Donnerstag, 2. Juli 2020

Great Women #225: Wilhelmine von Bayreuth

Auf die heutige Great Women hat mich Sieglinde/da sempre gebracht, die mir einmal ganz viele Prospekte und Mitbringsel aus Bayreuth geschickt hat. Morgen jährt sich ihr Geburtstag zum dreihundertelften Male, und das war Grund genug, endlich hier an dieser Stelle Wilhelmine von Bayreuth vorzustellen.

"Um sich glücklich nennen zu können, 
müsste man die Fähigkeit zu denken verlieren."

"Um diese sogenannte Tugend (also die Seelenruhe) 
zu erlangen, 
müsste man gefühllos sein 
und genau diese Fühllosigkeit 
würde uns unglücklich machen."

Wilhelmine von (Brandenburg-) Bayreuth kommt also am 3. Juli 1709 in Berlin als Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen zur Welt. Sie ist die älteste Tochter des späteren "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I. und seiner Gattin Sophie Dorothea von Hannover. "Die Kronprinzessin gebar am 3. Juli 1709 eine Prinzessin, die sehr ungnädig empfangen wurde, da alles leidenschaftlich einen Prinzen wünschte. Diese Tochter ist meine Wenigkeit", das wird Wilhelmine später in ihren Memoiren schreiben und mit einer gewissen Selbstironie die wenig begeisterten Reaktionen auf ihre Geburt schildern.

Sie ist das zweite Kind, das ihre Mutter geboren hat. Ihr zwei Jahre zuvor zur Welt gekommener Bruder Friedrich Ludwig ist schon mit einem halben Jahr verstorben, deshalb die großen Erwartungen, denn dem Hause Hohenzollern fehlt der Thronfolger. Das ist umso fataler, als die preußische Königswürde gerade einmal acht Jahre alt und damit angreifbar gewesen ist. Das habsburgische Kaiserhaus hat nach Verhandlungen den Status quo zwar akzeptiert, aber die Preußen nie als standesgemäß angesehen.

Auch der im Jahr darauf geborene Friedrich Wilhelm stirbt knapp einjährig. Der nächste Sohn, Friedrich, 1912 geboren, wird überleben und der bedeutendste König des Hauses Hohenzollern werden: Friedrich der Große. Der Kleine gewinnt wohl schon von seinen ersten Lebenstagen an die Zuneigung der vier Jahre älteren Schwester, die früh darüber belehrt wird, dass der nicht nur ihr Bruder sei, sondern der Kronprinz und künftige König. Das zwiespältige Bewusstsein, niemals so viel wert sein zu können wie ein Prinz, wird ihr ganzes Leben über bleiben. Sie lebt zwar am Hofe des ersten Königs in Preußen, erzogen wird sie aber nur teilweise so, wie es ihr von ihrem Stande her hätte zukommen müssen.
"Wilhelmines Kindheit und Jugend gestalten sich als traumatisierender Gang durch Intrigen und Verschwörungen. Ihre Lebensschule ist die vergiftete Atmosphäre am Hof des Soldatenkönigs", schreibt an dieser Stelle Micaela von Marcard.
Antoine Pesne:
Friedrich der Große und seine Schwester Wilhelmine
(1715)
Prinzessinnen sind allerdings ebenfalls ein hohes Gut in jenen Tagen, insofern als sie als Unterpfand dienen, mit dem erfolgreich Allianzen abgesichert werden. Wilhelmine wird deshalb am königlichen Hof zum wichtigsten Gegenstand machtpolitischer Heiratspläne:

Nach dem Wunsch ihrer Mutter aus dem Hause Hannover, deren Vater inzwischen als George I. den englischen Thron bestiegen hat, soll Wilhelmine Königin von England werden und den gleichaltrigen Sohn ihres Bruders heiraten, um die beiden Dynastien enger aneinander zu binden. Darauf wird sie vorbereitet und damit schon als kleines Mädchen Spielball politischer Ränke mit teilweise  kaum erträglichen Konsequenzen.

Sind doch alleine die charakterlichen Unterschiede zwischen ihren Eltern schon Belastung genug! Sie sorgen für Wilhelmines stetes Gefühl des Hin-und-Hergerissenseins: Da die ehrgeizige, musische Prinzessin ( bzw. spätere Königin )  mit Vorlieben für Musik, Kunst, Literatur und Mode, dort der impulsive, rau aufgewachsene, zu Gewalt neigende und spartanisch lebende Kurfürstensohn bzw. König. Die Gegensätze führen zu politischen und familiären Zwistigkeiten ohne Ende, obwohl Friedrich Wilhelm seine Frau sonst wohl mag und sie anders behandelt als in diesen Kreisen üblich und zum Beispiel keine Mätressenwirtschaft betreibt.

Wilhelmines Eltern
Dazu kommt als weitere Drangsal ihre Erzieherin, die Untergouvernante Leti, eine Italienerin, der Wilhelmine ab ihrem dritten Lebensjahr ausgesetzt ist. Diese ist nämlich ebenfalls Teil des höfischen Ränkespiels zweier Minister & Günstlinge des Königs, aber Gegenspieler der preußischen Königin, und von. diesen eingesetzt, um deren Pläne einer Heirat ins englische Königshaus zu hintertreiben. Die Erzieherin scheint eine perfekte Blenderin zu sein, gibt nach außen ein ganz anderes Bild ab als das, was sich dem Kind offenbart: Die Prinzessin beschreibt ihre "Manieren" als "holländisch", was nichts anderes heißt, als dass sie sehr grob ist und dem Kind mitunter heftige Prügel angedeihen lässt.

Das kleine Mädchen ist also immer Objekt. Es berührt unangenehm, dass es später als Erwachsene über ihre Mutter schreiben wird: "Sie hat nie eines ihrer Kinder geliebt. Sie nahm nur insofern teil an ihnen, als sie zum Werkzeug ihres Eigennutzes dienen konnten." Der Vater kommt in ihren jungen Jahren besser weg: "Der König liebte mich mit Leidenschaft. Keinem seiner anderen Kinder zeigte er sich so aufmerksam wie mir." Schon mit fünf Jahren schreibt sie ihm Briefe, schickt ihm später darin auch ihre - gezogenen - Milchzähne und teilt ihm mit, wie sehr sie den stets von Zuhause Abwesenden vermisst.

