge zu lesen. Sie haben Tiefe, beschäftigen mich mehr als 5 Minuten, regen an... ich finde mich wieder. Sie sind Leuchtpunkte in der (gerade) so "aufgeheizten Welt". Das beginnt schon mit den Eingangszitaten. Daher ein großes Dankeschön! Kathrin

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Kommentare ohne ein Blog- Konto bei Google oder Wordpress bitte nur mit Namensnennung!
Respekt ist (m)ein Mindeststandard. Anonyme und gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werden von mir nicht mehr veröffentlicht.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.