Donnerstag, 14. Mai 2015

Great Women # 22: Jenny Holzer



Seit einiger Zeit stelle ich nun jeden Donnerstag ( Ausnahme: der BIWYFI - Donnerstag )
 eine neue bemerkenswerte Frau vor, und euer Feedback zeigt mir, dass ihr ein ebensolches Vergnügen beim Lesen habt wie ich eines beim Recherchieren & Schreiben. Deshalb mache ich gerne weiter...


Auf die Künstlerin, die ich heute vorstellen möchte, bin ich 1993 so richtig nachhaltig aufmerksam geworden, als eine Welle der Empörung durch die Medien ging, weil sie für die Ausgabe 46 des SZ-Magazins der Süddeutschen Zeitung ein Werk schuf, für dessen Titel "Da wo Frauen sterben, bin ich hellwach" echtes Menschenblut beim Drucken verwendet worden war: Sechs Liter Blut, das bosnische und deutsche Frauen gespendet hatten.
Vor allem Männer waren entrüstet. Für mich wieder ein typischer Fall von Hypokrisie - denn es ging um die Gewalt, die Männer Frauen systematisch in diesem Krieg antaten.
1999 traf ich dann im Kölner Skulpturenpark auf Steinbänke mit ihren "Truisms" und später in einem meiner Gartenbücher auf einen schönen Beitrag zu ihrem Garten - jetzt war sie auch in meinem Herzen verankert: Jenny Holzer.

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Jenny Holzer wird am 29. Juli 1950 als ältestes von drei Kindern in Galliopolis/Ohio geboren und wächst in Lancaster auf. Ihre Eltern, Richard V. Holzer and Virginia Beasley, sind Methodisten und erziehen die Tochter entsprechend. Der Vater, deutscher Herkunft, ein rauer Mensch ( das einzige deutsche Wort, an das Jenny sich bis heute erinnert, ist ein lautes "Raus!" ), der Jenny für Gewalt sensibilisiert. Die Familie der Mutter: Autohändler, für deren Geschäft der Onkel Werbesprüche erfindet und auf  Pappkartons  aufmalt - "deal easily with Beasley" z.B. - die Jenny für immer auswendig kann. 

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Sie beschreibt sich selbst als Kind als "Athletisch. Dünn. Verzweifelt." ( Quelle hier ) "Als ich sehr jung war und nicht so glücklich wie jetzt, bin ich mit meinem Pony oft tief in den Wald geritten, weit, weit weg von zu Hause." 

Jenny wird sich später aber verbitten, aus ihrer Biografie Rückschlüsse auf ihre Arbeit als Künstlerin zu ziehen: "Ich habe natürlich Gewalt erlebt. Aber darauf will ich nicht reduziert werden. Viel zu oft werden engagierte Frauen nicht ernst genommen, weil man ihnen vorhält, sie würden mit ihrem Engagement nur hysterisch auf ihre privaten Erfahrungen reagieren. (... ) Es gibt auf der Welt doch weiß Gott mehr Grauen als das eigene Leid."

Als Kind zeichnet sie gerne, später ist ihr das Lesen wichtiger. Nach der Schule der Wunsch, Kunst zu studieren: "Vergiss es, du bist ein Mädchen aus Ohio!", ist die Reaktion. So beginnt sie, die Superschülerin, 1968 erst einmal ein allgemeines Studium an der Duke University in Durham, NC, wechselt 1970 an die Universität von Chicago, wo sie schließlich Malen, Zeichnen & Druckgrafik belegt. Dieses Studium schließt sie an der Ohio University 1972 mit dem Bachelor ab. Ab 1975 nimmt sie an Sommerkursen der Rhode Island School of Design teil, wo sie zwei Jahre später, nach einer Europareise, ihren "Master of Fine Arts" ablegt. Dort lernt sie auch ihren späteren Ehemann Mike Glier kennen.

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Doch in den Zeiten des Abstrakten Expressionismus & der Pop Art wird ihr im Alter von 27 Jahren klar, dass sie nie eine gute Malerin sein wird: "Mir hat es keinen Spaß gemacht zu reproduzieren, was sowieso schon da war - vielleicht war ich auch nicht begabt genug." 1976 geht sie nach New York. Zuerst denkt sie sich Aktionen aus für Orte, an denen Menschen ohne großem Interesse an Kunst vorbeikommen. Doch sie merkt:  "Die Versuche waren interessant, aber letztlich misslungen. Ich hatte ja nichts, was ich den Leuten sagen wollte."