Der Bruder wiederum, so ganz anders als die Prinzessin und lange nicht so flink im Lernen und von eher düsterem Gemüt, scheint viel mit Wilhelmine zusammen zu sein. Er schätzt sie als Vertraute & Vorbild und lässt sich von ihr ins Gewissen reden, wenn er so gar nicht beim Lernen bei der Sache bleiben will. Später wird er ihr dafür seine Dankbarkeit bekunden. Unterrichtet wird Wilhelmine in Musik - ihrem Lehrer verdankt sie die Liebe zur Oper -, außerdem in Geschichte, Geographie, Philosophie, Italienisch und auf besonderen Wunsch der Mutter in Englisch.

Wilhelmine ist noch keine zwölf Jahre alt, da scheinen sich die Träume ihrer Mutter, sie an den englischen Hof zu verkuppeln, in den Bereich des Möglichen zu tendieren, auch wenn die in Ungnade gefallene Leti am Hof von Hannover die kleine Prinzessin dort madig macht. Ihre neue Erzieherin in Berlin, Dorothea von Sonsfeld, ihre "Sonsine", erweist sich als echter Glücksfall für das junge Mädchen, denn die erkennt die Schüchternheit und die Ängste ihres Schützlings und weiß sie vor den Tyranneien der Eltern zu schützen. Daraus wird eine lebenslange Verbundenheit erwachsen.

Rettung aus der familiären Not ist für Wilhelmine oft auch die Krankheit. Mehr als einmal wird sie sich auf den Tod ins Bett legen...

Friedrich Wilhelm Weidemann:
 Prinzessin Wilhelmine
(1717)
Als Wilhelmine vierzehn ist, macht sich ihr Großvater, der englische König, bei einem Besuch in Berlin ein Bild von ihr als Heiratskandidatin, nicht als Enkelin. Dieser Auftritt bleibt Wilhelmine als gefühllos und kalt in Erinnerung. Ihre Mutter wähnt sich hingegen am Ziel ihrer Wünsche.

Aber die Dinge kommen nicht so recht voran. Zwischenzeitlich bekommt Wilhelmines Vater, vom englischen Hof, aber auch vom Kaiser in Wien umworben, von dort etwas "Reelles" geboten und stellt sich demzufolge auf mehr "Kaisertreue" ein. Als dann George I. auf dem Wege nach Hannover stirbt, der Onkel König und ihr Cousin nun Prince of Wales wird - und damit eine wertvollere Partie - dreht sich das Ehekandidaten - Karussell erst einmal erneut. Und Wilhelmine wird doch nun schon bald zwanzig Jahre alt! Selbst ihre jüngere Schwester hat schon nach Ansbach geheiratet!

Etliche Krisen zwischen dem Königspaar später, Kabalen und Missverständnissen sowie der Flucht des Bruders, dem Kronprinzen Friedrich, aus der Erziehungsgewalt seines Vater im Sommer 1730, für die auch Wilhelmine als "Mitwisserin" ein Dreivierteljahr unter Hausarrest gestellt wird und der Vater ihr lebenslange Festungshaft in Aussicht stellt, wenn sie ihre Zustimmung zu einem seiner drei Ehekandidaten verweigert. Wilhelmines Kräfte sind erschöpft, und sie willigt schließlich ein, den zwei Jahre jüngeren Erbprinzen Friedrich von Bayreuth, zu heiraten. "Die großen Fürstinnen sind dazu geboren, dem Wohl des Staates geopfert zu werden", so ihr Vater.

Mit ihrer Zustimmung erzürnt Wilhelmine nun aber ihre Mutter, die sie nun als ihre "ärgste Feindin" bezeichnet und ihr "ewigen Hass" schwört, und man kann annehmen, dass die in Aussicht genommene Ehe von der jungen Frau als letzter Ausweg gesehen wird, dem ewigen Zwiespalt der Gefühle, den elterlichen Zwistigkeiten und dem intriganten Berliner Hof zu entkommen.

Antoine Pesne:
Erbprinz Friedrich von Bayreuth
(ca.1731)
Für den Vater besteht der Zweck dieser Verbindung darin, die kleine fränkische Markgrafschaft - die schon 1726 hätte an Preußen fallen sollen, aber politisch ins österreichische Lager abgedriftet ist -, wieder enger an das gemeinsame Haus zu binden ( der Erbprinz gehört der fränkischen Nebenlinie des Hauses Hohenzollern an ).
Der 1711 geborene Friedrich hat bis dato eine umfassende Erziehung und Ausbildung inklusive achtjährigem Studium an der calvinistisch geprägten Genfer Universität, der Bildungsmetropole Europas für die Kinder der Fürstenhäuser, die der Reformierten Kirche angehören, absolviert. Anschließend ist er von seinem Onkel, dem Neffen der dänischen Königin & ihrem Botschafter in Paris, in die dortige Gesellschaft eingeführt worden und hat die Anlagen in Versailles kennen & schätzen gelernt. Darüberhinaus besucht er auf seiner Kavalierstour Lyon, die Niederlande & Sardinien und studiert dort Kultur und Ökonomie. Friedrich gilt als frei von Standesdünkel, ja geradezu leutselig, und ist leidenschaftlich der Musik und Malerei zugetan.
Zum großen Schrecken von Wilhelmines Mutter, die immer noch auf eine Änderung und eine englische Eheschließung hofft, trifft am 27. Mai 1731 schon die Kutsche mit dem Erbprinzen im Berliner Schlosshof ein, der Prinz - sonst nach neuester Pariser Mode gekleidet - in bescheidenem Preußischblau, um dem Soldatenkönig zu gefallen. Wilhelmine soll er zwei Tage später vorgestellt werden, die ihn dann erst einmal keines Blickes würdigt, so schreibt sie später in ihren Memoiren. Augenzeugen erzählen die Geschichte allerdings etwas anders.

Friedrich Wilhelm I. verkündet dann auch schon die Verlobung für den 3. Juni. Doch fast kommt es noch zu einer dramatischen Wende, denn in der Nacht zuvor erreicht endlich die bedingungslose Einwilligung in eine Eheschließung zwischen dem Prince of Wales und der Preußenprinzessin aus London das Königshaus. Wilhelmines Vater kann jetzt jedoch keinen Rückzieher mehr machen, zu lange hat ihm die englische Verwandtschaft auf der Nase herumgetanzt.

Dazu eine vorerst letzte Demütigung Wilhelmines durch den Vater: Sie muss mit der Unterzeichnung des Ehevertrages hinnehmen wie zuvor ihre Schwester, auf ihr Erbe väterlicher- wie mütterlicherseits zu verzichten. Als Aussteuer bekommt sie lediglich 40.000 Taler und für die Verzichtserklärung weitere 60.000 Taler zugestanden. Der markgräfliche Hof, der ein Darlehen von 400.000 Talern zur Begleichung drückender Schulden erwartet hat, muss sich nach zähen Verhandlungen mit 260.000 Talern zufrieden geben. So wird die Königstochter relativ mittellos in ihre neue Heimat ziehen...

