Freitag, 23. Juni 2017

"Wir sind des Wartens müde...


...ich und meine Kinder". sagte Ensaf Haidar laut übersetztem Redetext bei einer Veranstaltung am Samstag in Tübingen. "Von hier aus möchte ich seine Majestät König Salman bitten, Raif freizulassen und seinem Leidensweg ein Ende zu setzen und unsere Familienzusammenführung zu ermöglichen."

Ensaf Haidar neben Max Steinacher & Christopher Gohl
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Zur 131. Mahnwache der Tübinger Initiative zur Freilassung des in Saudi - Arabien inhaftierten Bloggers Raif Badawi ist seine Frau Ensaf Haidar aus dem kanadischen Exil in die württembergische Stadt gekommen. Dort steht auch Max Steinacher auf den Treppen der Tübinger Stiftskirche mit seinem halben Freundeskreis und etlichen weiteren Aktivisten. Viele Lehrer, Juristen, Professoren im Ruhestand, viele älter als 60, alle motiviert, so lange Plakate in die Höhe zu halten, bis Raif Badawi wieder ein freier Mann ist. Weder Minusgrade, Hitze noch Platzregen haben sie von ihrem Protest abgehalten, seit im Januar 2015 der 69-jährige ehemalige Lehrer Steinacher begonnen hat, jeden Samstag Punkt elf Uhr eine Stunde lang die Freilassung des saudischen Bloggers öffentlich zu fordern.

"Ich war anfangs überrascht, wie viele meinem Aufruf gefolgt waren", erinnert er sich. Doch mittlerweile gehört der Termin selbstverständlich zum Samstag. Dank seines Mitstreiters Christopher Gohl vom Tübinger Weltethos-Institut ist die Veranstaltung auch bestens organisiert. 

Unter dem Motto "Fünf Jahre sind genug. Tübingen für Familie Badawi" hatten das Weltethos-Institut und weitere Institutionen am vergangen Wochenende Ensaf Haidar eingeladen. Sie wurde im Rathaus empfangen, und es wurde eine Lesung sowie eine Podiumsdiskussion über Pressefreiheit mit dem türkischen Journalisten und Kritiker des Herrn E., Çan Dündar, organisiert.

Die Ausdauer der Menschen an einem Ort der Welt, an  dem sie noch nie zuvor war, gibt Ensaf Haidar Kraft: "Ihr seid wie meine Familie. Es tut so gut, dass ihr solange durchhaltet."

Und ein klitzekleines bisschen fühle ich mich mit meinem heute hundertzwanzigstem Post zu Raif auch dazugehörig...

Wie meinte doch der Berliner "Tagesspiegel"? "Badawis Gefangenschaft ist ein fortwährender Skandal ohne dauernde Empörung. Sein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit hat ihn hinter Gitter gebracht, unseres muss ihn da rausholen. Es ist zu still um ihn geworden."


Ja, es ist eine Riesenschweinerei, dass ein Mensch zehn Jahre im Gefängnis bleiben soll und tausend Peitschenhiebe erleiden, nur weil er in seinem Blog gesagt hat, was er denkt, das geht mir auch immer wieder durch den Kopf. Auch in Bezug auf die Türkei und die dort Inhaftierten. Das Land begibt sich immer mehr auf einen ähnlichen Weg wie Saudi - Arabien:

Dort wurden Menschen inhaftiert, weil sie die Kommunikations - App "Bylock" auf ihrem Smartphone installiert hatten: Sie gilt den türkischen Behörden als das Instrument, mittels der sich die angeblichen Putschisten & Gülen - Anhänger verständigt hatten.

Besonders spektakulär ist der Fall des Richters Aydın Sefa Akay, der nun zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde ( bis zur Berufungsverhandlung darf er zu Hause bleiben, das Land aber nicht verlassen ), weil er die App aus dem Google Play Store auf sein Handy heruntergeladen hatte.