Sie beginnt ihre "Truisms" zu sammeln und aufzuschreiben, Ansichten & Meinungen, die sie in Gesprächen, im Fernsehen, in Zeitschriften oder der Werbung aufschnappt. Sie druckt sie mit schwarzer Kursivschrift auf weißes Papier, klebt diese auf Häuserfassaden, Verkehrszeichen, Telefonzellen in Lower Manhattan, immer anonym. Ihre "Truisms" veranlassen die Vorbeigehenden zu eigenen kleinen, schriftlichen Botschaften oder zu Kommentaren. Jenny steht daneben und verfolgt diese Äußerungen.



Die nächsten Texte ("Inflammatory Essays") werden länger und aggressiver, lassen ihre persönlichen Überzeugungen erkennen & beschäftigen sich mit vorherrschenden Ideologien. "The Living Series" - Themen sind der eigene Körper und der menschliche Alltag - werden schon auf Aluminium aufgedruckt oder in Bronze gegossen:

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Die nächste Serie ( "Under the Rock" ) beschäftigt sich mit Angst, Sex und Tod:

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Dass sie nun ihre Aussagen in Stein meißeln lässt, hat auch damit zu tun, dass sie nach Jahren in der Megacity wieder auf dem Lande von natürlichen Materialien umgeben ist:

Auf einem Ausflug mit Mike Glier hat sie in Hoosick Falls im Staate New York eine Farm mit 93 Hektar Land entdeckt & gekauft, die zuerst als Wochenend- & Feriendomizil genutzt werden soll. Doch die Aufenthalte dort werden länger und länger, das alte, verfallene Holzhaus wird renoviert und schließlich kommt dort auch 1988 die - ungeplante - Tochter Lili zur Welt ( und verändert vieles ):



Jenny verwendet ab da den örtlichen Granit für ihre Bänke, ihr Mann, der in New York nur mit Fotos gearbeitet hat, beginnt zu malen, legt den Garten an, entdeckt seine weiblichen Seiten, was auch in diesem Bild von ihm zum Ausdruck kommt:

"Man at work"
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Wie begründet jemand, der andere mit der Aussage "Land gehört niemandem" konfrontiert, den eigenen riesigen Privatbesitz? "Ein Stück Natur bewahren - unverändert und unverbaut", gibt sie Charlotte Seeling im Buch "Der Garten der Künstlerin" zur Antwort. 

In der Zwischenzeit hat Jenny Holzer auch ihren Durchbruch als Künstlerin erzielt mit ihren Sinnsprüchen auf elektronischen Anzeigentafeln am New Yorker Times Square ( „Messages to the Public“ ): 

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"Ich liebe es, die Menschen auf der Straße zu verwirren. Man geht auf dem Bürgersteig, bleibt an einer Ampel stehen, lässt seinen Blick schweifen, und plötzlich liest man auf einer Anzeigentafel, auf der normalerweise Werbung für Coca-Cola leuchtet, einen Satz wie: »STERILIZATION IS A WEAPON OF THE RULERS«, oder »THE IDEA OF REVOLUTION IS AN ADOLOSCENT FANTASY«… (... ) Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass gerade der Umstand, dass nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass es sich um eine Kunstinstallation handelt, die Aussagen noch einmal gewichtiger macht. Sie stiften Verwirrung, und setzen auf eine assoziative Weise Gedanken in Gang, die man sich normalerweise nicht gemacht hätte", erklärt sie einmal ihr Vorgehen. ( Quelle hier; wer mehr solcher Projektionen lesen möchte, wird hier fündig. Und hier kann man "Truisms" interaktiv verändern. )

1982 wird Jenny zur „Documenta 7“ nach Kassel eingeladen, wo sie auch 1987 vertreten ist. 1989 hat sie zwei große Einzelausstellungen in New York, u.a. im Solomon R. Guggenheim Museum. 1990 vertritt sie als erste Frau die USA auf der Biennale in Venedig & gewinnt den Goldenen Löwen für "Mother and Child":