Wilhelmine als Braut
Auch wenn die Verlobungsfeier dann eine eher traurige gewesen ist: Die Ringe, die gewechselt worden sind, überstrahlen alles! Friedrich steckt seiner Braut einen an, der so viel wert ist, dass man dafür den ganzen Hofstaat in Bayreuth ein Jahr lang hätte unterhalten können. Und Wilhelmine bekommt für ihren Zukünftigen von ihrem Vater einen finanziert, der mit einem großen Brillanten geschmückt ist.

Zeitgenössische Beobachter führen das reserviert-kühle Verhalten der Prinzessin gegenüber ihrem Verlobten, dem sie in Wirklichkeit zugetan zu sein scheint, dann auch eher auf ihre Angst vor dem Ärger mit ihrer Mutter zurück: Als Wilhelmine nämlich eines Nachmittags mit ihm ein Zuckerherz teilt, herrscht die Mutter sie an, sie habe alles Schamgefühl verloren - das nur als eine Episode!

Auch Friedrich Wilhelm I. plagen inzwischen so seine Zweifel an seiner Entscheidung, ist ihm der künftige Schwiegersohn nicht soldatisch genug. Doch der weiß dem entgegenzuwirken und bittet ihn um ein Regiment ( in Wilhelmines Augen ein arger Fehler, denn sie kennt ihren Vater, der sklavischen Gehorsam von ihrem Zukünftigen verlangen wird ).
"Meine Heirat war wirklich die sonderbarste Sache der Welt. Mein Vater, der König, gab sie wider Willen zu und bereute sie jeden Tag; er hätte sie rückgängig machen können, und sie vollzog sich gegen seinen Wunsch. Die Gefühle der Königin brauche ich nicht zu erwähnen. Man weiß zu Genüge, wie sie beschaffen waren. Der Markgraf von Bayreuth war nicht minder ungehalten. Er hatte nur eingewilligt in der Hoffnung, große Vorteil.  daraus zu ziehen, deren er sich durch den Geiz des Königs beraubt sah... So ward ich gegen den Willen der drei ausschlaggebenden Personen verheiratet und doch mit deren Einverständnis."
Am 20. November 1731 findet die Vermählung im Weißen Saal des Stadtschlosses statt. Nach etlichen Feiereien zieht das frisch vermählte Paar Anfang 1732 nach Bayreuth. Da ist Wilhelmine schon schwanger.

Bayreuth auf einem Kupferstich von 1720

"...die Ankunft in der Provinz ein Schock für die Adlige: Mit weniger als 10.000 Einwohnern ist Bayreuth eine der kleinsten Residenzen im Heiligen Römischen Reich, keine prachtvollen Bauten, kaum höfisches Leben", schreibt Franz Engeser hier.
Die standesbewusste Preußenprinzessin, eine echte Spottdrossel, mokiert sich über die Leute, die ihr aufwarten, und über die heruntergekommenen, wenig zeitgemäßen und winterkalten Räumlichkeiten in der Bayreuther Residenz. Am schwierigsten ist wohl für sie aber die - vor allem finanzielle - Abhängigkeit von ihrem Schwiegervater, der ihr ein zu frommer Pietist ist, als kleiner Duodezfürst doch eigentlich im Rang weit unter ihr steht und der ihr die mangelnde finanzielle Unterstützung durch ihren Vater verübelt. In der für ihre Memoiren typischen Übertreibung liest sich das mitunter so:
"Die Liebe des Prinzen war mein einziger Trost inmitten meiner Leiden... Ich war ohne jegliche Zerstreuung und, wie das Schaf unter die Wölfe, mitten unter böse und gefährliche Unmenschen an einen Hof geraten, der eher ein Bauernhof zu nennen war."
Wohl scheint sie sich nur in der wenige Kilometer außerhalb von Bayreuth befindlichen Eremitage zu fühlen, wo sie auch in den nächsten Jahren die Sommer mit ihrem Mann verbringen wird. Sie scheint den Berliner Hof trotz all seiner Intrigen zu vermissen und greift gerne den Vorschlag ihres Vaters auf, das erwartete Kind dort zur Welt zu bringen. Nur das Eingreifen ihres Schwiegervaters, der seinen und den Leibarzt des Ansbacher Vetters vorschiebt, führt dazu, dass ihre Tochter Elisabeth Friederike Sophie am 30. August 1732 in Bayreuth zur Welt kommt. Eine schwere Geburt!

Elisabeth Friederike von Bayreuth
( ca.1745 )
Während ihr Mann, aufgefordert von seinem Schwiegervater, zu seinem Regiment in Pasewalk reist und in Ruppin mit ihrem Bruder Friedrich zusammentrifft, sucht Wilhelmine zu Hause in Bayreuth ihren Trost in der Musik. Ein langer Aufenthalt am Berliner Hof, zusammen mit ihrem Mann, aber ohne die kleine Tochter, von Mitte November 1732 bis Ende August 1733, auf den Wilhelmine so viel Hoffnung gesetzt hat, gestaltet sich dann aber derart desaströs, vor allem auch durch das launenhafte Verhalten ihres Vaters gegenüber ihrem Ehemann, dass sie beschließt, nie mehr zu Lebzeiten ihres Vaters dorthin zurückzukehren.

Die kommenden Monate in Bayreuth entwickeln sich dann zu den glücklichsten in Wilhelmines Leben. In Luft aufgelöst hat sich der Grimm des Schwiegervaters, der wohl befürchtet hat, Sohn & Schwiegertochter an den "großen Bruder" in Berlin und damit seine Unabhängigkeit zu verlieren. Der Erbprinz hat viel Freude an seiner kleinen Tochter, widmet sich ihr zur Belustigung seiner Gemahlin viele Stunden und wird gleichzeitig von seinem Vater in den Staatsrat eingeführt. Und Wilhelmine: Die liest viel. In den Briefen an Bruder Friedrich wirkt sie gelöst und entspannt.

Da stirbt der alte Markgraf von Bayreuth im Mai 1735. Wilhelmines Mann muss feststellen,  dass "die Staatsgeschäfte in so zerrüttetem Zustand..., daß er große Mühe haben wird, sie in Ordnung zu bringen." 

Doch so schlimm kann es nicht gewesen sein, denn Wilhelmine wird von ihm zu ihrem Geburtstag mit einer Verdreifachung ihrer persönlichen Einkünfte, Juwelen und der Eremitage als ihr ganz persönliches Zuhause bedacht, welches sie alsbald nach ihren Vorstellungen aus- und umbauen wird.