Die bittere Ironie an diesem Fall: Akay ist Mitglied des fünfköpfigen UN-Panel namens MICT ( Mechanismus der Vereinten Nationen für internationale Strafgerichte ), welches mit der Prüfung des Urteils gegen den ruandischen Planungsminister Ngirabatware beauftragt worden ist, und genießt deshalb diplomatische Immunität. Die UN hatte also der Türkei eine Frist bis Mitte Februar gesetzt, um Akay freizulassen, das Gerichtsverfahren einzustellen und damit seine Immunität zu gewährleisten - die Behörden verweigern dies, da es sich ja ihrer Meinung nach um eine Sache handle, die nicht Akays Richtertätigkeit beträfe.

Akay gehört zur "weißen Elite" des Landes, ist überzeugter Republikaner und lebt mit seiner Familie in einem der säkularsten Viertel Istanbuls. Außerdem ist er Mitglied der "Großloge der Freien und Angenommenen Maurer der Türkei". "Ein Gülenist und zugleich Freimaurer zu sein, das ist wie dem Likud und zugleich der Hamas anzugehören",  erklärt Yavuz Baydar diesen Widerspruch.

Wenn das kein "Geschmäckle" hat...







Nachtrag: Wie ich - inzwischen mehrfach - gelesen habe, hat die G20-Delegation Saudi - Arabiens das gesamte Luxushotel "Vier Jahreszeiten" in Hamburg für den Zeitraum vom 4. bis zum 9. Juli als ihr Quartier ausgewählt. Dem Vernehmen nach haben die Saudis das Hotel mit 156 Zimmern und Suiten für König Salman und sein Gefolge gebucht. Weitere Unterkünfte wurden dem Vernehmen nach im "The Westin" in der Elbphilharmonie und im "Sofitel" am Alten Wall gewählt - da wäre doch auch eine Solidaritätsbekundung für Raif Badawi möglich, liebe Hamburger, oder? ( Quelle u.a. hier  )

5 Kommentare:

  1. Es ist schon schlimm, liebe Astrid, wie das Leben von Menschen und ihren Familien zerstört wird, weil sie eine Meinung haben, wie Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Hunderteinunddreißig Mahnwachen, hunderteinunddreißig Stunden sind eine lobenswerte Sache, besser als Nichtstun und Schweigen. Ich träume von einem Hohen Gericht (damit meine ich nicht Gott), bestehend aus weisen Richtern aus der ganzen Welt, das verbindliches Recht spricht und das Unrecht, das überall auf dieser Welt geschieht, in die Schranken weist. Aber wer bin ICH schon?
    Liebe Grüße
    Edith

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  2. Ich bin froh und dankbar, dass es Menschen wie dich, Astrid, gibt, die immer und immer wieder berichten - hartnäckig und jahrelang (unglaublich und leider leider leider schon so lange). Es ist einfach unglaublich, wofür Menschen andere Menschen büssen lassen. Immer und immer wieder kommt mir dabei "gestohlene Leben" in den Sinn! Nachdenklicher Gruss, Sibylle

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  3. Hallo Astrid,
    ein klizekleines bisschen?
    Wenn Ensaf Haidar wüsste wie sehr du dich hier jede Woche für ihren Mann einsetzt, würde sie dir auch persönlich dafür danken.
    Obwohl das nicht dein Antrieb ist, sondern die Gerechtigkeit.
    Liebe Grüße, Kerstin

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  4. Du bist auf jeden Fall ein wichtiger Teil dieser Familie, die Ensaf Haidar meint - von wegen klitzekleines bisschen... Wie und von wem werden eigentlich Deine Posts in der gesamten Kampagne wahrgenommen?
    Danke, dass Du dran bleibst!
    Herzlichst, Sieglinde

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  5. Dass Du nicht müde wirst, zeigt, wie ernst Du es meinst, liebe Astrid.
    Bei allem "Ge-trumpe" sorgst Du dafür, dass er nicht vergessen wird.
    Dass endlich Gerechtigkeit aufkommt.
    Ganz liebe Grüße und chapeau, Deine mit Dir hoffende Méa

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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