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Doch dieser Erfolg hat für sie auch eine Kehrseite: "Ich fühlte mich geehrt, ausgewählt zu werden und zu gewinnen. Allerdings war die Freude nahezu abstrakt, denn die Arbeit hielt mich von meiner kleinen Tochter fern. Weil ich mich auf mich konzentrieren musste, litt meine Ehe. Ich war froh, dass eine Frau den Goldenen Löwen gewonnen hatte, aber litt darunter, dass ich Schmerz verursacht hatte und schließlich selbst empfand. In einer gerechten, gleichberechtigten Welt oder in einem anderen Universum hätte ich meine Familie glücklich gemacht.... Es ist wundervoll, dass Frauen heutzutage so viel Erfolg haben. Aber ist es nicht erstaunlich und kriminell, dass es nach wie vor keine Gleichstellung in der Kunstwelt und in der Welt an sich gibt?", sagt sie in einem Interview 2008 ( Quelle hier ).

1993 dann also das eingangs erwähnte Projekt "Lustmord" für das Magazin der Süddeutschen: jenny Holzer wird zu einer der umstrittensten Künstlerinnen der Welt. Dabei hat sie nur die Berichte über systematische Vergewaltigungen während des Krieges im früheren Jugoslawien künstlerisch zu verarbeiten versucht:


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Doch sie wird auch mit Anfragen und Aufträgen überschüttet: Sie bereitet "Lustmord" für Außen-Projektionen in Rom und Newcastle auf, feilt an neuen Texten zu den Themen Aids und Krieg. Das Gleichgewicht zu halten zwischen Arbeit & Leben wird immer schwieriger: "Ich bin eigentlich keine Dichterin. Ich muss mir alles, was ich schreibe, zuerst ganz detailliert bildlich vorstellen. Es ist wirklich schwer, sich so intensiv mit den Themen Vergewaltigung, Aids, Krieg zu beschäftigen und gleichzeitig eine gute, möglichst unbeschwerte Mutter zu sein." ( Quelle hier )

Gerade in Deutschland sind ihre Arbeiten ab da sehr gefragt. Sie sagt dazu: "Witzigerweise arbeite ich aber lieber in Europa. Das hat wohl etwas damit zu tun, dass man Denkmälern hier mehr Aufmerksamkeit widmet als in Amerika (... )  In Europa schätzt man konzeptionelle und vor allem auch politische Kunst." 
Deshalb stelle ich hier nur einige ihrer Werke in unserem Land vor:


1995 in Nordhorn: "Schwarzer Garten"
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1996 in Leipzig, Völkerschlachtdenkmal: "KriegsZustand"
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1997 in München Literaturhaus: "Oskar Maria Graf Memorial"
( Teller , Tassen und Einrichtungsgegenstände )
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1999 in Leipzig: "Goerdeler - Denkmal", ( zusammen mit ihrem Mann )
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2000 in Berlin, Reichstaggebäude:"Installation für das Reichstagsgebäude"
( Bisher hat die Künstlerin 442 Reden aneinandergereiht,
so dass die Reden etwa 20 Tage lang ununterbrochen ohne Wiederholung ablaufen können. )
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2001 in Berlin, Neue Nationalgalerie: "Installation for Neue Nationalgalerie"
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2002  in Bremen, Museen Böttcherstraße: "For Paula Modersohn - Becker"
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2003 Gartenlandschaft Ostwestfalen - Lippe: Ohne Titel
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"Der Inhalt ist mir wichtig und Worte tragen Inhalt, ohne zu klagen. Farbe, Form, Komposition, Tempo, Platzierung und Stimmung zählen zu meinen Themen, aber ich baue auf die Sprache, um klar und relativ konkret sein zu können" , sagt sie über ihre Arbeiten. Und sie freut sich, dass ihre öffentlichen Aufträge & Ausstellungen in kommerziellen Galerien es ihr möglich machen, unbezahlt ihre Kunst auf öffentlichen Plätzen zu zeigen, wie z.B. am Strand von Rio:

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Sie steht dann selbst hinterm Projektor, beobachtet, wie die Wellen ihre Botschaft brechen & Menschen sie wie verzaubert betrachten, unfähig, weiter zu gehen...