Tatsächlich ist diese gute Wendung im Fürstentum dem vormaligen Privatsekretär des alten Markgrafen, dem Juristen Philipp Andreas Ellrodt, zu verdanken, der mit den finanziellen Geschäften beauftragt wird und den nur mangelhaft in seine Aufgaben als Souverän eingewiesenen Markgrafen Friedrich III. dadurch effektiv unterstützt. Ellrodt steigt bald zum Ersten Minister auf, entwirrt er doch das Dickicht von Korruption und Klüngelei unter Ministern und Beamten am Bayreuther Hof, deckt die Mängel im Finanzgebaren auf, treibt alte Schulden ein und erschließt neue Einnahmequellen.

Die Eremitage
Weil Ellrodt dem Markgrafen das lästige Kleinklein abnimmt und seine Position gegenüber den alten Ministern stärkt, kann sich das Fürstenpaar auf das konzentrieren, was ihm wirklich am Herzen liegt:

Feste feiern, Theater & Musik pflegen und einen repräsentativen Hof führen: Immerhin wird der Hofstaat von 140 auf 600 Personen erhöht, was bei einer Einwohnerschaft von gerade mal 5000 Menschen in der Stadt etwas überdimensioniert ist.

Wilhelmine, die sich von ihrem Vater durch seine Heiratspolitik in ein Provinznest abgeschoben, ja geopfert fühlt, baut sich halt dort ihre eigene Welt auf, unterstützt von ihrem Ehemann, der sie liebt und ihr freie Hand gewährt.

Wilhelmines Idealisierung der Natur, das Sich-eins-Wähnen mit ihr - damit ganz dem Rokoko  verhaftet -  bestimmt ihre Vorstellung vom guten Leben, ihren Lebensstil, auch ihre architektonischen Ambitionen. Statt im städtischen Residenzschloss hält sie sich in der von ihr inszenierten Natur auf: "Nun sind wir Eremiten geworden und führen ein stilles, friedliches Landleben. Alles ist ländlich und bäurisch", schreibt sie an den Bruder Friedrich.

Musikzimmer -
Höhepunkten der höfischen Raumkunst des Rokoko
Source
Mit der Umgestaltung der Eremitage hat sie sich die Voraussetzungen dafür geschaffen. Dort umgibt sie sich mit einem kleinen höfischen Kreis. In ihrer Gesellschaft wird nur französisch gesprochen, besonders die Damen leben sehr exklusiv und abgeschieden und füllen ihre Tage mit Literatur und Musik. Wilhelmine selbst betätigt sich als Schriftstellerin und malt. 1737 übernimmt sie die Intendanz der Hofoper und sorgt nun für ein reiches Musikleben in der Residenz:

Unter ihrer Leitung entwickelt sich Bayreuth zu einem führenden Zentrum italienischer Opernmusik in Deutschland. Sie ist in engem Kontakt mit italienischen Opernzentren, sie gestaltet den Spielplan und organisiert 4 - 6 Opernaufführungen pro Jahr, stellt Musiker an, kauft Musikinstrumente, lädt Ensembles ein, eine Bibliothek mit einer großen Sammlung von Operntextbüchern entsteht. Viele Musiker stammen aus dem Umfeld ihres Bruders, der als Kronprinz noch in Rheinsberg residiert, darunter auch sein Flötenlehrer Johann Joachim Quantz, der auch Wilhelmines Mann unterrichtet.

Wilhelmine beginnt auch mit Hilfe des gefeierten italienischen Sängers Guiseppe Paganelli, ihre eigene Stimme zu bilden, und sie nimmt Kompositionsunterricht. Ihre bedeutendste erhaltene Komposition ist die Oper "Argenore", die sie 1740 zum Geburtstag ihres Mannes komponiert und für die sie neben der Musik auch die Textvorlage ( nicht das Libretto ) geschaffen hat. In einem Brief an ihren Bruder sieht sie sich als Vorreiterin und hofft, dass die Musiker ihre Komposition mit Wohlwollen behandeln werden, da ja sich "Frauen mit derartigen Dingen bisher noch nicht befasst haben."
Der tyrannische König Argenore, der durch sein Handeln beinahe alle Personen des Stücks in den Tod treibt, ist vermutlich eine Anspielung auf Wilhelmines Vater Friedrich Wilhelm I., während das Liebespaar Euromondo und Palmide, das sich im Verlauf des Stücks als Geschwisterpaar erkennt, auf die Beziehung von Wilhelmine zu ihrem Bruder Friedrich deutet. Die Komposition weist Wilhelmine in der Tat als versierte Beherrscherin von Tonsatz und Instrumentation aus. ( Quelle hier )

"Hier wird zu Ende gedacht, was an einem barocken Hof in seiner Etikette angelegt ist, aber nicht zum Ausbruch kommen kann: Mord und Totschlag sind die logische Folge von unterdrückter Emotion", so Micaela von Marcard zu dieser Oper. "Der Regentin ist es gestattet, ein ungeschöntes Tyrannenbild zu entwerfen und Wahrhaftigkeit und Stringenz der Handlung über Gehorsam zu stellen." Und: "Dadurch verletzt Wilhelmine die Opernkonvention der Zeit." 
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer kulturellen Bemühungen ist die Einrichtung einer Bibliothek, während ihr Mann sich eher dem Theater zuwendet. Viertausend Bände umfasst diese, vor allem interessiert sie die Antike und die Philosophie.

Doch nicht alles verläuft so musisch und heiter wie es den äußeren Anschein hat: 

Wilhelmine gelingt es nicht, die Erwartungen auf einen Erben zu erfüllen, ihr Gesundheitszustand bleibt labil, sie wird - ohnehin von melancholischer Natur - von Depressionen geplagt. Sie hat Sehnsucht nach ihrer Familie, vor allem nach dem Bruder, aber auch nach den Eltern – ja, auch nach jener Mutter und jenem Vater, von denen sie doch fortgesetzt körperlich und seelisch misshandelt worden ist! Diese unauflöslichen Widersprüche gehören zu Wilhelmines Wesen und sind Grundlage ihrer tiefen Melancholie. Aus Berlin schickt ihr der Vater dann seinen  französischen Star - Arzt: Daniel de Superville ( der in den nächsten Jahren zum einflußreicher Berater der Markgräfin aufsteigen wird ). 

Schließlich erleidet der Markgraf einen leichten Schlaganfall und auf eine geplante Erholungsreise nach Italien muss verzichtet werden. Dann stellt sich der Vertraute Ellrodt auch noch als nicht so zuverlässig heraus wie gedacht. Und schließlich und endlich entdeckt Wilhelmine, dass sich der Gemahl in "die kleine Marwitz" verliebt hat, die einst als Halbwaise von ihr nach Bayreuth mitgenommen und dort zu ihrer erste Hofdame geworden ist. Hat sie doch bis dato geglaubt, in einer glücklichen Ehe zu leben! 

Aber Wilhelmine scheint diesen Kummer für sich behalten zu haben und zieht sich noch mehr auf ihre drei Liebhabereien - "eine schöne Bücherei, schöne Gemälde, schöne Musik" -  zurück. So nimmt sie auch nicht die Hungersnot in ihrem Ländchen im Winter 1739/40 wahr.

Antoine Pesne:
Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
(ca. 1740)
Der Beginn des neuen Jahres 1740 wird überschattet durch eine erneute Erkrankung ihres Vaters. Wilhelmine will nicht der Lieblosigkeit geziehen werden und aus diesem Grunde nach Berlin reisen. Doch der Bruder rät ab: "Ich sage mit der Schrift: Selig sind die Abwesenden..."  Sie bleibt in Bayreuth, wohl wissend, dass sie den Vater nicht mehr wiedersehen wird.

Am 29. Geburtstag ihres Ehemannes am 10. Mai ehrt  sie diesen, wie schon erwähnt, mit der Uraufführung ihrer Oper. Drei Wochen später stirbt der ihr Vater Friedrich Wilhelm I. mit 51 Jahren in Berlin. Der Bruder, noch am Todestag zum König Friedrich II. erhoben, unterrichtet sie mit einem Brief am Tag darauf. Ihre Antwort an ihn beginnt sie mit der Anrede "Majestät", worauf der reagiert: "Ich bitte Dich, mich stets nur als Deinen Bruder und als weiter nichts zu betrachten." 

Schon im August überrascht Friedrich sie mit einem Besuch in Bayreuth, im Herbst reist das Markgrafenpaar auf Gegenbesuch nach Berlin. Wilhelmine trifft den zu diesem Zeitpunkt kranken königlichen Bruder aber erst in Rheinsberg an, genießt dort. die angenehme Gesellschaft, darunter der französische Philosoph Voltaire, muss aber enttäuscht feststellen, dass es den Friedrich der Kinder-& Jugendzeit nun doch nicht mehr gibt, dass sie nicht mehr seine intime Vertraute ist. Und ihr wird - wieder einmal - der Rangverlust durch ihre Heirat vor Augen geführt, den sie nun auch der Bruder spüren lässt.

Darüber, dass der während ihres Aufenthaltes in Berlin im Dezember 1740 den Ersten Schlesischen Krieg gegen die österreichische Maria Theresia angezettelt hat, wird sich Wilhelmine später in ihren Memoiren sehr diplomatisch äußern. Ihr Mann ist schon vorher nach Bayreuth zurückgereist, denn die Markgrafschaft befindet sich in diesem Konflikt aus diversen Gründen in einer Zwickmühle: Sie ist vor die Wahl gestellt, dem König in Preußen Dienst zu tun und damit ihr Land der Verwüstung preiszugeben, oder dem Kaiser zu folgen und mit dem preußischen König, dem Oberhaupt des Hauses Hohenzollern, zu brechen.

Wilhelmine selbst macht sich dann Mitte Januar 1741 auf in ihre fränkische Residenzstadt, ohne den Bruder noch einmal gesehen zu haben. In der Folgezeit ist das Bayreuther Fürstenpaar bemüht, es sich mit keiner Seite zu verscherzen und legt sich nicht fest. Erleichterung erfasst Wilhelmine, als sie vom unerwarteten Waffenstillstand zwischen Preußen und Österreich erfährt.

Man wendet sich nun wieder den eigenen Projekten zu: 1742 wird in Bayreuth eine Universität gegründet, die aber nach einem Jahr in die Nebenresidenz Erlangen verlegt wird ( die heutige Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ). Wilhelmines Leibarzt de Superville wird übrigens im Jahr darauf deren Kanzler.

Von links nach rechts: Daniel de Superville, König Friedrich II, Voltaire


Auch beginnen Verhandlungen bezüglich einer Eheschließung der gerade mal elfjährigen Tochter Wilhelmines - in Berlin! Der königliche Bruder hat für seine Nichte den Erbprinzen Karl Eugen von Württemberg ins Auge gefasst, der nach dem Tod seines Vaters an den preußischen Hof geschickt worden ist, sich auf dem Weg dorthin in Bayreuth umgeschaut und sich in die kleine Prinzessin verliebt hat. Doch auch diese Eheanbahnung kommt wieder nicht so schnell unter Dach und Fach, und Wilhelmine fühlt sich von ihrem Bruder in dieser Angelegenheit wie eine "Fürstin von  Zipfel-Zerbst" behandelt.

Als Friedrich merkt, dass ihm die Heiratspläne - und damit sein Einfluss in Süddeutschland - zu entgleiten drohen, besucht er im September 1743 auf dem Weg dorthin Bayreuth, im Schlepptau Voltaire, der Wilhelmine gerne wiedersehen möchte. Friedrich reist nach drei Tagen weiter, aber Voltaire darf zurückbleiben und tritt nun gemeinsam mit der Markgräfin in einem Theaterstück - "Bajazet" von Racine - auf. Die Beiden werden lebenslang in brieflicher Verbindung bleiben.

Zuvor ist im Juli 1743 der Architekt Joseph Saint Pierre in den Dienst des Markgrafenpaares als Hofbaudirektor getreten. Gegen alle Ratschläge ihres Bruders treibt die Markgräfin ihre Pläne voran, Bayreuth zu einer wahrhaften Residenz auszubauen.

Antoine Pesne:
W.D. von der Marwitz (?)
im Musikzimmer
Zum Bruch mit dem Bruder kommt es dann, als Wilhelmine im April 1744 ihre Hofdame und Favoritin ihres Gemahls, Wilhelmine Dorothee von der  Marwitz, mit dem österreichischen Grafen Burghauß verheiratet. Damit verstößt sie gegen eine alte Verfügung ihres Vaters, der die vermögenden Schwestern Marwitz ihr nur nach Bayreuth folgen gelassen hat, weil sie schriftlich versichert haben, sich nur innerhalb Preußens zu verheiraten, damit ihr Geld im Land bleibt.