Und ich stelle mir dann die lächelnde Jenny Holzer vor:

2008
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Ich habe mich selbst damit überrascht, dass ich, der inzwischen Farbe und Form in der Kunst über alles geht, so fasziniert bin von einer Kopf - Künstlerin wie Jenny Holzer. Durch die Beschäftigung mit ihrer Kunst ist mir wieder deutlich geworden, dass man mit Kunst sehr gut politische Kommentare abgeben kann. "Wenn man sich als politischer Mensch versteht, dann erfordern die jüngsten Erlebnisse eine Meinung. Ich bin in der glücklichen Lage, diese öffentlich machen zu können. Das sehe ich auch als Verpflichtung", meint Jenny Holzer selbst dazu.

Schade, dass ihre "Erfindung", mit ihren Aussagen Denkanstösse zu geben, durch Kommerzialisierung und netzweite Verbreitung auf das Niveau früherer "Eigener Herd ist Goldes wert" - Sprüche banalisiert worden ist.*
Ich hoffe, ich kann mit diesem Post auf die essentielleren Ursprünge dieser derzeitigen Deko - Mode verweisen...










* Bei Ulma habe ich einen Post mit anschließender Diskussion dazu gefunden. Ich bin also nicht alleine mit meiner Meinung...

10 Kommentare:

  1. Wieder eine wunderbare Darstellung einer spannenden Frau, die ich- muss ich leider gestehen- vorher nicht kannte.
    Durch deine Serie Donnerstagsfrauen habe ich schon so manche Künstlerin, Wissenschaftlerin, usw. -wenigstens in Ansätzen - kennengelernt, was mich dann teilweise auch dazu bewogen hat, weiter zu lesen in den links oder mich anderweitig mit ihnen zu beschäftigen.
    Das finde ich eine ganz tolle Leistung von dir, einem quasi neue "Horizonte" zu öffnen.
    Zudem bin ich fast ein wenig eingeschüchtert, auf Grund deiner enormen Belesenheit und Bildung. Aber du lässt uns davon hier ja bestens profitieren.
    Dank dafür!!
    Nun wünsche ich dir einen schönen Feiertag und sende liebe Grüße,
    Monika

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  2. Vielen Dank für die Vorstellung von Jenny Holzer. Die Installation in der Gartenlandschaft Ostwestfalen-Lippe ist ca. 10 Kilometer von unserem Dorf entfernt im Schloßpark Rheder der Familie von Mengersen zu erleben. http://www.brakel.de/Leben/Kultur/Ausstellungen/Schlosspark-Rheder

    LG Doris

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  3. Von ihren künsterlischen Projekten in Leipzig hatte ich mal in der Zeitung gelesen...Danke für die Erinnerung an diese beeindruckende Künstlerin! Dir einen schönen...und hoffentlich sonnigen Tag! LG Lotta.

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  4. Eine beeindruckende und stetige Entwicklung!

    ♥ Franka

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  5. Wieder einmal danke für diese interessante Horizonterweiterung. Ihre künstlerische Arbeit mit der Sprache finde ich spannend.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Super spannend!! Vielen Dank Astrid!
    GLG Kerstin

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  7. Ich habe Jenny Holzers Kunst kennengelernt, als ich 19 Jahre alt war (jetzt bin ich 47). Ihre Sätze/Worte haben mich damals sehr beeindruckt. Ich habe sie dann auch noch mal bei einem Vortrag in der Hamburger Kunsthalle gehört und fand sie auch als Person großartig. Und auch heute ist sie für mich immer noch eine der größten Künstlerinnen. Danke fürs Vorstellen dieser tollen Frau und Künstlerin!!

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  8. So viel habe ich die letzte Woche hier verpasst, weil ich nicht zum Bloggen und Blog-lesen kam. Jenny Holzers Werke sind mir vereinzelt schon untergekommen, aber so geballt und mit Biografie noch nicht. Merci dafür! LG mila

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  9. Die Ausstellung 2001 in Berlin habe ich gesehen. Damals bin ich mit 7 Frauen unterwegs gewesen, wir waren erst irritiert, weil wir nicht wußten, dass es sich bei der Ausstellung um Lichtbanner handelt, wir erwarteten etwas anderes, waren jedoch dann von Jenny Holzers Aussagen sehr beeindruckt.
    herzlich Judika

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  10. Den Namen kannte ich wohl... und auch Einiges von ihr und über sie aus den Feuilletons, aber dein Post fügt nun alles und noch mehr gut und verständlich zu einem Ganzen..., ja, eine bemerkenswerte Frau. Lieben Gruß Ghislana

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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