Friedrich II. besteht auf der Einhaltung dieser Vereinbarung. So geht dieser Schuss für Wilhelmine nach hinten los: Da der Graf Burghauß mittellos ist und als Hauptmann am Bayreuther Hof existiert, muss der ihn weiter alimentieren. ( Erst vier Jahre später gibt sie gegenüber dem Bruder ihren Fehler zu und erreicht so, dass das Paar die Zinsen des Marwitzschen Vermögens erhält und nach Österreich abziehen kann. )

Wieder einmal befindet sich Wilhelmine also im "Konflikt mit ihren Gefühlen zu den von ihr geliebten Menschen und ihrem Stolz, dem sich aus lebenslang erlittenen, tiefen Kränkungen erwachsene Überheblichkeit und Selbstüberschätzung" beimischen ( Gerhild Komander hier ). Und wie immer, wenn sie sich in schrecklicher Isolation wiederfindet, flüchtet sie sich in Krankheiten und auf ihre "einsame Insel", die Eremitage, die Sommerresidenz außerhalb der Stadt. Auch der noch weiter entfernte Felsengarten Sanspareil, den sie anlegen lässt, dient ihr als Zufluchtsort. Der ist nach Meinung Micaela von Marcards "naturalisierte Literatur", lässt sich Wilhelmine bei der Gestaltung doch vom Roman des Pariser Erzbischofs François Fénelon "Die Abenteuer des Telemach", einem "Bestseller" jener Zeit, den auch die Markgräfin seit Kindertagen kennt, inspirieren.

Die Anlagen der Eremitage lässt sie ganz im Rousseauschen Sinne als Natur für den Einsamen gestalten. Kleine Pfade schlängeln sich durch einen grünen Hain, an Skulpturen vorbei. Nichts ist regelmäßig, die Bäume sind nicht beschnitten, überall findet sich Überraschendes. Wilhelmine huldigt dem englischen Landschaftsgarten, lange bevor er in Deutschland Mode wird. Das Naturtheater der Eremitage mit seiner ruinenhaften Bühne wird noch 1744 während der Feierlichkeiten zur Vermählung von Wilhelmines Schwester Luise Ulrike eingeweiht.

Im Felsengarten
Source
In dieser Zeit der Entfremdung von Ehemann und Bruder, widmet sich die von Leben und Menschen Enttäuschte neben dem Felsengarten und der Überwachung der Bauarbeiten an ihrem Opernhaus auch ihren Memoiren:

Auf über vierhundert Seiten schreibt sie sich die Tragödie ihrer Kindheit vom Herzen - für damalige Zeiten ein ungeheuerlicher Vorgang! Den erzählerischen Elan verliert Wilhelmine allerdings, als sie über die Affäre ihres Ehemannes zu sprechen kommen müsste. Vorher enden die Memoiren, vielleicht auch, weil ein glückliches Ende der inzwischen aufgetürmten Konflikte nicht abzusehen ist.

Das eisige Verhältnis zwischen Bruder und Schwester dauert drei Jahre an. Verschärft wird der Konflikt durch Wilhelmines Treffen mit der Feindin ihres Bruders, Maria Theresia, als diese im September 1745 ihr Ländchen auf dem Weg zur Kaiserkrönung ihres Mannes in Frankfurt kreuzt. Die damals gerade 28 Jahre alte Österreicherin nötigt Wilhelmine Respekt ab, hat sie doch gegenüber ihrem Bruder nicht klein beigegeben. Als man in Berlin von dem gerade mal zweistündigen Treffen Kenntnis bekommt, ist der Teufel los. Aber nicht der Bruder wütet, sondern Wilhelmines Mutter. Und die Schwester in Schweden fällt in den Chor mit ein. Das schmerzt!

Friedrich II. hingegen geht erst auf den Vorfall ein, nachdem er die österreichischen Heere im September geschlagen hat. Ende März 1746 versucht er mit einem Brief eine Tauwetterperiode einzuleiten. Er ist des Streitens müde, doch Wilhelmine benötigt noch Zeit, zumal sie im Juni den Verlust ihrer geliebten "Sonsine", ihrer Oberhofmeisterin Dorothea von Sonsfeld, bewältigen muss. Aber im Sommer des folgenden Jahres überrascht sie ihn mit einem nicht angekündigten Besuch und sie blüht in der geistreichen Atmosphäre Potsdams sichtlich auf.

Opernhaus
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1748, ein Jahr, in dem viel passiert in Bayreuth, wird das Jahr der endgültigen Aussöhnung zwischen den preußischen Geschwistern.

Die Gräfin Burghauß, schon nach dem Besuch in Berlin im Vorjahr, aus dem Schloss gejagt, geht endlich nach Wien. De Superville, ein Gegner Friedrichs II., verlässt ebenfalls Bayreuth in Richtung Braunschweig. Der Bau des Opernhauses unter dem führenden Theaterarchitekten im Dienst des Wiener Kaiserhofs, Giuseppe Galli Bibiena, wird abgeschlossen. Und am 26. September wird die vom König erwünschte Heirat der Prinzessin Friederike mit dem Herzog Karl Eugen von Württemberg mit größtem Aufwand und gleichzeitiger Einweihung des Opernhauses gefeiert. Friedrich II. ist bei diesem Fest, das als Höhepunkt der Regierungszeit des markgräflichen Paares gilt und minutiös geplant worden ist, aber nicht anwesend.

Dass Friederike - von Voltaire bzw. Casanova als "das schönste Kind bzw. die schönste Prinzessin Europas" angesehen - so glanzvoll in ihr Unglück geschickt wird, scheint niemand zu ahnen... Doch zunächst wird Wilhelmine im Februar 1750 in Stuttgart Großmutter einer kleinen Prinzessin ( die allerdings schon im Jahr darauf sterben wird ).

Im Herbst des gleichen Jahres hält sich Wilhelmine am preußischen Hof in Potsdam und Berlin auf, begegnet dort wieder Voltaire, dem Schriftsteller & Kunsthändler Francesco Algarotti, wichtiger Berater Friedrichs, Pierre Louis Moreau de Maupertuis, Leiter der Preußischen Akademie der Wissenschaften und dem Radikalaufklärer & Atheisten Julien Offray de La Mettrie, sie genießt die illustre Gesellschaft und die geistige Anregung und fühlt sich von ihrem Bruder endlich "königlich" behandelt.

Spiegelkabinett
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Zuhause wendet sie sich wieder ihren Bauvorhaben zu, lässt im Neuen Schloss der Eremitage Wohnräume für sich und ihren Gemahl einrichten. Sie gibt das Spiegelscherbenkabinett im Alten Schloss der Eremitage in Auftrag, ganz dem Rokoko und seiner spielerischen Unwägbarkeit verbunden: "Vielleicht wird man es seltsam finden..., allein ich liebe alles Spekulative."

Schon lange hat das Markgrafenpaar den Wunsch gehegt, ein neues Residenzschloss in der Stadt zu errichten, denn der alte Barockbau  aus dem 17. Jahrhundert entspricht weder ihren Ansprüchen nach einer repräsentativen Hofhaltung noch dem Wohnkomfort des aktuellen Jahrhunderts. Ein Brand, der am 26. Januar 1753 das Alte Schloss weitgehend in Schutt und Asche legt, macht einen Neubau nun nicht mehr aufschiebbar.

"Ich habe mir das Vergnügen gemacht, den Plan meines Palastes selbst zu entwerfen", schreibt Wilhelmine stolz an den Bruder, was aber nur bedeuten kann, dass sie an Planung und Errichtung des Neuen Schlosses, wie der Nachfolgerbau heißen heißen wird, beteiligt ist. Die eigentliche Architektur stammt vom Hofarchitekten Saint-Pierre und wird in der Nähe des markgräflichen Lustgarten verwirklicht. Im gleichen Jahr werden auch die Arbeiten am Neuen Schloss Eremitage abgeschlossen. Friedrich II., der seit der Versöhnung den Bayreuther Hof immer wieder finanziell unterstützt oder ihm neue Einnahmen verschafft, lässt die Schwester gewähren. Die besucht ihn im gleichen Jahr auch - zum letzten Male - in Berlin.

Antoine Pesne:
Markgräfin Wilhelmine in Pilgertracht
( um 1750 )
Auch als sie mit ihrem Gemahl - inkognito, wodurch sich kostspielige Einladungen einsparen lassen - im Oktober 1754 eine Reise über Frankreich nach Italien antritt, bezahlt mit einer neuerlichen Kopfsteuer der markgräflichen Untertanen, rügt Friedrich die Schwester nicht.

Überwältigt von Eindrücken kehrt sie von dieser Studienreise im August des folgenden Jahres nach Bayreuth heim und lässt ihre Inspirationen bei der Ausstattung des Neuen Schlosses einfließen. Ihrem Kammerherrn Carl Heinrich von Gleichen diktiert sie die "Souvenirs de Rome".

Mit dem Eintritt ihres Bruders in den Siebenjährigen Krieg durch die Besetzung Sachsens im August 1756 gerät die Markgrafschaft als mögliches Durchgangsland kaiserlicher Truppen erneut in  Bedrängnis. Tatkräftig setzt sich Wilhelmine um der eigenen Sicherheit willen und zu Friedrichs Nutzen für die Neutralität des Fränkischen Kreises ein. 1757 schickt sie gar ihren Oberkammerherrn Louis Alexandre de Mirabeau mit Billigung ihres Bruders Friedrichs in diplomatischer Mission nach Paris, um die Pläne der Franzosen zu erkunden. Der Versuch, einen Krieg mit Frankreich abzuwenden, scheitert allerdings.

Den Tod ihrer Mutter Sophie Dorothea Ende Juni 1757 nimmt Wilhelmine gefasst hin, doch alsbald wird sie ernsthaft krank. Der Tod ihres jüngeren Bruders August Wilhelm im Mai 1758 wird ihr deshalb verschwiegen.  Ihren 49. Geburtstag feiert sie noch, aber ihr ohnehin immer labiler Gesundheitszustand verschlechtert sich nun dramatisch. Am 10. August schreibt sie an ihren Bruder:
"Liebster Bruder! Ich bin so schwach, dass ich kaum kritzeln kann. Du fragst nach meinem Zustand. Wie ein armer Lazarus liege ich seit sechs Monaten im Bett. Seit acht Tagen trägt man mich auf einem Tragsessel und fährt mich im Rollstuhl."
Ein Bayreuther Militär - Kontingent marschiert im Herbst dann mit der Reichsarmee des deutschen Kaisers gegen Friedrich den Großen. Am 14. Oktober 1758 erleidet der in der Schlacht bei Hochkirch eine schwere Niederlage. Es ist der Tag, an dem Wilhelmine in Bayreuth in den Armen ihres Mannes und ihrer Tochter stirbt. 

Die Todesursache wird nie ganz geklärt. Wahrscheinlich hat sie an einer Herzschwäche und an Tuberkulose gelitten. Beigesetzt wird sie in der Bayreuther Schlosskirche, auf ihren Wunsch ohne Musik und Zeremonie und einer Trauerrede auf sie selbst.

Ihr Witwer heiratet im Jahr darauf erneut, eine Nichte Wilhelmines, stirbt aber vier Jahre später ohne Erben. Ihre Tochter Elisabeth Friederike lebt schon seit 1756 von ihrem Mann getrennt, ab 1763 im Schloss Fantaisie in Donndorf. Friedrich der Große errichtet zehn Jahre nach ihrem Tod zu ihrem Andenken im westlichen Teil des Parks Sanssouci in Potsdam einen kleinen Rundtempel, den Tempel der Freundschaft. Das Vorbild für die Statue in diesem, ein Gemälde Antoine Pesnes, ist Friedrich das liebste Bildnis seiner Schwester gewesen. Wilhelmine wird die Zeiten tatsächlich überdauern als Lieblingsschwester Friedrichs des Großen.

Die von ihr in Bayreuth initiierten Gebäude und Anlagen hingegen werden von den weiteren Erben aus dem Hause Ansbach - Bayreuth bzw. Preußen wenig geschätzt. 1806 wird Bayreuth als Domäne Privatbesitz von Kaiser Napoleon, vier Jahre später gegen eine Ablösesumme von 25 Millionen Franken bayerisch. Nachdem die preußische Zensur durch die Franzosen außer Kraft gesetzt ist, können Wilhelmines auf Französisch geschriebene Memoiren in einer deutschen Übersetzung erscheinen. Den preußischen Historikern des 19. Jahrhunderts kann das kritische Bild des Königshauses darin nicht gefallen, und sie werden immer wieder als Fälschung denunziert.

1835 durchstreift Fürst Pückler Franken und besuchte Bayreuth und findet alles vermodert und verfallen. Das Bayreuth Wilhelmines, eine der prunkvollsten deutschen Städte des 18. Jahrhunderts, gibt es erst wieder, seit sich die Bayerische Schlösserverwaltung nach dem Ende der Monarchie um den Erhalt kümmert, dabei aber auch unsachgemäße Veränderungen der 1930er bzw. 1950er Jahre in Angriff nimmt. 2012 wird das Markgräfliche Opernhaus als einzigartiges Monument der Fest- und Musikkultur des 18. Jahrhunderts von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes der Menschheit eingetragen und ist nach seiner Instandsetzung vor zwei Jahren ein Touristenmagnet wie die gesamte Stadt.

Was mich an Wilhelmine fasziniert hat, ist nicht diese Hinterlassenschaft, sondern der Mensch:  ihre Entwicklung von kleinan, ihre daraus resultierende  Abhängigkeit vom Wohlwollen der anderen, das so in Kontrast steht zu ihrem standesbewussten Auftreten, über ihr Bedürfnis der Selbstvergewisserung durchs Briefeschreiben, aber auch ihr Hunger nach Ansprache und Zuspruch, ihr Versuch, durch ihr Tun die fehlende Anerkennung durch den elterlichen Blick zu ersetzen, all ihre unauflöslichen Widersprüche. Die Beschäftigung mit ihr hat einmal mehr den rosaroten Traum vom Prinzessinsein demontiert...







Die Zitate sind, wenn nicht anders vermerkt, dem Buch von Uwe A. Ostern über Wilhelmine von Bayreuth entnommen

8 Kommentare:

  1. Liebe Astrid, da ist dir wieder ein meisterhaftes Portrait gelungen. Vieles wusste ich nicht so genau, wenngleich natürlich Bayreuth untrennbar mit ihr verbunde ist. Ja, Prinzessin...Das ist wirklich wohl in den seltensten Fällen ein traumhaftes Leben.Wie eben so oft von außen so schön aussieht, was es innerlich nicht ist, sondern anstrengend und traurig.Herzlich, Sunni

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  2. Liebe Astrid, danke für den Exkurs in die Vergangenheit. Dank deiner Posts lerne ich Dinge über Menschen, über die ich sonst nie nachgedacht hätte.
    Danke und beste Grüße von Rela

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  3. Ach Wilhelmine, das denke ich immer, wenn ich an sie denke. Das glanzvolle Bayreuth hat sie ja nur ein paar Jahre selbst erlebt und jahrelang davor selbst erschaffen. Ihre Tochter wurde so unglücklich verheiratet, dafür hat sie das wirklich wunderbare Opernhaus bauen lassen. Ihre Schwester in Ansbach ebenso unglücklich mit dem sog. wilden Markgrafen. Eine unglücklich verheiratete Mutter in Berlin, Ihr Königsbruder mit seiner ungeliebten Frau, die niemals Potsdam zu sehen bekam, was waren das für Ehen. Da hatte sie wirklich fast Glück mit ihrem gebildeten Ehemann, auch wenn der die von Marwitz nebenbei liebte. Was sehr schmerzlich sein musste.
    Nein, Prinzessin sein oder Frau sein damals - alles keine leichte Sache.
    Danke, dass Du ihre Lebensgeschichte uns heute so plastisch beschrieben hast. Bayreuth, das so lange Wagner dominiert war, hat endlich auch eine andere Seite bekommen, nun da vieles von Wilhelmine wieder im Glanze zu sehen ist.
    Sans Pareil ist immer einen Besuch wert, ebenso die Eremitage, beides interessante Landschaften, die ihren Geist atmen.
    Viel Schönheit, aber auch viel Zerklüftetes.

    Mein zweiter Vorname ist übrigens Wilhelmine und ich hatte viele Jahre als Kind und als junge Frau damit gehadert. Erst als ich sie "kennenlernte" habe ich mich damit ausgesöhnt...

    Ich freue mich sehr, dass Du sie uns allen hier vorgestellt hast.
    Morgen an ihrem Geburtstag, werde ich an sie denken.

    Herzlichst, Sieglinde

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  4. Liebe Astrid,

    vielen Dank für diese wunderbare Zusammenfassung des Lebens einer "armen Prinzessin". Trotz der erbärmlichen Kinder- und Jugendzeit als Spielball für eine "höhere Politik", hat sie sich doch noch einigermaßen komfortabel in ihrem Leben einrichten und ihren Interessen folgen können.

    Nach deiner Anspielung habe ich dann tatsächlich meine dort erstandenen Bücher und Prospekte hervorgeholt und teilweise durchgeblättert, eine sehr schöne Erinnerung an schöne Zeiten, die ich mit Familie in Franken verbrachte.

    Wie schon geschrieben, habe ich mit meinen Eltern oftmals Bayreuth besucht (wobei das Interesse meiner Mutter eher Franz Liszt galt), und kenne die beschriebenen Örtlichkeiten deshalb auch noch unrestauriert.
    Haben mir damals fast besser gefallen....super war es natürlich, dass sich kaum jemand außer uns interessierte und wir die Führer für uns hatten bzw. uns wirklich sehr lange in den Räumlichkeiten aufhalten konnten, um uns alles genaustens anzusehen.

    Aber am Schönsten fand ich tatsächlich nicht denn Prunk und die repräsentativen Schlösser, sondern das "Natürliche" des Schloßparks der Eremitage und ganz besonders den Felsengarten Sanspareil. Fast konnte man dort die Hofgesellschaft mit etwas Phantasie wandeln sehen...

    Inzwischen wird Bayreuth ja eher als Wagner-Kultstätte gesehen (initiiert von seiner Gattin Cosima), für mich ist Bayreuth aber auf immer mit Wilhelmine verbunden, so wie es Weimar mit Anna Amalia ist.

    Vielen Dank für die herrliche Erinnerung,

    liebe Grüße aus dem Münsterland - Brigitte



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  5. Endlich, während einiger Urlaubstage in Rerik, mal wieder Lust, Zeit und Geduld eines deiner faszinierenden Frauenporträts zu lesen, dazu noch einer aus der Preußenhoflinie ... Vermutlich würde ich auch im Jagdschloss Königs Wusterhausen was zu ihr finden... Danke für die spannenden Leseminuten. Im Gegensatz zu ihr brauche ich allerdings immer wieder Seelenruhe, um mir meiner Gefühle klarzuwerden und überhaupt deutlicher zu fühlen... Liebe Grüße aus dem Reriker Pfarrgarten... Ghislana

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  6. Den rosaroten Prinzessinnentraum lebte wohl kaum eine dieser jungen Frauen. Danke für diese spannende Zeitreise!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  7. Eine tolle Berlinerin. Ich sollte wohl mal nach Bayreuth fahren.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  8. Liebe Astrid,
    über ihren Bruder hab ich schon so viel gelesen.
    Aber über sie noch nie. Dankeschön für so viel Interessantes wieder.
    Ganz viele liebe Grüße von Urte

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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